Gewinnergeschichte

Text

von  autoralexanderschwarz

„Du“, sage ich zum Professor, der sich eine Erdbeerschorle eingegossen und dann auch noch eine gesalzene Gurkenscheibe in sein Glas geworfen hat,

„ich will da an so einem Literaturwettbewerb teilnehmen. Da denke ich schon eine ganze Weile drüber nach.“

„So, so“, antwortet der Professor und betrachtet mich dabei prüfend. Einige Sekunden ist es still, bis dann das Lachen auf einmal aus ihm herausbricht:

„An einem Literaturwettbewerb“ wiederholt er und kann sich nur mühsam beherrschen:

„Ist das nicht ein wenig infantil? Der Traum von der Schriftstellerei? Du bist ja schon über 40.“

„Ich wollte mich da gar nicht für rechtfertigen oder verspotten lassen“, sage ich sehr ruhig und versuche dabei meine Empörung zu überspielen, „es ist nur ein so seltsames Thema.“

„So“, sagt der Professor und hört abrupt auf zu lachen. Für einen Moment sieht er ganz ruhig aus, nur sein Mundwinkel zuckt noch einige Male.

„Was ist denn das Thema?“, fragt er schließlich und reckt den Kopf dabei ein Stück vor.

„Das ist es eben. Es soll eine Geschichte sein, die dort passiert, wo ich bin und die so passieren soll, dass sie nur mir oder den „Meinen“ passieren könnte. Ich glaube, es ist gemeint, dass es eine individuelle Geschichte sein soll, die ein wenig, so wird es an anderen Stellen der Ausschreibung deutlich, in Opposition zum Mainstream und der modernen globalisierten Welt steht. Irgendwie so.“

„Hmmh“, sagt der Professor und bleibt still, während die Röte langsam wieder aus seinem Gesicht weicht, „hmmh“, sagt er dann noch einmal und nimmt einen Schluck von seiner Erdbeerschorle.

„Du trinkst immer so seltsame Sachen“, sage ich, um vom Thema abzulenken, „Erdbeerschorle mit Gurkenscheibe“, sage ich, „sowas habe ich noch nie gesehen.“

„Lenk mal nicht ab“, sagt der Professor und schwenkt seine Schorle, so dass die Gurkenscheibe immer wieder an der Innenseite des Glases entlangstreicht.

„Du brauchst also meine Hilfe?“, fragt er schließlich.

„So habe ich das nicht gemeint“, antworte ich, „ich wollte nur mal hören, was du so dazu sagst, aber ich habe durchaus auch schon ein paar eigene Ideen. Ich würde nicht sagen, dass ich wirklich Hilfe benötige.“

„Das ist schon o.k.“, sagt der Professor und lächelt,

„warum soll das Kaninchen nicht mit dem Löwen tanzen, wenn es alleine Angst vor dem bösen Hund hat?“

Er trinkt einen kleinen Schluck von seiner Erdbeerschorle, während er mich aufmerksam betrachtet.

„Warum soll...“,

„Schon gut“, unterbreche ich ihn,

„ich habe schon dein erstes Bild verstanden und mir ist schon auch klar, wem aus deiner Sicht welche Rolle zukommt.“

„Es ist nur eine Metapher“, sagt der Professor,

„ich weiß ja, dass du kein Kaninchen bist. Es könnte auch ein ganz anderes Tier sein. Wichtig ist ja nur, dass es kleiner als der Hund und der Löwe ist.“

„Vergiss es“, sage ich, „es war ein Fehler zu fragen. War ja klar, dass du mir mit sowas kommst. Das nächste Mal frage ich wohl lieber jemand anderen.“

Für einen kurzen Moment ist es still.

Ich blicke zum Professor hinüber, der nun wiederum sehr angestrengt in eine andere Richtung schaut.

„Bist du jetzt beleidigt?“, frage ich ihn.

„Wie kommst du denn darauf?“, fragt er, während er einen Fleck an der Wand betrachtet, der einmal entstanden ist, als er mir vor einigen Jahren gezeigt hat, wie man eine Weinflasche nur mit dem Daumen öffnet.“

„Na ja“, sage ich, „während du sonst ja unablässig redest, schweigst du nun auf einmal und außerdem starrst du den Fleck an, den du immer anstarrst, wenn du beleidigt bist; den Fleck, der damals entstanden ist, als du mir gezeigt hast, wie man eine Weinflasche nur mit dem Daumen öffnet.“

Jetzt erst blickt er mich an und sieht dabei ernsthaft bestürzt aus.

Er hat richtige Hundeaugen.

„Ich wollte ja nur helfen“, sagt er und blickt zur Wand,

„und ich weiß gar nicht, warum du so gemein zu mir bist.“

„Tut mir leid“, sage ich.

„Ist schon gut“, sagt er und blickt dann wieder zum Fleck.

„Außerdem hatten wir uns ja auch schon darauf geeinigt, dass es an dem Flaschenhals lag. Du selbst hast gesagt, dass es bei einem normalen Flaschenhals vielleicht noch besser funktioniert hätte.“

„Ist schon gut“, sage ich, weil er Recht hat und weil der Flaschenhals wirklich länger, als bei einer normalen Flasche gewesen war. Wir haben das damals extra noch verglichen.

„Was wolltest du denn mit deiner Metapher sagen, außer dass ich das Kaninchen bin und du der Löwe?“

„Ich wollte dir ein Angebot machen, aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich es aufrechterhalten soll.“

„Was denn für ein Angebot?“, frage ich und trinke einen Schluck von meinem Blaubeersaft.

„Ich finde das seltsam, dass du dir immer Zimt in deinen Blaubeersaft streust“, sagt der Professor und trinkt einen Schluck von seiner Erdbeerschorle.

„Blaubeeren und Zimt passen doch gar nicht zusammen.“

„Lenk mal nicht ab“, sage ich zum Professor, „was denn für ein Angebot? Ich höre dir zu.“

„Na ja“, sagt der Professor und setzt sich ein wenig aufrechter, was mich – unbewusst – dazu bewegt, mich selbst auch ein wenig aufrechter zu setzen. Man versinkt immer so in diesen Sesseln.

„Die Geschichte soll ja da spielen, wo du bist“, erklärt der Professor,

„und sie soll eine individuelle Geschichte sein und sie muss so besonders sein, dass sie zwischen all den anderen Geschichten zur Siegergeschichte gewählt wird. Natürlich könntest du über dich selbst schreiben, deine Gedanken über die Welt, all den depressiven Mist über den Niedergang der Kultur, die Verkümmerung des politischen Betriebs, die Zerstörung des Bildungssystems, den Digitalismus, die stetig wachsende Stupidität oder dass wir am Ende doch nur Primaten sind, die immer komplexere Maschinen bedienen.“

„Ja“, sage ich ein wenig traurig, „ebenso wie wir unseren Blinddarm nicht mehr brauchen, brauchen wir wohl bald auch große Teile unseres Gehirns nicht mehr. Horkheimer hat das ja schon damals gesehen.“

„Das“, sagt der Professor, „interessiert die Leute aber einen Scheiß. Da können sie ja die Nachrichten gucken, wenn sie das interessiert. Die wählen doch keine Geschichte zur Gewinnergeschichte, wenn du da drin dann über den Kulturbetrieb herziehst. Das wäre ja so, als ob man seine liebevoll restaurierte Wohnung an einen Anarchisten vermietet. So eine Gewinnergeschichte braucht ein Abenteuer, packende Wendungen, Überraschungen, es muss etwas zu lachen geben und du brauchst eine positive Figur, mit der man sich identifizieren kann, kurz“, sagt der Professor,

„und knapp zusammengefasst, wollte ich dir anbieten, dass du ja...“,

noch einmal zögert er kurz und geht dann hinüber in die Küche, um sein Glas aufzufüllen,

„ja“, sage ich, als er sich wieder setzt,

„... dass du eigentlich nur dann eine realistische Chance zu gewinnen hast, wenn du über mich schreibst“, sagt der Professor,

„das meinte ich mit der Löwenmetapher.“

Er betrachtet mich sehr aufmerksam.

„Ich soll über dich schreiben?“, frage ich ihn und lache,

„warum nur sollte ich ausgerechnet über dich schreiben?“

„Nun ja“, sagt der Professor,

„ich habe ja durchaus schon einiges erlebt“ und dann, ein wenig leiser:

„Ich bin ja nicht immer Professor gewesen.“

Überrascht schaue ich ihn an. Obwohl wir seit vielen Jahren immer wieder auf diesen Sesseln sitzen, haben wir noch nie über seine Vergangenheit gesprochen. Irgendwie war das nie wichtig.

„Was hast du denn gemacht?“, frage ich den Professor, „was so spannend ist, dass es zur Gewinnergeschichte taugt?“

„Nun ja“, sagt der Professor noch einmal, „mir sind da schon einige recht außergewöhnliche Sachen passiert, aber dir fehlt wohl noch etwas“, ergänzt er und schaut mich tadelnd an,

„was?“, frage ich zurück, weil mein Glas noch halbvoll ist und ich gerade irgendwie sehr bequem sitze,

„ein Block“, sagt der Professor,

„du brauchst einen Block und einen Stift. Gerade die Details sind ja wichtig. Ich werde versuchen es so druckreif wie möglich zu erzählen. Kleinigkeiten können wir dann ja noch gemeinsam abändern.“

„Ich weiß nicht“, sage ich, „eigentlich wollte ich ja eine eigene Geschichte schreiben.“

„Nur so kannst du gewinnen“, sagt der Professor sehr ernst,

„dir bietet sich da wohl gerade eine einmalige Chance.“

„Na gut“, antworte ich, trinke einen Schluck von meinem Blaubeersaft und hole dann einen Block und einen Bleistift aus dem Nebenraum.

„Bist du bereit?“, fragt der Professor und zündet sich eine Zigarette an.

„Ja“, sage ich und zünde mir ebenfalls eine Zigarette an.

„Test“, sagt der Professor und sieht mich dabei an,

wartet einen Moment,

„du schreibst ja gar nicht.“

„Es war ja auch nur ein Test.“

„Das konntest du gar nicht wissen. Was, wenn ich Testosteron gesagt hätte?“

„Dann hätte ich es aufgeschrieben.“

„Na gut“, sagt der Professor und zieht an seiner Zigarette.

„Ich war damals auf einer Konferenz in Ostjerusalem und nachdem ich mich da mit einigen anderen Konferenzteilnehmern eine ganze Nacht mit Arak betrunken habe, wollte ich mir noch die Klagemauer anschauen. Abends ist da nicht so viel los, habe ich mir gedacht. Mein Problem war nur, dass ich die Größe meiner Blase deutlich überschätzt habe, ich konnte ja auch gar nicht mehr richtig gehen.“

„Ich weiß nicht“, sage ich und höre auf zu schreiben, „das ist vielleicht kein gutes Thema für eine Gewinnergeschichte. Am Ende wird man mir noch Antisemitismus vorwerfen und dann stehe ich da wie die documenta, ich...“

„Wir können das mit der Klagemauer ja weglassen“, sagt der Professor, „denn danach bin ich ja auch noch auf den Tempelberg spaziert. Eigentlich hätte ich mir ja denken können, dass Alkohol da verboten ist, aber unter meiner Burka erkennt mich ja eh keiner, habe ich gedacht.“

„Ich weiß nicht“, sage ich und betrachte die letzten Worte, „das ist echt auch kein gutes Thema. Ich will ja auch keine Fatwa provozieren. Am Ende sticht noch jemand auf mich ein. Hast du nicht was, das nicht so provokant ist?“

„Nicht so provokant“, wiederholt der Professor und schaut mir dabei zweifelnd in die Augen,

„du hast aber eine seltsame Kunstauffassung. In den 70ern war es ja noch üblich, dass man auf der Bühne...“

„Das ist doch gar nicht das Thema“, unterbreche ich ihn.

„Wenn das wirklich die Gewinnergeschichte wird, dann muss ich das ja auch vorlesen, sitze dann da auf der Bühne vor Menschen, die ansonsten über Mario Barth lachen und denen soll ich dann mit dir in Burka auf dem Tempelberg kommen? Ich muss da ja irgendwie hinterstehen können.“

„Na gut“, sagt der Professor versöhnlich und dann: „Ich verstehe das schon.“

Kurz ist es still.

„Ich habe mich auch mal als Friedenstaube verkleidet“, sagt der Professor, „und bin dann auf einer Demonstration vom amtierenden Bundeskanzler als „gefallener Engel aus der Hölle“ beschimpft worden. Das hat mich so getroffen, dass ich zum ersten Mal seit meiner Kindheit mitten in der Öffentlichkeit geweint habe. Zum Glück hatte ich das Kostüm, so dass niemand meine Tränen sehen konnte. So missverstanden habe ich mich noch nie gefühlt. Das war einer der traurigsten Momente in meinem Leben. Das habe ich ihm nie verziehen. Außerdem finde ich das schon obskur, wenn ein Bundeskanzler an solche Sachen glaubt.“

Ich weiß nicht“, sage ich und trinke einen Schluck von meinem Blaubeersaft, „ich glaube, dass auch das keine Gewinnergeschichte wird.“

Enttäuscht blicke ich noch einmal prüfend auf meine Notizen.

Dann lege ich den Stift beiseite.

Irgendwie überzeugt mich das nicht“, sage ich schließlich zum Professor und dann, nach einem kurzen Zögern: „Vielleicht denke ich da noch mal alleine in Ruhe drüber nach.“

Dann bist du wohl zu borniert“, sagt der Professor und ich bin ganz erschrocken von der Verachtung, die in diesen Worten mitschwingt. Überrascht schaue ich ihn an und bemerke erst jetzt, dass er wirklich wütend ist.

Du ahnst ja nicht einmal wie tief der See ist, auf dessen spiegelnde Oberfläche du starrst.“

Kurz bin ich ganz betroffen, erschrocken durch diesen plötzlichen Anwurf und dann – einige Sekunden später – empört, dass der Professor einfach solche Sachen sagt.

Na ja“, sage ich, „saufen in Ostjerusalem oder auf ne Friedensdemo gehen ist ja vielleicht auch nicht ganz so tief.“

Das meine ich“, sagt der Professor, „du klingst ja schon wie Markus Lanz.“

Wo ist denn da die Tiefe?“, frage ich zurück und bin nun auch ein wenig wütend, weil er die Frechheit besessen hat, mich mit Markus Lanz zu vergleichen.“

Na“, sagt der Professor, „du musst das Verbindende betrachten, das Individuum, das an ganz verschiedenen Orten das Gefühl hat, nicht dazuzugehören, der Druck, der sich in einem aufbaut und den man dann unter der Burka der Gemeinplätze verbergen muss, weil man dann, wenn man für das eintritt, was einem wichtig ist, von der Bühne herab lächerlich gemacht wird: Dies ist eine Geschichte über die Wirkungsmächtigkeit der Diskurse und die Unfähigkeit des Einzelnen, aus diesen auszubrechen. Das sind ja alles nur Metaphern“, sagt der Professor, „da braucht man wohl kein Germanistikstudium, um das zu verstehen.“

Irgendwie macht mich das richtig betroffen.

Meinst du das ernst?“, frage ich schließlich und betrachte dabei den Fleck an der Wand.

In weiten Teilen“, sagt der Professor und trinkt einen Schluck von seiner Erdbeerschorle.









Anmerkung von autoralexanderschwarz:

Dieser Text war mein Beitrag zum 29. Deutschen Kurzgeschichtenwettbewerb und hat es - wie ich gestern erfahren habe - leider nicht in die zweite Runde geschafft.

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text


 Didi.Costaire (31.01.24, 18:02)
Hallo Alexander,

den Titel hast du klug gewählt. Herzlichen Glückwunsch! ;) 

Beste Grüße,
Dirk

 autoralexanderschwarz meinte dazu am 05.02.24 um 20:20:
Bin mir da rückblickend nicht so sicher.
Dennoch danke für den Kommentar.

Besten Gruß zurück
AlX
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram