Lasst uns demonstrieren!

Groteske zum Thema Alltag

von  Anyango

„Es war ein wunderschöner Tag! Die Sonne schien am blauen Himmel und die Temperatur stieg bereits vormittags auf über 20°. Ein Tag, an dem demonstrieren Spaß macht.“
Das würde ich nie laut sagen, aber geschriebenes wird eher als Fiktion erachtet, als gesprochenes, deshalb kann ich diese Sätze hier notieren ohne befürchten zu müssen als politischer Ignorant bezeichnet zu werden.
Demonstrationen sind etwas ernsthaftes! Sie sind ein Protest gegen Regierungsmaßnahmen, politische Gegner oder Veranstaltungen. Ein durch das Grundgesetz abgesichertes Mittel unsere Anschauungen und Forderungen in der Öffentlichkeit darzustellen.
Doch bei allem Ernst muss ich gestehen: Ich gehe gern auf Demos!
Wer nur einmal kurz an der Spitze eines Demonstrationszuges marschierte und die Kraft von Tausenden von Menschen hinter sich spürte kann verstehen, was ich meine. Tausende mit dem selben Ziel, Tausende, die endlich aufstehen und für etwas einstehen wollen.
Es ist eine wunderbare Art gleichgesinnte Menschen kennen zu lernen und anders - gesinnte offen und durch Zäune und Polizei gesichert zu beschimpfen. So lernt man freie Meinungsäußerung zu schätzen! Wir schreien Reime im Chor, die uns einer, der sich extra ein Megaphon gekauft hat, vorsagt und glauben zumindest solange, was wir sagen, bis unser Chef am nächsten Tag das Gegenteil behauptet.
(Vorausgesetzt wir haben uns zugehört.)
Der Mann neben uns kommt extra aus Köln und war auch in Genua schon live dabei. Während die Bürger das Glotzen sein lassen sollen revoluzzt er durch halb Europa, wenn sein BWL-Studium es erlaubt. Seine Freundin studiert Grundschullehramt und ist beeindruckt wie friedlich vereint wir frei denkenden Menschen sein können, wenn es gegen eine böse Sache geht. Sogar Nazis stehen auf unserer Seite. Natürlich findet sie die nicht gut, aber die Demo gegen Rechts ist ja erst nächste Woche.
Ich erkläre ihr, dass ich mich nicht gerne auf die selbe Seite wie Nazis stellen möchte, aber sie meint, dass man sich eine so schöne und gut organisierte Demo nicht durch die paar Leute kaputt machen lassen sollte. Ich solle doch an den Frauenbund aus Kirchham denken, der monatelang geübt hat, um bei der Abschlusskundgebung einen Sketch aufzuführen. Die Armen werden sonst noch durch Pfiffe gegen die paar Störer übertönt.
Tja, es ist eine wunderbare Art Menschen kennen zu lernen.
Und es ist eine wunderbare Art sich darüber klar zu werden, warum es bei uns nicht schon längst eine Revolution gab. Ein, zwei Tage Protest erfrischen uns. Wir glauben wieder an unseren Glauben an unsere Ideale und können wieder ein paar Tage in den Spiegel sehen.
Eine Umwälzung des Systems ist eine größere Aktion, die etwas mehr Zeit beansprucht, die wir in unserem hektischen Alltag einfach nicht finden. Wir sollten uns alle mal eine Woche frei nehmen, Plakate schreiben, Trillerpfeifen kaufen, die freie Republik ausrufen und schauen wie weit wir kommen bis uns der Alltag einholt.
Ich gehe gern auf Revolutionen!

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Kommentare zu diesem Text

LordWFerox (26)
(14.07.05)
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 Owald (14.07.05)
Dein Text gefällt mir sehr gut, weil ich glaube, daß sehr viel Wahrheit / Weisheit (kann mich gerade nicht entscheiden) drinsteckt.
Wie oft habe ich mich darüber geärgert, daß Fernsehbilder von Demonstrationen, bei denen angeblich schlimme Mißstände angeprangert werden, eher Berichten über Happenings mit Musik, Tanz und guter Laune ähnelten. Die Leute demonstrieren in erster Linie, wie gerne sie demonstrieren; die Themen sind austauschbar geworden: Hier im Ort gab es neulich eine Demo gegen Hartz IV und ein neues Kunstmuseum. Am schlimmsten aber sind streikende Arbeiter, die mehr Lohn verlangen: Lauter fröhliche, mit Plastiktüten bekleidete Menschen mit Thermoskannen und Trillerpfeifen, die fröhlich in die Kameras winken (die Menschen nicht die Trillerpfeifen).
Ich selbst war übrigens zuletzt 1990, mit 13,auf einer Demo. Das einzige, woran ich mich erinnere, ist, daß die Frau mit dem Megaphon furchtbar heiser war...
-
Wie komm ich jetzt auf das alles? *denk*
Ach so: Guter Text, ja.
Revoluzzionäre Grüße, Owald.

 Anyango meinte dazu am 15.07.05:
Danke für deinen Kommentar.
Ich gehe schon auf Demos, wenn ich von dem Anlass überzeugt bin und ich finde es auch gut, wenn Menschen auf die Strasse gehen, weil sie etwas verändern wollten. Aber, wie du sagt, die Themen werden teilweise austauschbar. Oder, im Gegenteil, die Themen werden so strickt getrennt, dass man heute gegen A ist und einem B nicht stört und morgen umgekehrt. LG, Anyango
Eira (36)
(14.07.05)
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 KopfEB (19.10.05)
Verdammt, du hast ja sowas von Recht! Ich hasse es, auf Demo´s zu gehen, die letzte war die gegen Bush, als der in Berlin war, da hab ich´s noch eingesehen. Ansonsten wird man nur immer wieder damit konfrontiert, wie Wenige ihr Gesicht zeigen und wieviel weniger noch ernsthafte Veränderungen erreichen wollen. Das moralische Gewissen beruhigen oder n paar Flaschen schmeissen, nicht mehr. Da bleib ich lieber zu Haus und tüftel mit n paar Freunden den Plan zum Putsch aus, der kommen muss. Auch wenn zwei Drittel davon nie in die Tat umgesetzt werden.
Ich geh auch gern auf Revolutionen, deswegen kann ich Demo´s nicht leiden.

 Anyango antwortete darauf am 19.10.05:
Wenn ihr mal nen guten Plan habt, meldet Euch! Aber bis dahin erst mal danke für den Kommentar! Liebe Grüße, Anyango
FredKapinski (29)
(20.04.06)
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