Gletscherschichten manifestieren

Text

von  atala

Bevor unser Haus in Flammen aufgehen wird, ist es geflutet worden.

Riesige Wassermassen kamen vom Himmel. Regenfälle wie Wasserfälle. Ein Fluss aus Schlamm, Dreck, aus Schutt kam von den Hügeln und hat den Keller geflutet, hat jedes Zimmer mit kontaminierten Wasser gefüllt. Knapp über der Decke blieb eine Luftschicht, in der wir unsere Köpfe geklemmt haben. So haben wir die Tage ausgeharrt.

Dann kam die Hitze. Sie war plötzlich da, als wir auf dem aufgequollenen Boden aufwachten. Jetzt spüren wir die Sonne durch das Dach, selbst nachts scheint sie zu glühen. Die Luft ist Fleisch geworden, als könnte man nach ihr greifen.

Das Wasser der Fluten ist versickert, verdunstet und hat einen moderigen Verwesungsgestank hinterlassen. Wir schauen aus dem Fenster und fragen uns, was mit unserem Nachbarn geschehen ist. Sein Haus ist von den Fluten mitgetragen worden, da wo es stand, ist jetzt Brachland. Unser Nachbar lebte schon in Friedenszeiten im Weltende. Er hat massenhaft Vorräte gebunkert und daraus Türme und Wände gebaut. Hatte er Hunger, ass er jeweils die vorderste Konservendose aus seinem Arsenal und füllte hinten neue auf, Zirkulation nannte er das. Seine Tagesdosis Notvorrat.

Er machte Videos davon, wie er sein Wochenende im Panikraum verbrachte, einem eingerichteten Kellerabteil, und seine Tools testete. Wir sahen: Sein Notfallradio, das mit einer Kurbel betrieben wurde, empfing leider keinen Empfang, dafür übte er Stabkampf gegen mögliche Eindringlinge.

Unser Nachbar träumte davon, während dem Weltuntergang gelangweilt an High-Fat-High-Protein-Riegeln zu knabbern, das tausend Kalorien enthält, und den anderen über die Überwachungskameras beim Durchdrehen zuschauen. Mit einer Flut schien er aber nicht gerechnet zu haben.

Wir schauten die Videos manchmal als Abendunterhaltung auf unseren Screens. Unter den schlimmsten Szenarien und seinen Überlebenstipps hatte er Flötenmusik gelegt.

 

Während unser Nachbar sich verschanzte, fanden auch wir ein Hilfsmittel. Wir waren auf anderen Videos darauf gestossen, wir könnten alles erreichen, was wir wollten, wir müssten nur unsere Wünsche und Ziele manifestieren. Unsere Intention laut aussprechen, so könne man die Realität steuern. Vollmond, Blutmond, Blaumond, Leermond. Jede Art von Gestirnenkonstellation werde unsere Manifestation noch mehr unterstützen. Nun sprechen wir Zaubersprüche, beschwören eine Zukunft herauf. Wir schliessen unseren ehemaligen Nachbarn in unsere Zaubersprüche ein. Mögen seine Konservendosen aufgeplatzt sein, mögen sie die überlebenden Tieren sättigen.

Heute ist ein Meteoritenschwarm angekündigt. Auch davon erhoffen wir uns eine hohe Vibration und planen nachts das Haus zu verlassen und unsere Wünsche durch ein Vision Board bildlich zu manifestieren. Das haben sie uns in den Videos geraten, das helfe, sich mit dem Zukunfts-Ich zu verbinden.

Wir werden mit Glassplitter Tiere in den verseuchten Lehmboden ritzen. Neue Wesen, die hitzeresistent und krisenerprobt sind. Die meterdickes Fell und Panzerfettschicht haben, die sich von nichts berühren lassen. Wir werden so lange Zeichen in den Sand setzen, bis wir nicht mehr erkennen können, was wir malen.

Wir malen Monumente der Freundschaft, wir malen labyrinthische Versonnenheit. Wir malen Gletscherschichten in den verseuchten Boden, wir malen eingebunkerte Herzen, wir malen Unversehrtheit, wir malen Schutzkreise.




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Kommentare zu diesem Text


 eiskimo (07.09.23, 16:50)
Guter Text!
Eindringliche Worte und beklemmende Bilder, das Ganze vor einer Tagesaktualität, die dem Text kaum nachsteht.
Lasset uns beten!
Eiskimo

 AchterZwerg meinte dazu am 08.09.23 um 06:48:
Dem kann ich mich nur anschließen!
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