Auch im März noch

Schundroman zum Thema Abenteuer

von  alter79


*

Ich liege in einem in Weiß gehaltenen Raum, blicke zur Decke, weil es nicht anders geht. Ja, verdammt, ich kann mich nicht bewegen, - nicht einen Zentimeter. Nicht nach rechts, nach links, weder nach oben, nicht nach da, oder dort; ich kann an die Decke sehen - und ich kann denken.


Kaum zu glauben, denke ich, vor zig Jahren war ich mal einundzwanzig. Zwangsläufig wurde ich irgendwie älter, - und damit war alles, was ich früher getan hatte, längst verjährt.

Halt, alles nicht.

Stimmt!


Mit einundzwanzig war mir das Leben so ziemlich egal, denke ich; - ja, ich fühlte mich unsterblich, unverwundbar, als Held. Und genauso unbekümmert trat ich meinen Job als Schließer im Knast an - und hatte plötzlich doch Schiss, den ich nicht erklären konnte.

Es war schon seltsam, diese neue Erfahrung, - und nicht nur wegen der Furcht, nein, richtige Angst kam hinter der Furcht daher, die mir die Hoden hart werden ließ. Ich glaube es war so weil ich mich wehrte an modernden Steinen und rostigen Gittern meine Zeit Leben abzulesen ..., und ich hatte natürlich niemals daran gedacht Schließer zu werden.

Ach was, du kannst da zu jeder Zeit wieder aufhören, machst eine Erfahrung, die andere nie machen ..., und es ist genau die Zeit, ein Mann unter richtigen Männern zu werden, redete ich mir damals ein. Und dann war da noch meine Mutter, mit ihren Hoffnungen.

Ja, ich will, wie immer wenn ich in Action komme, mein aufgeregtes Herz abregen und mir selber den Sieger vor spielen, bevor ich mir als Versager auffalle. Doch zum Teufel, es gelingt nicht. Die Unruhe in meiner Brust rappelt weiter und Angst vor dem Versagen frisst sich in meinen Eingeweiden fest. Ich bleibe ein Herzinfarktanwärter, ein Bettler, im Warten auf Zuversicht, beim christlichen Abendmahl. Um dann, am Abendmahl voll gefressen, weiter nichts als den zum Bersten gespannten Leib auf den faulen Beamtenweg zu bringen.


Das Herz soll ja ein reines Gebirge von Muskeln sein. Und meines reagierte auf Stress mit Muskelkater, das ist vielleicht ein Mist, gestörter Herzrhythmus.


Quälend? Nein, total ungefährlich“, meint mein Arzt, „nehmen Sie täglich ein paar Tropfen Baldrian.“

Von Baldrian bekomme ich noch Kopfschmerz dazu. Erst sind die mir zwar fast unmerkbare Begleiter, dann melden sie sich jeden Tag ... Genau wie der Suff.

Mann, was blüht mir bloß noch alles?

Um das in mein Gedächtnis zu rufen gehe ich in meinem Hirn die alt bekannten Fakten durch. Doch ich muss mich erst beruhigen, mir ist zum Ersticken, - und mein trockener Atem erbricht sich schon wieder ins reichlich voll gespuckte Tempotuch.

Ach lass mich, Körper, denke ich, ich möchte jetzt nichts trinken, nichts reden; Kopf ..., nein, ich möchte auch nicht nachdenken!


Wenn man mich was Persönliches fragen würde, etwa: Was halten Sie bei sich für den wichtigsten Charakterzug, - oder so - , dann würde ich antworten, dass ich ehrlich bin, ehrlich zu anderen und, dass ich fast immer die Wahrheit sage und, dass ich mich deswegen immer wieder selber belüge, weil ich mir einrede, Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit werden belohnt, - dass das aber nicht stimmt, mit der Belohnung.

Trotzdem, ehrlich wie ich bin, würde ich das sagen.

Doch zum Glück fragt mich niemand ..., - würde aber, wenn man mich zum Thema Glück befragen sollte, antworten, dass mich keiner je danach fragt, was mir Glück wirklich bedeutet.

Später lernte ich: Man kann alles tun im Leben, bloß nicht ehrlich sein, nicht vertrauensvoll, nicht die Wahrheit sagen - und glücklich sein.

Doch wie gesagt, die Erkenntnis kam spät, und interessierte auch kein Schwein.


Die Dinosaurier starben aus oder gingen in Pension. Farben verblassten. Fußabdrücke wurden von kleinsten Wellen eingeebnet. Anekdoten blieben.

Mit: weißt du noch - der ..., fingen die an. Und man erinnerte sich.

Mal war es ein Gedanke an Schulze, der während des Frührapports in den Papierkorb kotzte; an Heinz Latzke, der in der Spätschicht wegen eines weggeworfenen Kippen eine Prügelei mit einem Häftling anfing, wobei sein Gebiss zerbrach, das er sich am Morgen erst hatte einsetzen lassen; an Meier drei, der Nachts vier Stunden unbemerkt im defekten Fahrstuhl gefangen war, weil die Kollegen Karten spielten, und er somit von der beginnend Frühschicht befreit wurde ... Und wenn man wollte, konnte man sich tausend Nächte mit solchen Geschichten vertreiben.


Ab irgendwann war mir alles im Leben egal. Auch der Mond interessierte mich nicht mehr, obwohl ich die Erzählung Peterchens Mondfahrt immer noch zu einer meinen liebsten Erinnerungsstücken zähle - und lange an der fantastischen Geschichte festhielt, wollte ich doch mal selber auf den Mond. Damals. Auf die Rückseite. Wo noch niemand war.


Warum mich der Mond usw. nicht mehr interessieren ist diese Geschichte. Ja, es galt diese Geschichte aufzuschreiben und das war mir wichtig.

Wenn Sie es nun nicht erwarten können ..., ich kann Ihnen in zwei Sätzen erzählen was passiert:

Sie erwartet das Geständnis eines Mannes der getötet hat. Eines Mannes, der nicht müde wurde und wird darüber zu erzählen, sich damit aus einander zu setzen. Über Liebe, Zweifel, Hass, Schuld und Sühne, usw., - wo nichts zu bereuen ist; doch Sie haben es ja schon gelesen? - also:

Gute Nacht, machen Sie was draus.




0. Kindheit und 1. Jugend


Der versuchte Suizid ist meine erste Erinnerung ans Leben. Und ich nehme es meiner Mutter nicht krumm, dass sie mich auf eine Reise mitnehmen wollte, die damals nicht meine war.

Heute weiß ich, Schuld an der Misere insgesamt war und ist ihr Mann -, obwohl wir über die näheren Umstände ihres Selbstmordversuches nie gesprochen haben.

Trotzdem, ich bin sicher, die Ursache ihrer Verzweiflungstat ist bei meinem Erzeuger zu suchen, diesem Vollidioten, denn der bestahl meine Mutter ’von vorne bis hinten’, wie sie sagte, schenkte das geklaute Zeug seiner Freundin, und verließ sie.

Ob was bei mir nachblieb?



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