Rede über die Hochstapelei (28.11.2019)

Predigt

von  Hamlet

Liebe Leser, Hörer und Literaten, ihr kennt die Müdigkeit, die euch gähnen macht und die Zeit lang werden lässt, wenn jemand zu lange redet, obwohl er fast nichts sagt. Das Einfache wird kompliziert, sodass ihr frustriert aufgebt, weil ihr denkt, dass es zu schwierig sei. Das zeigt sich oft in Fernsehsendungen, bei Klassenkameraden, die nicht zur Sache kommen oder bei Lehrern, die etwas lehren, obwohl sie es nicht gelebt haben. Dazu hat Schopenhauer Folgendes gesagt: „Viele Worte zu machen, um wenige Gedanken mitzuteilen, ist überall das untrügliche Zeichen von Mittelmäßigkeit.“

Ich habe nichts gegen Mittelmäßigkeit und bin selber noch nirgends ein Meister. Doch das Getue ärgert mich, das Getue, wenn jemand mehr scheinen will, als er zurzeit noch ist. Denn wer nicht gelebt hat, was er sagt, konstruiert nur mit dem Kopf. Ihm fehlt noch das Herz, aus dem die Ausstrahlung kommt, welche letztendlich überzeugt. Da aber die wenigsten Meister sind, ist Mittelmäßigkeit keineswegs zu verurteilen, sondern anzunehmen als ein Zwischenschritt.

Zu verurteilen ist aber die bewusste Verstellung, die Hochstapelei: nicht nur, weil ihr andere verwirrt, wenn sie durch die vielen leeren Phrasen den Punkt nicht finden; nicht nur, weil man ein schlechtes Vorbild ist, wenn man Schönheit verhindert, weil die klare Ordnung fehlt, sondern weil ihr selber nicht mehr aufsteigen könnt.

Denn ist es nicht wie in der Medizin? Nur wer zugibt, dass er krank ist, kann Heilung finden. Und nur wer zugibt, dass er etwas nicht weiß, kann Neues lernen. Nur wer sich als Anfänger und später als mittelmäßig bejaht, kann zur Meisterschaft gelangen. Nur wer sein Glas leert, kann es wieder füllen.

Viele Worte zu machen, um wenige Gedanken mitzuteilen, ist überall das untrügliche Zeichen von Mittelmäßigkeit“, gerade weil er versucht, mit vielen komplizierten Bewegungen einen Meister vorzutäuschen. Tatsächlich nähert sich ein Meister wieder dem Anfänger, indem er so einfach redet wie möglich, ja der Dichter verdichtet Erfahrungen in wenigen Worten und der Samurai macht keine falsche Bewegung, sodass jeder Schlag trifft.

Zwar können sich Hochstapler kurzzeitig oft durchmausern. Doch langfristig sind sie eine Enttäuschung – etwa wie ein überschminktes, stark parfümiertes in ein Korsett gezwängtes Mädchen, das in einer flimmernden Disco eine Schönheit vortäuscht, welche bei Tageslicht schwindet.

Also Freunde der Kunst, ihr habt mich verstanden: Ich habe nichts gegen Mittelmäßigkeit und bin selber noch nirgends ein Meister. Mittelmäßigkeit ist keine Schande, sondern ein Zwischenschritt zur Meisterschaft. Und nur die Meisterschaft beglückt, weil man frei ist, sich ausdrückt und alles schön wird, was man macht. Doch jede Hochstapelei ist eine Schande, nicht nur, weil ihr andere täuscht, sondern weil ihr selber eine Enttäuschung seid. Seid also so kompliziert wie nötig und so einfach wie möglich, denn: „Viele Worte zu machen, um wenige Gedanken mitzuteilen, ist überall das untrügliche Zeichen von Mittelmäßigkeit.“



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