Der einsame Reisende

Kurzgeschichte zum Thema Begegnung

von  phamatrix

Der einsame Reisende

Ich war aufgeregt wie nie zuvor in meinem Leben. Seit sieben Zyklen streifte ich inzwischen durch bisher unbekannte Teile unseres Universums, auf der Suche nach intelligentem Leben. Man musste sich das mal vorstellen: sieben Zyklen! Jeder andere wäre sicher in dieser Zeit verrückt geworden. Ich will ehrlich sein: Auch für mich zog sich das hin wie die Hülle eines überreifen Regawurz’. Höchstens ein halber Zyklus noch und ich hätte einfach aufgegeben. Man lebt nicht ewig, und ich habe mir schon vorgestellt, die Himmelslichter von Rokan noch einmal zu sehen.
Ach, was rede ich? Natürlich will ich gern meine Altersphase im Schoße meiner Septe verleben und die Jungen heranwachsen sehen. Wer will das nicht?
Die anderen meiner Septe haben mich schon allein deshalb für verrückt gehalten, weil ich überhaupt auf meinen Exkurs gegangen bin. Aber hey! Intelligentes Leben auf fremden Planeten ... Damit käme ich in die Archive von Glom!
Natürlich hat es immer Skeptiker gegeben, die daran zweifelten, dass es außer uns überhaupt weiteres Leben im All gibt. Ich gehöre nicht zu ihnen, obwohl ich nicht abstreiten kann, dass alle bisherigen Versuche, Kontakt zu anderen Intelligenzen zu bekommen, nichts gebracht haben. Unser eigenes Planetensystem umfasst siebzehn Planeten, von denen allein unserer Leben trägt.
Aber, wer nicht wagt, der nicht gewinnt, und ich war von der Jungphase an fasziniert von der Idee, eines Tages Wesen zu treffen, die ebenfalls intelligent sind und unsere Freunde werden könnten. Nur, Faszination ist leider nicht alles und vor allem keine Lösung. Mein Volk beherrschte zwar die Raumfahrt, doch dieses Herumkrauchen zwischen den Planeten brachte mich ja echten Fremdintelligenzen nicht näher. Ich sagte ja bereits: Nur unser Planet trägt Leben.
Als unsere Wissenschaftler und Techniker dann überraschend das Problem der als unüberwindlich geltenden Grenze der Lichtgeschwindigkeit gelöst hatten und dadurch der Weg zu neuen Antriebssystemen für unsere Raumschiffe frei wurde, war für mich klar, dass ich eines dieser Schiffe steuern will, ja sogar steuern muss.
Mit Geschwindigkeiten weit über der des Lichts wollte ich den Bereich des Zentrums unseres Spiralnebels verlassen, um die weiter entfernten Arme zu durchstreifen.
Unsere Wissenschaftsphilosophen waren sich seit langem einig darüber, dass intelligentes Leben eine äußerst großzügige Entwicklungszeit brauchen würde, um eine Stufe zu erreichen, die sich mit unserer vergleichen ließe. Unsere Existenz und unser, bereits hoher technischer und moralischer Entwicklungsstand galt als eine nette Laune der Natur.
Man ging jedoch davon aus, dass solche Launen im Zentrum der Galaxis eher nicht die Regel sein würden. Mir ist bis heute schleierhaft, wie unsere Wissenschaftler darauf kamen. Immerhin gab es uns ja auch, und wir lebten nun mal im Zentrum der Galaxis. Also habe ich mich für diesen Forschungsauftrag gemeldet und war mir von Beginn an bewusst, dass es bedeuten würde, lange Zeit allein zu sein. Nun, ich bin nun mal ein asexuelles Exemplar meiner Rasse und komme daher mit der Einsamkeit gut zurecht. Zumindest habe ich mir das super eingeredet. Im Ernst, man redet manchmal einen solchen Blödsinn, ohne überhaupt wirklich zu wissen, was es bedeutet, lange allein zu sein. Niemals hätte ich einem männlichen oder weiblichen Mitglied meiner Septe, oder gar einem Koppler, zugemutet, eine solche Reise mit mir anzutreten. Ohne ihre Bezugsfamilien wären sie seelisch zugrunde gegangen. Nein, es ist schon gut so, wie es ist. Die Suche nach fremdem Leben ist eine Aufgabe für einen Asexuellen wie mich. Aber ... Scheiße, ich vermisse meine Septe ...
Ich will doch berichten, wieso ich so aufgeregt war.
Ich war mit meinem Schiff grob der Linie eines der äußeren Arme unseres Spiralnebels gefolgt und glaubte schon längst nicht mehr an einen Erfolg, als das Ortungssystem meines Schiffes ansprach. Nicht allzu weit von meinem Standort entfernt, hatte das Rechnersystem einen Gegenstand ausgemacht, der eindeutig nicht natürlichen Ursprungs sein konnte: Einen Zylinder von wenigstens elf Glib Länge und etwa halb so dick.
Das Ortungsergebnis wurde mir optisch auf meiner Facettenkugel angezeigt. Fasziniert studierte ich den Gegenstand. Eindeutig wurde er gesteuert, denn an einer der Schmalseiten waren Rohrenden erkennbar, aus denen Partikel ausgestoßen wurden. Das konnte nur ein Antrieb sein.
Ich war so aufgeregt, dass alle meine drei Herzen für einen Moment aus dem Takt kamen und ich mich festhalten musste, um nicht zu stürzen.
Ich kletterte in meine Steuerzelle und begann sogleich mit dreien meiner Arme, Befehle in die Tastaturen zu tippen. Jetzt galt es, unverzüglich die Fahrt aufzuheben und eine Kursangleichung zum fremden Schiff durchzuführen. Zugleich konnte es nicht schaden, auf allen verfügbaren Frequenzen einen Gruß an die Fremden zu richten. Was das wohl für Wesen waren? Wie sahen sie aus? Waren sie in der Lage, meinen Gruß zu empfangen und zu verstehen? Ach Unfug, denn wie sollten sie unsere Sprache verstehen? Aber sie konnten vielleicht meine Funkimpulse als Wunsch nach Kontaktaufnahme interpretieren.
Für einen kurzen Augenblick kam mir der Gedanke, was ich tun würde, wenn die Fremden nicht so friedlich waren wie ich. Keine Ahnung, wieso ich ausgerechnet so etwas dachte. Das Modell eines aggressiven Zusammentreffens zwischen intelligenten Wesen war lediglich ein philosophisches Gedankenmodell unserer Wissenschaftler. Mein Schiff war natürlich unbewaffnet und verfügte auch nicht über Schutzmechanismen gegen Projektile oder gebündeltes Licht. Für mich also die Masterfrage: Bin ich in meinem Schiff wirklich sicher?
Aber jetzt noch einen Rückzieher machen? Das bringe ich auch nicht fertig.
Mein Funkanruf war gesendet, aber ich war einige Momente lang unentschlossen, wie es weitergehen sollte. Dann gab ich mir einen Ruck. Schließlich war ich lange unterwegs und das nur aus einem einzigen Grund: Eine Situation wie diese zu erleben.
Mein Funkempfänger schrillte laut und das bedeutete, dass man auf der anderen Seite reagierte. Nervös schickte ich die empfangenen Daten durch den Rechner, in der Hoffnung, dass unser System vielleicht in der Lage wäre, aus den fremden Daten etwas Verständliches zu interpretieren.
Das war natürlich nichts weiter als Zweckoptimismus.
Unser Rechner forderte weitere Daten und prognostizierte, dass ‘weitere Fremddaten eine höhere Chance boten, Strukturen zu erkennen, die auch mir verständlich sein konnten’. Was für ein verqueres Gefasel! Dieser blöde Rechner hatte einfach keinen Plan und versteckte das hinter schwülstigem Geblubber.
Trotzdem sendete ich nun ununterbrochen an das fremde Schiff und bald entspann sich zwischen uns ein reger Funkverkehr, wobei vermutlich niemand auf beiden Seiten wirklich verstand, was die andere Seite meinte. Allein die Tatsache, dass man mir auch beständig antwortete, zeigte mir allerdings, dass man dort ebenfalls stark an Kommunikation interessiert war. Waren es unter Umständen ebenfalls Forscher, mit demselben Ziel, welches auch ich verfolgte? Langeweile war gestern. Ich fand das alles nur noch spannend.
Das Ganze ging bereits über mehr als zwei Mikrotageszyklen, als ein Signal meines Rechners meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Auf der Facettenkugel bildete sich ein unscharfes Bild zweier äußerst fremdartiger Wesen. Ihre Größe konnte ich nicht abschätzen, da mir die Vergleichswerte fehlten, doch allein ihre Körperform erschien mir völlig fremd. Offenbar besaßen sie lediglich zwei Arme und zwei Beine.
Zwei Beine! Was musste das für ein Balanceakt sein, denn diese Wesen standen aufrecht.
Ein ovaler Auswuchs zwischen ihren Armen erhob sich nach oben. Möglicherweise war darin die Sensorik dieser Wesen versteckt, wobei ich mich fragte, ob sie überhaupt optische Informationen aufnehmen konnten, denn ich konnte kein Facettenband erkennen. Stattdessen gab es auf der mir zugewandten Seite zwei eigenartige kleine Kuhlen und einen breiten Schlitz weiter unten, der sich ständig öffnete und wieder schloss. Wie konnten Wesen mit einem solchen Körperbau überhaupt ihre Umgebung so manipulieren und beherrschen, dass sie Raumschiffe bauen konnten?
Nun, zumindest konnte ich sie jetzt sehen und hatte ein Bild von ihnen. Ob sie mich ebenfalls sehen konnten, war nicht festzustellen.
Irgendwie hatte ich mein Zeitgefühl verloren. Unsere Schiffe flogen in relativ geringer Entfernung voneinander parallel durchs All. Alles in mir fieberte danach, eine persönliche Gegenüberstellung mit diesen Wesen abzusprechen, aber das war leichter gedacht als getan. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis wir die ersten unbeholfenen Begriffe austauschen konnten. Es war berauschend, eine Verständigung mit völlig fremden Intelligenzen aufzubauen. Offenbar gab es auch bei ihnen eine akustische Verständigung, wie auch bei uns. Das könnte vieles leichter machen.
Nach und nach klappte die Verständigung immer besser. Ich erfuhr, dass sich diese Wesen Menschen nannten und sich auf einer wissenschaftlichen Expedition befanden. In dem aus meiner Sicht recht kleinen Schiff befanden sich mehr als vierzehn Lebewesen. Man reagierte recht überrascht, dass ich in meinem Schiff allein unterwegs war. Man lud mich ein, zu ihnen herüber zu kommen, da auch die Menschen noch nie intelligente Wesen getroffen hatten, die nicht von ihrem Planeten stammten.
Meine Aufregung steigerte sich noch weiter. Ich musste alle Energie aufbringen, meine Herzen wieder in einen gemäßigten Takt zu bringen.
Ich würde zu ihnen reisen und sie in ihrem eigenen Habitat besuchen! Ich wünschte, meine Septe wäre jetzt bei mir.
Ich halte plötzlich inne. Ich habe nicht geklärt, ob diese Menschen atmen müssen, und falls sie es tun, welches Gas. Das ist auch für mich wichtig. Zwar komme ich lange ohne Atmen aus, aber irgendwann brauche ich ein Sauerstoff-/Stickstoffgemisch. Das muss ich unbedingt klären.
Ich gebe eine entsprechende Frage in mein Terminal ein, doch das Menschenschiff versteht meine Frage nicht. Unser Vokabular ist leider noch recht lückenhaft. Ich freue mich wie ein junger Wolkentaucher darauf, das bald zu ändern.
Es gibt aber auch andere Möglichkeiten, die Zusammensetzung der Atmosphäre im anderen Schiff herauszufinden. Wozu habe ich schließlich meine Tiefensensoren?
Ich richte alle meine Ortungsinstrumente auf das fremde Schiff. Jetzt bin schon so weit gekommen, will ich natürlich sicher gehen, mich keiner unnötigen Gefahr auszusetzen.
Auch für die Menschen ist das wichtig. Schließlich will ich weder mich noch die anderen vergiften, wenn wir inkompatible Gase atmen.
Ich habe gerade meine Messungen aktiviert, als ich auf der Facettenkugel sehe, wie ein Teil sich vom fremden Raumschiff löst und vom Schiff wegtreibt.
In der Bildverbindung zu den Fremden ist plötzlich Aufregung zu erkennen und laute Stimmen dringen aus meinem Lautsprecher. Es ist ein solches Durcheinander, dass ich zunächst nicht begreife, dass die Menschen an einen Angriff denken. Das ist doch völlig absurd.
Ich wedele abwehrend mit allen sieben Armen und versichere, keine Waffe auf sie gerichtet zu haben. Dass ich lediglich Messungen vornehme, bevor ich zu ihnen an Bord komme.
Die Aufregung unter den Menschen scheint nicht abreißen zu wollen und ich schalte meine Messinstrumente ab. Unsere Verbindung ist noch so neu und frisch, da will ich nicht riskieren, dass man meine Handlungen falsch interpretiert. Ich kündige an, in Kürze zu ihnen an Bord zu kommen.
Ein Mensch fragt, wie groß mein Beiboot ist. Ich verstehe nicht, was er damit meint. Beiboot? Was soll das sein?
Ich wiederhole nur, dass ich mich gleich auf den Weg machen werde. Den Bordrechner stelle ich auf Automatik und laufe zur nächsten Schleuse.
Als sich das Schott öffnet und die Luft mit einem Zischen ins All entweicht, verschließe ich meine Körperporen. In diesem Zustand kann ich mühelos das Vakuum des Alls ertragen und brauche erst zwei Mikrotageszyklen später wieder Atemluft. In dieser Zeitspanne kann ich längst an Bord des anderen Schiffes sein. Kraftvoll stoße ich mich mit allen Beinen von der Schleuse ab und schieße wie ein Torpedo auf das andere Schiff zu. Schnell wird es vor meinem Facettenband größer.
Was ich für einen glatten Zylinder gehalten habe, ist in Wirklichkeit von zahlreichen Dellen und Ausbuchtungen übersät. Überall ragen dünne Antennen ins All. Vor mir öffnet sich ein Schott und gelbes Licht dringt daraus hervor. Es blendet mich und ich versuche verzweifelt, die Empfindlichkeit meines Facettenbandes auf dieser Seite zu dämpfen, doch es gelingt nicht schnell genug. Vielleicht wäre alles anders geworden, hätte ich es geschafft, die Blendung rechtzeitig auszuschalten. Doch so pralle ich viel zu schnell auf das Zylinderschiff und dringe durch seine Hülle, als hätte ich mit einem Messer in eine unserer Speisepflanzen geschnitten. Niemals hätte ich erwartet, dass die Hülle eines Raumschiffes so weich sein kann.
So hält mich die Außenhaut auch nur wenig auf und mein Körper durchschlägt eine Wand nach der anderen, ein Deck nach dem anderen. Verzweifelt spreize ich alle Arme ab, in der Hoffnung, irgendwo Halt zu finden. Nach und nach werde ich gebremst und als ich endlich ruhig liege, bemerke ich eine Schneise, die ich durch das gesamte Schiff gezogen habe. Ein infernalischer Lärm quält mein Gehör. Überall jaulen Alarme, rote Lichter drehen sich an Wänden, die nicht zerstört sind.
Ich prüfe, ob ich mich beim Aufprall verletzt habe, doch ich bin völlig unversehrt.
Aus einem defekten Schott in meiner Nähe quellen einige dieser Menschen. Sie sehen anders aus, als ich sie in Erinnerung habe, bis mir einfällt, dass sie möglicherweise Schutzanzüge tragen. In ihren Händen halten sie kleine Gegenstände, die sie auf mich richten. Sind das Waffen? Halten sie mich etwa für einen Feind? Natürlich, sie müssen denken, dass ich sie angegriffen und ihr Schiff schwer beschädigt habe. Ich muss dieses Missverständnis aufklären. Unbedingt. Doch wie soll ich ihnen klarmachen, dass es nur ein Versehen ist? Immerhin habe ich ihr Schiff ordentlich verwüstet, was ich immer noch nicht verstehen kann. Wie mache ich ihnen klar, dass sie für mich keine Waffen benötigen? Vielleicht, indem ich einem von ihnen seine Waffe einfach wegnehme und mich passiv verhalte?
Ich fahre einen Arm aus und schnippe dem vordersten der Menschen seine Waffe aus den Händen. Dabei blitzt das Ding kurz auf und entsetzt sehe ich, dass der Arm des Menschen verschwunden ist. Einfach so! Unfassbar! Überall klebt eine rote Substanz und der Mensch schreit laut und unverständlich.
Verursacht ihm das Schmerzen? Nur, weil ein Arm verloren ist? Wachsen sie bei diesen Wesen etwa nicht wieder nach?
Ich versuche, diesen Menschen zu trösten und berühre ihn sanft wie die Feder eines Wolkentauchers mit einem anderen Arm. Ich begreife es nicht, aber mein Arm gleitet einfach durch ihn hindurch. Das Schreien reißt ab und ich glaube erst, es wäre in Ordnung, doch mehr von der roten Substanz spritzt herum und klebt nun überall und auch an den anderen Menschen, die nun ihre Waffen gegen mich heben und feuern.
Ich bin gewiss nicht ängstlich, aber als ich die vielen Waffen auf mich gerichtet sehe, gerate ich doch etwas aus der Fassung. In Gedanken schließe ich mit meinem Leben ab. So gern hätte ich noch mal die Himmelslichter gesehen und meine Septe getroffen. Viele kleine Blitze schlagen in meinen Körper und es fühlt sich an diesen Stellen warm an. Es kitzelt auch unangenehm.
Mir wird erst jetzt bewusst, dass ich einen von ihnen getötet habe. Den Tod eines lebendigen Wesens zu verschulden, ist eine der größten Sünden, die im Buch der ersten Septe verzeichnet ist. Und dieses Wesen war noch dazu intelligent. Macht es das noch schlimmer? Ich weiß es nicht. Die Situation entwickelt sich in eine Richtung, die ich nie beabsichtigt habe. Ich suche Kontakt und keine Auseinandersetzung. Wir sind ein friedliches Volk. Doch nun müssen die Fremden annehmen, ich wolle sie alle töten. Wie kann ich dieses Missverständnis jetzt noch aufklären? Das Kitzeln wird stärker und mit der Zeit unangenehm. Ich beherrsche mich, so lange ich kann, doch die Fremden haben offenbar beschlossen, das Monster, für das sie mich halten, zu töten. Mein letzter Versuch, sie von meiner Ungefährlichkeit zu überzeugen, schlägt völlig fehl. Ich hebe meine sieben Arme und offenbare meine leeren Greifer. Das veranlasst sie zu noch wütenderen Angriffen. Wie kann man diese Geste falsch verstehen?
Immer weitere Menschen in Anzügen dringen aus dem Schott und feuern auf mich. Was sich zunächst nur warm anfühlt, wird für mich allmählich unangenehm heiß. Meine Passivität veranlasst sie nicht dazu, ihren Beschuss einzustellen. Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich zurückzuziehen. Ein Schritt zurück und ich durchdringe die Wand hinter mir. Einer meiner Füße steckt tief im Boden und ich fürchte schon, festzustecken, doch das Material ist überall so weich wie die Außenhaut. Die Angreifer folgen mir und ich gebe zu, dass ich in Panik gerate. Ich will einfach nur noch weg von diesen wütenden Wesen, die ich noch dazu so gut verstehen kann. Ich durchdringe Wand um Wand. Das Kreischen der Alarme wird immer chaotischer. Zwar kenne ich den Aufbau des fremden Schiffes nicht, aber ich bin sicher, mit jeder meiner Bewegungen neue Zerstörungen zu verursachen. Niemals wäre es mir in den Sinn gekommen, dass meine Mission so furchtbar danebengeht.
Ich will zurück zu meinem Schiff. Jeder Mikrozyklus länger an Bord des Zylinders würde das Schiff nur noch mehr zerstören. Mir fehlt völlig die Orientierung. Die Fremden hinter mir, fliehe ich kreuz und quer durch das Schiff. Vereinzelt höre ich Explosionen. Mehrfach sehe ich Menschen, die bereits tot sind. Versuche ich, sie sanft zur Seite zu schieben, zerfließen sie förmlich unter meinen Händen. Was sind das nur für Wesen? Bestehen sie nur aus Wasser? Mein Entsetzen wächst von Mikrozyklus zu Mikrozyklus.
Wie viele von ihnen habe ich jetzt schon getötet? Allein dieser Gedanke ist für ein Wesen meiner Rasse die höchste Seelenqual.
Als mir einfällt, dass ich zur Rückkehr zu meinem Schiff einen Widerstand benötigen werde, um mich abzustoßen, erfasst mich erneut die Panik. Das Material ist so weich, dass ich lediglich Löcher in die Wände und Böden treten werde, aber es würde mich nicht zum Schiff zurückbringen. Doch ich muss es versuchen, denn hierbleiben kann ich auch nicht, sonst gelingt es den Menschen am Ende noch, mich zu töten.
Ich trete mit den Beinen wie verrückt und zerfetze dabei alles, was mir unter die Füße kommt. Am Ende erwische ich dabei vermutlich die Kraftwerkszelle des Schiffes, denn es gibt eine gewaltige Explosion, die auch meinem Körper einige Schrammen zufügt. Das Letzte, was ich wahrnehme, ist mein Schiff, dem ich mich allmählich näherte. Die Automatik meines Schiffes hat mich erkannt und dafür gesorgt, dass ich wieder eingefangen werde. Für einen Moment verliere ich das Bewusstsein.
Ich erwache in einer Schleuse, deren Außenschott noch offensteht. Ich schließe das Schott und lasse Atemluft einpumpen. Erst dann erlaube ich mir, meine Poren wieder zu öffnen. Ich sauge gierig Luft durch alle Poren und der Schlag meiner Herzen beruhigt sich. Durch eine Scheibe des Außenschotts suche ich das Schiff der Menschen. Es ist verschwunden. Stattdessen treiben deformierte Teile überall herum.
Niedergeschlagen betrete ich die Zentrale des Schiffes und nehme auf einem Sitz Platz. Ich fühle mich schlecht. Die gesamte Besatzung eines fremden Raumschiffes habe ich auf dem Gewissen, samt dem Raumschiff selbst. Ich, ein Botschafter des Friedens, habe sie alle umgebracht. Wie soll ich mir das jemals verzeihen?
Später, als ich meinen Weg bereits fortgesetzt habe, verstand ich den Grund für das Desaster. Die Dichte der Körperstruktur eines Mitglieds meiner Rasse ist um ein Vielfaches höher als die Dichte der Masse eines Menschen oder seines Raumschiffes. Niemals hätten wir uns persönlich begegnen dürfen! Doch das konnten weder ich noch die anderen wissen. Macht es das besser? Macht mich das weniger schuldig? Meine gesamte Mission macht mir mit einem Mal keine Freude mehr. Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich wirklich einsam.
Ich will heim ...


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Kommentare zu diesem Text


 Regina (08.09.22, 16:13)
Spannend und sehr fantasievoll.

 phamatrix meinte dazu am 08.09.22 um 19:31:
Danke! :)

 Solvy (09.09.22, 11:55)
Erstmal herzlich willkommen bei KV!

Ein spannender Perspektivwechsel und eine Geschichte, die aufzeigt, wie schwierig Kontaktaufnahme unterschiedlicher Spezies sein kann bzw. zu was sie ungewollt führen kann. Trotz guter Absichten. Fesselnd und eindrücklich geschrieben.

Liebe Grüße
Solvy

 phamatrix antwortete darauf am 09.09.22 um 16:11:
Danke dir!
Teolein (70)
(09.09.22, 19:47)
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 Dieter_Rotmund (15.09.22, 08:09)
Nette Idee.
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