Rede über das Alleinsein (29.01.2022)

Predigt

von  Hamlet

Liebe Freunde, wir alle wollen Glück und Frieden, doch keinen Frieden ohne Abenteuer, weil dieser Friede Langeweile wäre. Und Langeweile scheint uns Einsamkeit im stillen Zimmer – ohne Buch, ohne Fernseher, ohne Internet, ohne Handy, ohne Freunde. Daher frage ich, ob es ein Fluch ist, allein zu sein.

Hans Krailsheimer bejaht diese Frage teilweise, indem er sagt: Allein sein müssen ist das Schwerste, allein sein können das Schönste. Ja im Müssen gibt es keine Freiheit. Wir müssen altern. Wir müssen krank werden. Wir müssen getrennt werden von Geliebtem. Wir müssen sterben. Und Ebenso sind wir nicht frei, wenn wir allein sein müssen. Wenn ich keine Verabredung in meinem Wochenplan habe, lese ich zwar in meinem Lieblingsbuch und sehe abends einen Film; doch ich kann mich kaum konzentrieren, ja ich kann mein Alleinsein nicht genießen, wenn ich keine Freunde in Aussicht habe. Vielmehr habe ich Angst, das Leben zu verpassen, keine Erfahrungen zu machen, keine Abenteuer zu erleben. Weder genieße ich soziale Kontakte noch bilde ich mich, da mich die Ungewissheit grübeln lässt und das Grübeln ab vom Lernen lenkt. Insofern ist das Allein-sein-Müssen das Schwerste, vielleicht ein Fluch.

Andererseits ist das Allein-sein-Können das Schönste. Der Unterschied liegt in den Modalverben Müssen und Können. Ja – im Können gibt es eine Freiheit. Also nicht, weil ich fünf Tage allein in meinem Zimmer bin, fühle ich mich unfrei, sondern weil ich nicht weiß, dass ich mich jederzeit verabreden könnte, sobald ich es wollte. Doch wenn ich montags schon weiß, dass ich am Donnerstag und am Samstag verabredet bin, fühle ich mich frei darin, fünf Tage alleine zu sein: Dann erst lese ich unabgelenkt mein Lieblingsbuch. Dann erst freue ich mich abends auf einen Film. Dann erst fülle ich mich in der Einsamkeit auf, sodass ich ausgeruhter und interessanter unter meine Bekannten trete. Nur wenn ich aus Freiheit alleine bin, genieße ich mein Alleinsein. Allein sein müssen ist das Schwerste, allein sein können das Schönste.

Lasst uns die Extreme meiden, die unser Wachstum hemmen; nämlich erstens die unfreie Einsamkeit ohne Freunde, in der ich keinen Frieden, auch nicht zum Lernen finde. Und das zweite Extrem leuchtet uns auch ein, nämlich täglich mit Leuten rumzuhängen, die sich nicht fördern, sondern hemmen, gerade weil sie keine Einsamkeit finden, sich auszuruhen, sich aufzuladen, sich weiterzubilden. Zwar kennen sie viele Leute, doch haben sie keine Einsamkeit, durch die sie zu wertvolleren Freunden werden.

Liebe Freunde, […] alles Gute wächst aus der Ruhe und Ruhe finden wir, wenn wir alleine sind. Lasst uns die Mitte wählen zwischen freigewählter Einsamkeit und sozialen Begegnungen. Denn das eine bereichert das andere. Allein sein müssen ist das Schwerste, allein sein können das Schönste.



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