Mäzen

Text

von  baujahr71

Hätte ich vorher gewusst, dass ein einzelner Gedanke und dessen Umsetzung in eine Tat mein Leben so verändern würde -- ich wäre an diesem Morgen besser nicht aufgestanden.

            »Keiner außer Dir mag Deine Texte«: so oder so ähnlich hatte ich mir ein paar Fetzen aus einem Traum in die Wirklichkeit gezogen. Vorher bekam ich durch einen schmalen Spalt im Vorhang meines Schlafzimmers ein paar Sonnenstrahlen ab. Eigentlich achte ich immer auf eine komplette Verdunkelung meiner Schlafstatt, doch hier war ich offenbar am Abend zuvor etwas nachlässig und prüfte nicht auf die perfekte Überlappung des leichten Stoffes. Im Nachhinein sollte sich dies als fatal herausstellen, wer weiß ob ich sonst noch weiter geträumt hätte und ohne Erinnerung aufgewacht wäre.

            Jedenfalls ging mir der Satz nicht aus dem Kopf, auch nicht beim frühen Blick in den großen antiken Spiegel über der Vitrine im warmen Badezimmer. Hier fallen mir für gewöhnlich die Aufgaben des Tages ein. Auch bei der folgenden Routine, die im Wesentlichen aus langem heißem Duschen, langsamen Gang die breite Treppe herunter, doppelt Espresso kochen und Sinnieren besteht, gruben sich die Worte fast bildlich als Buchstaben auf meine Netzhaut. Das hatte etwas zu bedeuten, denn sonst kann ich mich kaum so plastisch an Passagen meiner Träume erinnern.

Ich hatte ein großes blaues Badetuch umgewickelt, schlurfte herum, öffnete mit einem click die riesige Schiebetür zur üppigen Veranda und ging ein paar Schritte in Richtung des Pools, auf dessen Wasseroberfläche sich sanfte Wellen kräuselten. Kurz wollte ich wie in alten Zeiten per mutiger Bombe hineinspringen, entschied mich aber dann doch für einen kleinen Spaziergang um meine stattliche Rosensammlung, die in breiten Flächen schon voll in der Blüte stand. In diesem Jahr hatte ich einige Neuanschaffungen, die sich wunderbar in das gesamte Ensemble einfügten und meinem Gärtner einiges an Kopfzerbrechen bereiteten. Ich bestand seit geraumer Zeit darauf, eine Mischung aus hunderten Tulpen und Dutzenden Rosen anzubauen -- und das ohne Lücken im Beet, wohl sortiert nach den Farben. So konnte ich schon sehr zeitig im Jahr die vollste Farbenpracht erleben ohne zu warten, bis der Sommer seine Kräfte ausspielt. Der Gärtner war nicht so begeistert wie ich, musste er sich doch merken, wo noch Platz für neue Stämme war, ohne die dort schlummernden Zwiebeln zu zerstören. Schlummern..., ja das ist genau das Stichwort, denn schon wieder reihen sich die Worte dieses ominösen Satzes vor meinen Augen, als ich zurück zum Haus blicke.

 

Hmm, das Haus. Ich muss so weit ausholen, weil viele Details eigene Rollen in den folgenden Geschehnissen spielten. Ich hatte die Geometrie nach einer fixen Idee mit einem Architekten besprochen, den ich auf einer Vernissage von S. traf. Dabei kam unser kleiner Austausch eher per Zufall in Gang. Er unterhielt sich eben noch vertraut mit dem Künstler, wurde von diesem jedoch plötzlich stehen gelassen. S. nickte mir zu und mache dabei eine Miene, die ich als Hilferuf deutete. Also machte ich mich in Richtung des Architekten auf und versuchte nach höflichem Gruß gar nicht erst, über die Kunst zu lamentieren. Vielmehr flüsterte ich ihm meine Sicht auf die Divergenz von Form und Funktion zu, was offenbar ein Gespräch nach seinem Geschmack war. Wir standen so sehr lange inmitten der Anderen. Ohne nochmalige Rückfrage hielt er einige Tage später für mich ausgearbeitete Entwürfe bereit und fragte nebenbei, ob ich denn auch an einer Errichtung interessiert sei. Ich bejahte und auf den Tag genau nach einem Jahr zog ich ein. Insgeheim hatte ich damit gerechnet, dass er meinen Spleen durchkreuzen würde, aber nein, er baute sozusagen meine Gedanken nach:

            Von der ausgefeilten Vorderfront hatte man keinen Eindruck über die Art des Hauses, ganz im Gegensatz zu dem Teil, der dem Park zugewandt ist. Im linken Flügel befindet sich mein Bureau, das ich kurzerhand im Inneren so gestalten ließ wie der Voltaire-Salon in Sans-Souci. In meiner Erinnerung durchlebe ich meinen ersten Besuch im Schloss. Ich war vom damaligen zähen Rundgang nicht sehr begeistert, um ehrlich zu sein hatte ich die Üppigkeit schnell über, naiv meinte ich wohl, dass der Grundriss unpraktisch sei u.ä. Das änderte sich schlagartig im allerletzten Zimmer, dessen feine Nuancen darauf abzielten, jemanden zum Bleiben zu bewegen. Auch wenn ich derjenige sein sollte, der bleibt.

Hier gibt es Fenster, die vom Boden bis zur fünf Meter hohen Decke reichen und an passenden Sommerabenden geöffnet werden. Die Scheiben zaubern mit ihren filigranen Gittern wunderbar geschwungene Muster auf alle Gegenstände im Raum. Dem Ausstatter gab ich besondere Order, auch einen passenden Tisch zu integrieren, naja, so einen wie ihn der Alte benutzt hätte. Alle Kabel hatten unsichtbar zu sein: obwohl ich natürlich auf meiner station tippen muss, hier war seine Profession gefragt. Die Ornamente der vielen verschiedenen Tiere an den Wänden, die Reliefs der exotischen Pflanzen und Früchte, die herrliche Farbwahl der Malerei an den Decken, die filigrane Materialauswahl, der meisterlich verlegte Boden und die perfekt inszenierte Beleuchtung versetzten mich um Jahrhunderte zurück, was meiner Arbeit sehr zuträglich ist.

Durch die Seitentür im Salon betritt man den main, so nenne ich jenen Bereich, der alle Funktionen möglich macht. Der ganze Platz ist licht-überflutet, exakte Südausrichtung. Schwerpunkt bildet hier eine geschmackvolle überproportionale Couchlandschaft, welche die massive Fläche in Schlängeln durchquert und immer wieder neue Perspektiven beim Blick durch die Glasfassade öffnet. Die seitlichen Wände halten den nötigen Platz für ein paar Werke von S. bereit und werden dezent von Büchertürmchen unterbrochen. Die Beleuchtung besteht aus einem sanften Geflecht warm-weiß leuchtender Bänder, die sich wie die umgedrehten Wurzeln eines alten Waldes an der Decke ausbreiten.

Ich besitze keinerlei TV im Haus, weil der deutsche Film im Gegensatz zum deutschen Buch hirntot ist. Mein Beitrag zur Festigung dieses Verhältnisses ist beträchtlich -- ich komme noch darauf zurück.

Damit alles beieinandersteht, ist der Küchenblock von gewaltiger Länge mit allen technischen Finessen ausgestattet und nur einen Katzensprung entfernt. Die Grundstimmung ist hell, Farbtupfer sind mit Bedacht gewählt. Alles wirkt unaufdringlich.

Im rechten Flügel, der sich hier anschließt, befinden sich meine Jahreszeiten. Ich habe die hohen Wände reihum in Makroaufnahme mit detailreichen Schneekristallen für den Winter, zarten Blüten der Schneeglöckchen für den Frühling, sandigem Strand-Idyll in Azur für den Sommer und der bunten Laubszene einer üppigen alten Allee für den Herbst dekorieren lassen. Die bodentiefen Fenster, die ebenfalls zur Veranda herausführen, sind geschickt eingewoben. Nach einer Weile verliert man hier jedes Gefühl für Zeit und Raum, dafür sorgen die zwei einzigen Möbel: in der Mitte steht mein sehr bequemer Drehsessel, auf den Sideboards das HiFi mit den Platten. Ich ließ mir vom Techniker ausführlich die verschiedenen Modi der bombastischen Spiegelkugel erklären, die von der Decke hängt. Die Effekteboxen in den Ecken beherrschen nicht nur UV, Strobo und Laser in jeder erdenklichen Farbe, sondern auch kleine Holos. Die LPs sind unsortiert, manchmal greife ich mit geschlossenen Augen eine der vielen Hüllen, mag das unnötige Entstauben und das unverkennbar markante Geräusch, wenn die Nadel in der Rille gefangen ist.

An den Pool und die Beete schließt sich ein langsam abfallender Park an, der von schmalen Wegen durchzogen ist. Ich hatte erst kleine Kieselsteine einbauen lassen, aber offen gesagt ist das alles andere als ästhetisch - man bekommt einen seltsamen Hang: der Griff zum Rechen steigert sich manisch, es ist wie Anfang ohne Ende, ich ließ das später durch hellgrauen Stein ersetzen. Bei der Gelegenheit konnte ich auch gleich noch die multifunktionale Illumination geschickt einflechten lassen, die vorher aus geschmacklos gruseligen Laternen bestand und jede Menge dunkle Spots fabrizierte.

Der letzte Wegabschnitt zum Teich mit den riesigen Trauerweiden und der kleinen Insel in seiner Mitte ist von der Veranda nur zu erahnen. Vor einigen Jahren hatte ich um ihn herum eine Handvoll Tinys mit kompletter und fulminanter Inneneinrichtung bauen lassen -- ich bin ein offenes Haus und mag niemanden zum Gehen überreden. Deren Lage zueinander garantiert absolute Privatsphäre, geographisch ist es unmöglich, jemanden zu stören oder auch nur zu bemerken. Das ganze Ambiente ist der Grund dafür, dass die Schwäne am Ufer verweilen und ihre Anmut mit den Bewohnern am Teich teilen.

 

Ich stand also immer noch mit dem Rücken zum Pool und nippte noch den letzten Schluck vom Jura. Die grelle Sonne war schon voll in Aktion und ich spürte, dass es ein sehr heißer Tag werden würde. Auf dem kleinen Kaffeetisch, der unter einem gelb-weißen Segel aufgestellt ist, stellte ich mein Tässchen ab und ließ den Blick auf einen kleinen Stapel Poststücke fallen, der dort drapiert war. Beim Durchsehen fiel mir dann ein Blättchen mit Coupons der Marke D. auf. Die überschwänglichen Hochglanzdarstellungen der Offerte waren mit einer Perforation umrandet und während ich mit dem Daumen über die Struktur glitt, kam mir der Einfall, der nach dem Traum eine weitere markante Station der Geschehnisse bilden sollte. Noch war alles sehr wage und Vieles nicht bedacht -- aber ich kenne mich, ich hatte Blut geleckt.

 

 

 



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Kommentare zu diesem Text

SGA14 (40)
(18.01.24, 15:18)
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 baujahr71 meinte dazu am 18.01.24 um 15:55:
Hallo SGA14,

(ich weiß nicht ob das hier so Sitte ist) Vielen Dank für die Empfehlung  <3

 Dieter Wal (18.01.24, 21:23)
Im linken Flügel befindet sich mein Bureau
Beeindruckend gepflegte deutsche Sprache mit zuweilen gaaaaaaaaaaaaanz leichtem französisierendem Einschlag.  ;) Erinnert mich an ...? 


Herzlich willkommen bei kV!

 baujahr71 antwortete darauf am 19.01.24 um 08:57:
Hallo Dieter Wal,

danke für das herzliche Willkommen  :) und die Empfehlung.


...den Alten aus Neuchâtel, den ich vor Jahren verschlang?!

 Dieter Wal schrieb daraufhin am 19.01.24 um 09:32:
...den Alten aus Neuchâtel, den ich vor Jahren verschlang?!
Dürrenmatt?

 baujahr71 äußerte darauf am 19.01.24 um 09:54:
derjenige 

Ich mochte vor allem seine "Brotkunst".
Späteres auch, das hatte für mich aber nicht mehr den Biss.

 Dieter Wal ergänzte dazu am 19.01.24 um 10:40:
Ich mochte vor allem seine "Brotkunst".
Die da wäre?


Die Anschaffung seiner Gesammelten Werke finde ich nahezu so ertragreich wie Shakespeares.

 baujahr71 meinte dazu am 19.01.24 um 10:59:
Richter, Dame, Justiz etc...

Mit "Durcheinandertal" konnte ich gar nichts anfangen. 
Der Typ IST der reine Ertrag.

 Dieter_Rotmund (25.01.24, 14:05)
Hallo Baujahr,

du bemühst dich offensichtlich handwerklich um eine gewisse Bret-Easton-Ellis-Ästhetik , was dir ganz gut gelingt. Was aber fehlt ist, dass das anfängliche Interesse am Protagonist (reich und depressiv und irgendeinen Persönlichkeitsstörung?) doch sehr schnell nachlässt, da würde ich zwischendrin ein paar Neugierigmacher mehr einsetzen.

 baujahr71 meinte dazu am 25.01.24 um 16:41:
Hallo Dieter_Rotmund, vielen Dank für deine Nachricht.


Ja, wie bekomme ich das handwerklich hin?! Da bin ich für jede Hilfe dankbar.

Ich hatte die Herausforderung, das Umfeld so detailreich wie möglich zu beschreiben und gleichzeitig irgendwie die Marotten des Protagonisten einzuflechten.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 27.01.24 um 16:51:
Das ist recht einfach: Show, don't tell.
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