KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Samstag, 16. Februar 2013, 00:26
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Die Faschismus-Keule

340. Kolumne

Zur anhaltenden Mode deutscher Inszenierungen oder Die Schaubühne als moralische Verunstaltung

Dass immer wieder - auch im Bereich des Theaters Faschismus-Folien auftauchen, zeigt mir, dass die Phänomene des Faschismus noch längst nicht begriffen sind, weil man nämlich das Denkverbot befolgt: Es kann im Faschismus nichts gut gewesen sein. Die Fragestellung: Was war am Faschismus so verführerisch, läuft immer in die Antwort, dass die Menschen so leicht verführbar und verführt waren. Das aber kann die ganze Antwort nicht sein. Wir müssen die Denkverbote aufheben, und dies nicht nur in den akademischen Vakuum-Laboren. Als Ernst Nolte in der Zeit des Historikerstreits, den er ja maßgeblich mit auslöste, die Frage nach der historischen Funktion des Dritten Reichs (des Faschismus) stellte, verlor man sich in Moralismen.
Ähnliches ist auch zu beobachten, wenn die DDR-Vergangenheit analysiert wird. Das wenige Gute in der DDR (Vollbeschäftigung, materielle Absicherung so gut wie aller Bürger) wird immer im Denkmuster der Widerlegung behandelt: Deswegen ging die DDR ja auch pleite. Usw.
Solche Denkverbote werden gelebt wegen der verständlichen Rücksichtnahme auf Juden, Israel. Das Denkverbot führt zur Unfreiheit des Denkens, es verunmöglicht Kritik als Voraussetzung mündigen, vernunftorientierten Handelns.
Zurück zur Inszenierungsmode, die nationalsozialistische Vergangenheit als Anspielungsfokus für alles mögliche zu missbrauchen, was nun schon seit Jahrzehnten andauert: Hinter dem Schrecken der NS-Grausamkeit lässt sich auch gut jeder Mangel unserer heutigen Lebensverhältnisse verstecken, das ist das Gefährliche! Da sind wir schon wieder beim Denkverbot. Als ob unsere bürgerlich-kapitalistische Demokratie, auch wenn sie zunächst einmal die beste Verfassung in der deutschen Geschichte tatsächlich ist, die absolute Widerlegung des Faschismus sei. So begreift man weder das Faszinosum der faschistischen Bewegung noch die Schwächen unserer gegenwärtigen Verfassung, sondern verhält sich subversiv zur Aufklärung als Grundbedingung jeder Kritik und Reform.
Mich stört an solchen Inszenierungen außerdem der übergroße didaktische Zeigefinger, die Bühne als moralische Anstalt, der Zuschauer als Objekt einer obskuren Erziehung mit der Faschismus-Keule. Ich denke lieber selber. Ich möchte meine Deutungshoheit nicht an der Garderobe abgeben, auch nicht vor der Rampe im Nebel schiefer Vergleiche und dummer Plakatierungen verlieren.

Man möchte ja fast schon von einer Neurose dieser Regisseure reden. Sind diese zwanghaften Faschismus-Vergleiche Resultate des Geschichtsunterrichts? Oder Wichtigtuerei selbsternannter Moralwächter und Zensoren? Sind das alles immer noch Fernwirkungen unserer faschistischen Vergangenheit?

[Anlass: „Die Meistersinger von Nürnberg“ in Köln; „Rienzi“ in Berlin]



Nachtrag:

Mein Text verurteilt die billigen Maschen des Regietheaters.
Ich wende mich von der Hohlheit und dem Kitsch ab, wie auf deutschen Bühnen oft Theaterstücke inszeniert werden. Und ich sehe nicht, warum ich mich vor oder nach jedem Gedanken, der mit dieser elenden Vergangenheit zu tun hat, abgrenzen soll von etwas, das mein Leben und das meiner Familie überschattet - ich meine Hitler und den Krieg und die Menschenvernichtung, die Deutschland und viele Familien zerrissen hat. Genau DAS leistet das Regietheater eben nicht!

Mein Ärger bezieht sich vor allem darauf, dass mir und allen anderen Zuschauern immer mit der didaktischen Keule gewinkt wird. Anregen zum Selberdenken ist in Ordnung, nicht aber der immergleiche Zeigefinger des moralisch offenbar höher sich einschätzenden Regisseurs, der oft auch bedeutende inhaltliche Aspekte des Stücks bis zur Unkenntlichkeit überlagert oder demontiert und sogar missbraucht. Dann sollte besser ein neues Stück geschrieben werden. Junge Theaterbesucher werden durch solche Regiearbeiten oft überfordert und sind so auch leicht manipulierbar oder wenigstens verwirrt, was nicht automatisch gut ist für einen zunächst einmal elementaren Erkenntnisprozess.

Interessant wäre durchaus, auch den Faschismus oder Totalitarismus unserer heutigen europäischen Partnerländer zu untersuchen, um noch besser als beim deutschen Beispiel zu erkennen, wie Verführung und Selbstverführung funktioniert in Zeiten wirtschaftlicher Not, nationaler Verletzungen und der geistiger Verwirrung (aus verschiedenen Gründen).

Mich stört der plakative Holzhammer-Vergleich, der ein übler Feind des Differenzierens ist. Jeder Kritiker einer solchen Belehrungsinszenierung muss arbeiten und arbeiten, um die Schiefe und Verzerrung und Verballhornung aufzuräumen, die durch diese missglückten 'Deutungen' und Umdeutungen entstehen - das erinnert an die Reinigung der Augiasställe durch Herakles.

Wohlgemerkt: Es gibt auch ausgesprochen gelungene Inszenierungen, die mit Mitteln des Vergleichs zum Zwecke der Aktualisierung arbeiten. Etwa Hebbels "Die Nibelungen" in der Inszenierung Karin Beiers (Schauspiel Köln). Ich sah auch eine grandiose Schüleraufführung von Wedekinds "Frühlingserwachen" in Bad Münstereifel. Oder Shakespeares "Macbeth" in Düsseldorf - vor Jahren -, wo sämtliche Personen des Dramas von Männern gespielt wurden, die nach kurzer Zeit nackt waren und verluderten - der körperlichen Verwahrlosung entsprach die geistig-seelische, die politischen Machtverhältnisse waren in maskuliner Verrohung gut aufgehoben (sie zerstörten sich am Ende, so dass die Aufhebung auch im Hegelschen Sinn verstehbar wurde).

Noch ein Gegenbeispiel: In der ansonsten großartigen Inszenierung von Schillers "Kabale und Liebe" (Andras Fricsay Kali Son, Klassikerzertrümmerer zur Wiederbelebung guter Dramen) trat dann der Hofmarschall von Kalb (eine Franzosen-Karikatur) als Hermann Göring auf ... Das ist nur ein mieser Gag und leistet leider nur Ablenkung vom Wesentlichen und bringt keine historische Vertiefung.

Es ist gefährlich, das Hitler-Regime und die faschistischen Systeme oder Stalin und die totalitaristischen Systeme zu dämonisieren. Das Böse entsteht nicht erst und schon gar nicht nur im Extrem der vorweggenommenen Hölle.

Genauso wenig darf geglaubt werden, dass aus der bürgerlichen Demokratie unserer Zeit, deren kapitalistische Ausrichtung in den USA oligarchische Züge trägt und in Deutschland zum Beispiel (noch) gebremst wird durch Reste sozialer Marktwirtschaft, automatisch Gutes erwachsen müsste.
Der Dämonisierung des Bösen wird allzu leicht die Verklärung gegenübergestellt. So einfach ist die Welt nicht.

Daher sollte sich das Theater hüten, Interpretationen als geschlossene Systeme wie Handreichungen zur Belehrung auszugeben - die Interpretation muss ein offenes System bleiben wie das Stück selbst. Und so wird der Zuschauer zum selbständigen Denken angeregt.

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 loslosch (15.02.13)
du solltest unbedingt was zu den beiden inszenierungen ergänzen.

 Bergmann (15.02.13)
Was = ?

Siehe übrigens auch:
http://www.editiondaslabor.de/blog/?p=11639

 loslosch (15.02.13)
wer sich gegen vulgäre, stereotype faschismus-kritik, im theater zelebriert, wendet, ist gerade dann unverdächtig, wenn er unter dem hitlerismus familiär in besonderer weise leiden musste.

 TrekanBelluvitsh (15.02.13)
Einige schlaglichtartige Anmerkungen von mir:

- Ich gebe offen zu, dass das Theater nicht meine Welt ist, ich also überhaupt nichts zu denen von dir angesprochenen Inszenierungen sagen kann. Ich habe aber auch den Eindruck, dass es dir gar nicht darum geht, dass du diese nur als Symptom ansprichst.

- In der Öffentlichkeit werden die Begriffe 'Faschismus' und 'Nationalsozialismus' in der Regel synonym verwendet und zwischen den Zeilen schimmert das auch bei dir ein wenig durch - verbessere mich (gerne) wenn ich mich irre. Tatsächlich beschreiben beide Worte zwar ähnliche, aber nicht gleiche Bewegungen und selbst das ist nur eine grobe Einteilung.

- Tatsächlich bin ich der Meinung, dass nicht genug über Faschismus und Nationalsozialismus geredet wird, aber - da stimme ich dir zu - es wird zu oft mit den Begriffen um sich geworfen, ohne dass man die wahre Bedeutung kennt oder sich um sie bemüht.

- Ernst Nolte wurde nicht nur auf moralischer Ebene widersprochen. Seine Thesen können völlig zu Recht nicht mehr aufrechterhalten werden. Für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts sollte man sich eher mit solchen Begriffen wie z.B. Irrationalismus beschäftigen/verwenden.

- " Hinter dem Schrecken der NS-Grausamkeit lässt sich auch gut jeder Mangel unserer heutigen Lebensverhältnisse verstecken, das ist das Gefährliche!"

Dafür könnte ich dich küssen!

- "Und ich sehe nicht, warum ich mich vor oder nach jedem Gedanken, der mit dieser elenden Vergangenheit zu tun hat, abgrenzen soll von etwas, das mein Leben und das meiner Familie überschattet - ich meine Hitler und den Krieg und die Menschenvernichtung, die Deutschland und viele Familien zerrissen hat."

Noch so ein Goldstück. (So gut wie) Kein Deutscher, der heute lebt, ist für das, was zwischen 1933-1945 (und auch davor) geschah verantwortlich. Verantwortlich sind wir für die Erinnerung. Und wie das zu geschehen hat, darüber kann man trefflich streiten - und das hast du auch hiermit getan.

Sehr gern gelesen, auch weil du deinen Zorn kaum zurückhalten konntest - und es doch gemacht hast!

T.B.

 Bergmann (15.02.13)
Mein Ärger bezieht sich vor allem darauf, dass mir und allen anderen Zuschauern immer mit der didaktischen Keule gewinkt wird. Anregen zum Selberdenken ist in Ordnung, nicht aber der immergleiche Zeigefinger des moralisch offenbar höher sich einschätzenden Regisseurs, der oft auch bedeutende inhaltliche Aspekte des Stücks bis zur Unkenntlichkeit überlagert oder demontiert und sogar missbraucht. Dann sollte besser ein neues Stück geschrieben werden. Junge Theaterbesucher werden durch solche Regiearbeiten oft überfordert und sind so auch leicht manipulierbar oder wenigstens verwirrt, was nicht automatisch gut ist für einen zunächst einmal elementaren Erkenntnisprozess.

Interessant wäre durchaus, auch den Faschismus oder Totalitarismus unserer heutigen europäischen Partnerländer zu untersuchen, um noch besser als beim deutschen Beispiel zu erkennen, wie Verführung und Selbstverführung funktioniert in Zeiten wirtschaftlicher Not, nationaler Verletzungen und der geistiger Verwirrung (aus verschiedenen Gründen).

Mich stört der plakative Holzhammer-Vergleich, der ein übler Feind des Differenzierens ist. Jeder Kritiker einer solchen Belehrungsinszenierung muss arbeiten und arbeiten, um die Schiefe und Verzerrung und Verballhornung aufzuräumen, die durch diese missglückten 'Deutungen' und Umdeutungen entstehen - das erinnert an die Reinigung der Augiasställe durch Herakles.

Wohlgemerkt: Es gibt auch ausgesprochen gelungene Inszenierungen, die mit Mitteln des Vergleichs zum Zwecke der Aktualisierung arbeiten. Etwa Hebbels "Die Nibelungen" in der Inszenierung Karin Beiers (Schauspiel Köln). Ich sah auch eine grandiose Schüleraufführung von Wedekinds "Frühlingserwachen". Oder Shakespeares "Macbeth" in Düsseldorf - vor Jahren -, wo sämtliche Personen des Dramas von Männern gespielt wurden, die nach kurzer Zeit nackt waren und verluderten - der körperlichen Verwahrlosung entsprach die geistig-seelische, die politischen Machtverhältnisse waren in maskuliner Verrohung gut aufgehoben (sie zerstörten sich am Ende, so dass die Aufhebung auch im Hegelschen Sinn verstehbar wurde).

Noch ein Gegenbeispiel: In der ansonsten großartigen Inszenierung von Schillers "Kabale und Liebe" (Andras Fricsay-Kali-Son, Klassikerzertrümmerer zur Wiederbelebung guter Dramen) trat dann der Hofmarschall von Kalb (eine Franzosen-Karikatur) als Hermann Göring auf ... Das ist nur ein mieser Gag und leistet leider nur Ablenkung vom Wesentlichen und bringt keine historische Vertiefung.

Es ist gefährlich, das Hitler-Regime und die faschistischen Systeme oder Stalin und die totalitaristischen Systeme zu dämonisieren. Das Böse entsteht nicht erst und schon gar nicht nur im Extrem der vorweggenommenen Hölle.

Genauso wenig darf geglaubt werden, dass aus der bürgerlichen Demokratie unserer Zeit, deren kapitalistische Ausrichtung in den USA oligarchische Züge trägt und in Deutschland zum Beispiel (noch) gebremst wird durch Reste sozialer Marktwirtschaft, automatisch Gutes erwachsen müsste.
Der Dämonisierung des Bösen wird allzu leicht die Verklärung gegenübergestellt. So einfach ist die Welt nicht.

Daher sollte sich das Theater hüten, Interpretationen als geschlossene Systeme wie Handreichungen zur Belehrung auszugeben - die Interpretation muss ein offenes System bleiben wie das Stück selbst. Und so wird der Zuschauer zum selbständigen Denken angeregt.

Ich stelle diese Nachbemerkung oben zum Kolumnentext.
Vielen Dank für die Anregungen, T. B.
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