11.10.48

Text zum Thema Erinnerung

von  Janna


Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich die einzige bin, die heute an dich denkt. Wer denkt schon an jemanden, der seit über 70 Jahren tot ist? Dessen Zeitspanne so kurz war, dass nichts mehr an ihn erinnert, außer einem vergilbten Eintrag im Stammbuch der Familie. Es existiert kein Photo, weil du zu einer Zeit geboren wurdest, in der Photographieren ein Luxus war.
Ich kannte dich nicht einmal. Immerhin sind unsere Leben miteinander verknüpft, denn ich glaube, ich wäre nicht da, wenn du nicht gegangen wärst. Du kamst an einem Montag zur Welt: 11. Oktober 1948. Unsere Mutter erzählte mir manchmal von dir und jedes Mal hatte sie Tränen in den Augen, auch 50 Jahre später noch. 4 Monate blieben dir Zeit, dann brach eine Grippeepidemie aus, der du zum Opfer fielst. Später besuchte ich mit unserem Vater oft dein Grab, anfangs ohne zu wissen, dass du dort liegst. Er erzählte mir von dir, als ich 6 Jahre alt war. Ich war traurig und weinte, aber er meinte, ich müsse nicht traurig sein, ich bekäme bald einen anderen Bruder. Den bekam ich auch, aber dein Bild bekam ich nie aus dem Kopf: Der kleine Junge im weißen Sarg, der mir großer Bruder gewesen wäre.




Anmerkung von Janna:

 gewidmet meinem kleinen großen Bruder Wolfgang

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