KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Donnerstag, 31. Oktober 2013, 23:01
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Statement 69

381. Kolumne

Meine Werte

Unter Alkoholeinfluss konzipiert. Unvollständig; aber nicht unterbewusst entworfenes Bewusstsein. Momentaufnahme aus dem Film meiner geistigen Entwicklung, die in bewegten Phasen vorwärtsschleicht.

FREIHEIT, soweit sie nicht inhuman wird. Die Gemeinschaft darf nicht absolut vor dem Individuum rangieren. Und umgekehrt.
Auf der Suche nach der SYNTHESE über einen Kompromiss von Gemeinschaft und Individuum. Freiheit setzt Mündigkeit voraus. Mündigkeit impliziert Rechte und Pflichten. Diese stehen nicht nur auf dem Boden des Sittlichen, sondern auch der vernünftigen Einsicht in politische Realitäten. POLITIK ist die zwangsläufige Notwendigkeit, die Formen des Zusammenlebens zu bestimmen; das ist die Aufgabe des Staates. STAAT ist die verfasste Gemeinschaft aller Menschen eines Landes; folglich bestimmen a l l e die Formen des Zusammenlebens. Die Rechte aller sind gleich, die Funktionen verschieden, weil die Eignungen verschieden sind. Postulat: Die Fähigsten nehmen nach Wahl aller die höchsten Funktionen wahr und bestimmen innerhalb der K o n t r o l l e durch alle Einzelmenschen die Formen des Zusammenlebens; es müssen Kontrollinstanzen bestehen. – Jeder einzelne ist ein politisches Wesen.

FRIEDEN, solange die Freiheit nicht verletzt wird.
I n t y r a n n o s . Politisches Widerstandsrecht kann sittlich verankert sein, politischer Mord aber nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt. Ist Kontrolle durch alle nicht mehr praktizierbar, hat die Mehrheit das Recht, das Mittel anzuwenden, das die Kontrolle wiederherstellt. Ich bin mir bewusst, mich hier in einem Widerspruch von Gewalt und humanitas zu befinden: aber der politische Widerstand mittels Gewalt gegen Unmenschlichkeit ist das wesentlichere sittliche Prinzip, etwa wenn Diktatur gegen die Menschenrechte verstößt. Widerstand zeigt sich dann allerdings als Spätzündung oder Notbremse des Mündigen.

LIEBE, verstanden als Bedingung des Handelns für Freiheit und Frieden. Die Gefühle, A u s d r u c k der Liebe, sind durch die Vernunft kontrollierbare Aggredienzien. Sie sind Mittel und Form, die Vernunft ihr Zweck und Inhalt. Mit Kant: Vernunft als Maßstab richtigen Handelns. Genuss der Liebe ist letztlich Genuss körperlich gewordener Vernunft.

BILDUNG. Mit Theodor Litt: Führen u n d Wachsenlassen. Bildung ist Mittel, das Potential der Vernunft in jedem Einzelnen freizusetzen. Darum wird Bildung in unfreien Staaten unterdrückt und instrumentalisiert. Ein Pädagoge soll täglich mindestens 1 Troja ausgraben.

KANTS KATEGORISCHER IMPERATIV. Kant deshalb, weil er Rationalist ist, Empiriokritizist, Antimythologe und ‚kritischer Idealist’ ist – zugleich Realist. Ideale sind sittliche Ziele, die, aus den Widersprüchen der Realität gewonnen, auf sie zurückwirken sollen. Der kritische Idealist steht mit beiden Beinen auf der Erde. Er ist gegen Revolution, aber er will Utopien evolutionär verwirklichen. Utopie bedeutet: Noch gibt es keinen Ort für die ideale Idee. Utopische Gedanken bestärken den Willen, das Realisierbare Stück für Stück in Handlungen umzusetzen, gewaltlos und durch permanente Überzeugung.
Absoluter Idealismus als Rahmen aller Handlungen ist vewrführerisch, er bringt gefährliche Ideologien hervor, welche die Toleranz in Frage stellen und blind machen.

DEMOKRATIE. Ich verfechte die Idee der repräsentativen (parlamentarischen) Demokratie als Vorstufe zur absoluten, direkten Demokratie. Mir schwebt eine möglichst breite, ‚aristokratische’ Spitze vor, ein demokratischer Prinzipat mit einem möglichst weitgehend befugten princeps inter pares. Strikte Drei-Gewalten-Teilung mit unabhängiger Iudikative.
Nach einem langen Marsch der Bildung der Massen soll die absolute Demokratie eingerichtet werden. L’état c’est moi et toi. Aristokratisch sein bedeutet: Fähige Politiker, deren sittliches Verhalten über dem Durchschnitt liegt, lenken staatliche Interessen. Politiker müssen fähig sein, mit Verstand und seelischer Stärke zu kämpfen für politische Ziele, Mehrheiten und Minderheiten zu repräsentieren. Sie wereden durch allgemeine, gleiche und anonyme Wahl der Wahlbürger bestimmt. Sie sollen in der Lage sein, Minderheiten zu stützen und schützen und vernünftige Einsichten und Erkenntnisse auch gegen Mehrheiten durchzusetzen, soweit die Verfassung das erlaubt; von Kompromiss zu Kompromiss steigert sich die Qualität der Gesamtverfassung der Gesellschaft.

GESELLSCHAFT. Nur eine evolutionäre Entwicklung hat Hand und Fuß, weil Menschen nur Schritt für Schritt überzeugt werden können, lernen und sich im Leben einrichten. Ideologieverhaftung lehne ich ab. Ideologie als revidierbare Arbeitsweise der politischen Einzelschritte ist akzeptabel und notwendig.
Marx ist tot. Es lebe Marx. Die sozialistische Bewegung muss erneuert werden im Rahmen einer Kritischen Ideologie. Nur so kann Kapitalismus korrigiert und gezügelt werden.

ICH: Egoist, aber nicht Egozentriker, verführbar zu Gemeinschaftssinn. Sinn für Realistisches und Idealistisches. Ich bin kritischer Atheist: Agnostiker. Ich glaube nicht an Gott. Ob Gott existiert, ist für mich sekundär. Primär sind die Fragen dieser Welt. Der Determinismus schien mir zutreffend zu sein als Weltverständnis, aber ich denke, an den freien Willen zu glauben, ihn vorauszusetzen, ist lebensintelligenter.
Ich bin pädagogisch interessiert. Tolerant. Doktrinär nur spielerisch. Gutmütig. Überspannt. Überheblich. Abgehoben. Vielseitig. Originell und langweilig. Begeisterungsfähig. Gern subjektivistisch. Im Gefühlsrausch noch kontrolliert. Bei aller Sympathie für Neues konservativ. Nach Norman Mailers Einteilung in Hips und Squares ein 51:13-Hip. Rationalistisch und analytisch. Trotz Neigung zur Faulheit oft sehr arbeitsam. Streckenweise phlegmatisch mit sanguinischen Tendenzen. Ich bin kein Vulkan, kein Urwald, nicht Ebene, weder Mutter Meer noch Kumulus-Wolke, vielleicht ein Fluss, der eben noch ein Bach war. Ich möchte lieber in die Hölle als in den Himmel. Vielleicht finde ich einen noch besseren Ort.
Lieblingsfarbe früher Blau, jetzt Rot. Ich liebe Schach. Literatur. Musik und Mathematik. Das Komische, Ironische. Ich liebe meine minischizoide Art, weil sie mich stabilisiert. Ich fühle mich wohl in meinem Leben. Ich bin 24 Jahre alt, 1,72 m groß und wiege 60 Kilo. Bin Verirrter in Labyrinthen, aufgeklärt, naiv und sentimentalisch. Meine Existenz sehe ich als das Ei des Kolumbus. Ich bin ich, auch ohne Fichte.


[2.8.1969]

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 loslosch (29.11.13)
tucholsky schrieb als 18-jähriger unter sein foto, gewidmet tante berta tucholsky: "Außen jüdisch und genialisch, innen etwas unmoralisch, nie alleine, stets à deux - der neveux!"

ich brauche mal ein privatissimum.

 EkkehartMittelberg (29.11.13)
Es ist erstaunlich, ein so ausgewogenes Konzept aus der Feder eines 24jährigen zu lesen.
Es enthält einige utopische Züge , aber ich denke, dass diese sein müssen; denn bei der Umsetzung in den Alltag werden Lebensentwürfe in einem Maße trivialisiert, dass sie im Ansatz nichg utopisch genug sein können.

 Bergmann (30.11.13)
Coram publico sage ich: Ja, mein damaliger Narzissmus ist typisch für mein Alter und das Zeitalter, in dem ich älter wurde.
Heutige Jugendliche sind konkreter, realistischer: Sie können erstaunlich genau sagen, warum sie eine Fernsehserie gut finden - das hätte ich damals nicht so gut gekonnt. Danke, Ekki, für die feinsinnige Einfühlung; danke, Lo, auch für den ehrenden Vergleich mit Tucholsky.
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