Knochenmensch

Text

von  atala

Dieses Wesen, es muss aus dem Wasser gekommen sein. Überall wohin es geht, hinterlässt es faustgrosse Tränen, es tropft, es schwemmt die Ufer. Das Wesen erhellt alles um es herum, ist schön wie die Sonne, so hell, dass es nicht möglich ist, es direkt anzuschauen.

Niemand weiss, wie die Gestalt genau aussieht. Oder die, die es wissen, sagen nichts mehr.

Es wird erzählt, dass sie einmal ein zweiköpfiger Hund war, ein Tier mit fletschenden Reisszähnen und gelben Augen, das einen Eingang bewacht.

Es wird gesagt, sie habe eine magere Hand, verästelnde Blutbahnen.    

Oder es sei ein Knochenmensch, ein Menschenkörper ohne Herz in der Brust, Knochen wie Blumengesteck und aus dem Bauch quellen die Innerlichkeiten schlangenhaft hervor. Man sagt, sie komme aus Drachenköpfen hervor.

 

Diese Gestalt kann sich in alles verwandeln, was du möchtest. Sie kann sein, was immer sie will.

Es wird gesagt, du seist ein glücklicher Mensch, wenn du schläfst wenn sie auftaucht.

Sicher ist, dass sie allen irgendwann erscheinen wird. Sie hat die Gabe alle zu verwandeln.

Der Knochenmensch kann pfeifen und singen, so klar wie ein Tiefwasserwalfisch. Das Wesen singt dir die schönsten Lieder vor, die du je gehört hast. Dabei taumelt sie, sie dreht sich, zuerst sachte, dann schnell und schneller, reisst alles mit sich mit. Nichts bleibt wie es war. Sie tanzt so lange wie niemand tanzen kann.

Sie ist gross, sie hat Platz für alle deine Ängste, sie schwillt an, sie ist prall und dick.

Die, die wissen, wie der Knochenmensch aussieht, sagen es uns nicht. Wir schenken ihnen Blumen, zünden Kerzen an, behängen alles mit ihren Gesichtern, bieten ihnen Wasser und Huhn. Aber ihr schweigen bleiben eisern.

Einmal glaubte ich, die Gestalt gesehen zu haben. An einem Brunnen sass jemand und wusch sich. Wusch die Knie, die Arme, die Schultern, wusch ihre langen grünen Haare. Zwischen den Fingern aber war eine bläuliche Schwimmhaut aufgespannt, es waren Amphibienhände. Als ich näher trat, um die Finger zu betrachten, um die Haut genau anzusehen, merkte ich aber, dass es nur die Äste einer Weide war, die ins Wasser reichten.



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Kommentare zu diesem Text

Daniel (50)
(09.01.24, 06:17)
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