KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Montag, 16. Dezember 2013, 15:26
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Gedanken zur Amoralität des Schönen

386. Kolumne


Die „Todesfuge“ lernte ich spät kennen, und zwar unmittelbar nach dem Tod Celans 1970. Einer meiner Professoren, der damals berühmte Benno von Wiese, der mit Celan gut bekannt war, trug die „Todesfuge“ im vollen Hörsaal vor, statt der Vorlesung (Romantheorie) erzählte er von Celan, spielte auf die eigene Haltung in der Zeit des Dritten Reichs an, und schloss die Vorlesung unmittelbar nach dem Gedicht.
Danach erst beschäftigte ich mich mit Adornos Verdikt: Lyrik sei nach Auschwitz unmöglich geworden, was die Wirklichkeit aber überwand, Celan widerlegte Adorno doppelt: Er zeigte, dass der moralische Untergrund des Gedichts auch die Darstellung des Schlimmsten möglich macht, vielleicht sogar nötig. Und, zweitens, dass auch dieses Gedicht schön ist (nicht nur wahr, sondern auch fast unabhängig von der inhaltlichen Seite). Die Unabhängigkeit der Schönheit vom Inhalt ist natürlich ein nicht eben leichtes Problem für Werk und Rezipient. Die Aktion der Zerstörung des Trade World Centers, die Stockhausen mit einem Kunstwerk verglich (!), kann ein Betrachter abstrahieren und als (a-moralisches) Bild verstehen und schön finden.


P.S.:

Ich fuhr mit dem Auto von der Schule nach Hause, da kamen im Radio die ersten Meldungen, der erste Turm des World Trade Center stürzte ein, ich weinte etwas, aber das war keine echte Anteilnahme, zu Hause sah ich dann das Weitere im Fernsehen, ununterbrochen bis Mitternacht - mit sehr gemischten Gefühlen: Meine lange schon amerikakritische Haltung war, neben langsam wachsender Anteilnahme, von Anfang an präsent. Auch diese Weltmacht, so beneidenswert stark ihre Kollektivseele ist, wird aus diesem Vorfall nicht wirklich lernen, sondern die Politik der Stärke fortsetzen. So amoralisch ist das schrecklich Schöne: Die Terroranschläge auf Amerika haben mich inspiriert, die einstürzenden Türme des World Trade Center, und die Aussage von Karlheinz Stockhausen:

„Was da [am 11.9.2001 in New York] geschehen ist, ist - jetzt müssen Sie alle Ihr Gehirn umstellen - das größte Kunstwerk, das es je gegeben hat. Dass Geister in einem Akt etwas vollbringen, was wir in der Musik nicht träumen könnten, dass Leute zehn Jahre üben wie verrückt, total fanatisch für ein Konzert und dann sterben. Das ist das größte Kunstwerk, das es überhaupt gibt für den ganzen Kosmos... Das könnte ich nicht. Dagegen sind wir gar nichts, als Komponisten. Ein Verbrechen ist es deshalb, weil die Menschen nicht einverstanden waren. Die sind nicht in das ‘Konzert’ gekommen. Und es hat ihnen niemand angekündigt, ihr könntet dabei draufgehen. Was da geistig geschehen ist, dieser Sprung aus der Sicherheit, aus dem Selbstverständlichen, aus dem Leben, das passiert ja manchmal auch poco a poco in der Kunst. Oder sie ist nichts.“


UB

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 EkkehartMittelberg (03.01.14)
Okay, Uli, Celan hat Adorno unnachahmlich schön widerlegt. Da sind wir beieinander. Aber Stockhausens Sicht auf die Zerstörung des World Trade Center als Kustwerk, da sträubt sich alles in mir. Ich verstehe freilich, dass er Kunst als amoralisch definiert. Aber wenn ich an die unschuldigen Opfer denke, erscheint mir das als pervers. Ich kann nicht anders.
g.penn (35)
(03.01.14)
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 loslosch (03.01.14)
benno von wiese war "blockwart". sein vater leopold von wiese und kaiserswaldau, den ich in köln noch gehört habe, war in der ns-zeit "sauber" geblieben.

das credo der einheit von schönheit und inhalt (g.penn) unterschreibe ich.

 Bergmann (03.01.14)
Der Analysierende (Ästhet) betrachtet das Kunstwerk zunächst moralfrei, nur so gelangt er zu möglichst objektiven Urteilen. In solcher (und in wissenschaftlicher) Betrachtung darf sich nichts verbieten. Stockhausen war fasziniert von der Unbedingtheit und absoluten Konsequenz der Handelnden. Sein Vergleich setzt die moralfreie Betrachtung voraus. Man kann ihm vorwerfen, der Vergleich sei (didaktisch) ungeschickt, weil zu extrem. Andererseits wird jeder leicht sehen, dass unbedingte künstlerische Konsequenz ohne Verletzung von Regeln oder von gesellschaftlichen Werten sowohl bei der Entstehung als auch in der Wirkung selten auskommt.
Wir sehen - und das leuchtet bei Celans "Todesfuge" ein -, dass der Begriff des Schönen nicht absolut ist, sondern relativ und wandelbar. Adornos Begriff von der Schönheit (vom Ästhetischen) ist bei seiner Betrachtung der "Todesfuge" nicht frei von moralischer Festlegung, also auch Enge.
Die Schönheit des Celan-Gedichts liegt in der Form - im Fugato der Worte und Bilder -, auch in den Bildern selbst, etwa in dem Oxymoron (das ich noch nicht einmal als widersprüchlich oder absurd empfinde) "Schwarze Milch der Frühe" - Vernichtungsbrand, Verletzung, Wunde, Lebenszerstörung von morgens bis abends, Ermordung der Zeit ...

Benno von Wiese. Jugendsünde war sein Verhalten nicht mehr; es war im Unterschied auch zu Heidegger eine echte Entscheidung für den Nationalsozialismus, wahrscheinlich nicht in allen seinen Ausprägungen. Der nach dem Krieg sich läuternde Professor von Wiese hat zwar die Freundschaft Hannah Ahrendts nicht wiedergewinnen können, doch immer die Paul Celans. Und er war ein Meister der Interpretation.

 loslosch (03.01.14)
die "Schwarze Milch der Frühe" stammt übrigens von rose ausländer (1925). die gute hat aber celan das nicht zum vorwurf gemacht, war stolz, dass der große celan sich ihrer gedichte bediente.

 Bergmann (03.01.14)
Wer mehr wissen will, lese:


Paul Celan - zwischen Intertextualität und Plagiat oder interreferentielle Kreativität

George Gutu (Universität Bukarest)



Während die Plagiatsbeschuldigungen, die Claire Goll, die Witwe des Leiters der Zeitschrift "Surréalisme" (1924) Yvan Goll, gegen Paul Celan öffentlich erhoben hatte, auf Hochtouren liefen, richtete die Klägerin am 23. Januar 1965 einen Brief an Hans Bender, den Herausgeber der angesehenen Zeitschrift "Akzente", mit dem Paul Celan in den Jahren 1956-1961 einen regen Briefwechsel führte. Die Plagiatsbeschuldigungen und die Umstände dieser unglücklichen Affäre sind in der Fachwelt im allgemeinen bekannt. Der genannte Brief fand bislang jedoch weniger Beachtung, als er eigentlich verdient. Denn eine nüchterne Geschichte dieser fulminanten Polemik hat alle Aspekte des Problems zu berücksichtigen. Hier Claire Golls Variante der ominösen Problemstellung:

Im Oktober 1949 bat Celan Yvan Goll, ihm seine Bewunderung ausdrücken, ihn aufsuchen zu wollen. Man bewundert einen Dichter nur wenn man ihn kennt. Und wie sich bei dieser ersten Begegnung herausstellte, kannte Celan Goll ausgezeichnet. Da das französische Gesetz bestimmt, daß von jedem erschienenen Buch, von jeder Nummer einer Zeitschrift oder Zeitung ein Exemplar in der Pariser Nationalbibliothek deponiert werden muß, kann jeder im öffentlichen Lesesaal das Gesamtwerk eines Dichters studieren. Wann Celan das tat - als Student in Paris, vor dem Krieg oder nach Kriegsende - weiß ich nicht. Jedenfalls waren ihm alle Bücher Golls bekannt und die neun, im Frühling 1948 in Döblin's Zeitschrift 'Das goldene Tor' erschienenen Gedichte aus 'Traumkraut'. Und kurze Zeit darauf auch alle Manuskripte der letzten Jahre, die Goll vertrauensvoll in den vier Monaten seines Todeskampfes in die Hände des ergebenen 'Sohnes' legte. Eine Rolle, die Celan so vollendet spielte, daß wir ihn adoptieren wollten: Eine Nachricht, die bei ihm eine noch größere Ergebenheit auslöste.

Die Gedichte, die er uns damals vorlas, hatten ja auch wenig Ähnlichkeiten mit den 'Pariser Georgika', 'Abendgesang' oder 'Traumkraut'. Ich freute mich über seine Begabung und war ja auch die Erste, die 1951 am Bayerischen und am Südwestdeutschen Rundfunk für den damals völlig unbekannten Celan warb.

Erst als Richard Exner in Los Angeles, anläßlich eines Goll-Abends beim dortigen Generalkonsul, mich auf Celan als 'Plagiator' hetzte und mir 'Mohn und Gedächtnis', das erschienen war, zeigte, ging mir ein Licht auf.

Und als sich Celan später durch die törichte Broschüre der Deutschen Akademie gar als denjenigen feiern ließ, der Goll beeinflußt haben wollte, begriff ich, auf welches Erbe eines Vaters es diesem 'Sohn' angekommen war.(1)

Fünf Jahre später hob Claire Golle die Hilfe hervor, die Yvan Goll dem damals noch unbekannten James Joyce angedeihen ließ zu einer Zeit, da der irische Schriftsteller Schwierigkeiten hatte, seine später berühmt gewordenen Werke wie "Ulysses" oder "Bildnis des Künstlers in seiner Jugend" zu veröffentlichen. Goll half übrigens auch Samuel Beckett sowie Eugen Ionescu - Georges Schlocker hat dies einmal durch die Äußerung bestätigt: "Goll hat Ionesco entdeckt." In einem anderen an Hans Bender gerichteten Brief vom 7. Dezember 1970 gestand Claire Goll, sie verstehe den Umstand, daß "ein Genie es sich leisten kann, auch anderen seine Dienste zugute kommen zu lassen", und geht erneut auf den bereits im oben zitierten Brief artikulierten Gedanken ein:

Leider fand ich, nachdem ich in diese kleine Wohnung umgezogen war, in der Dokumente, Briefe etc. in dichten Haufen unter Kasten, Bibliotheken und Schränken liegen, erst zwei Jahre nach der Polemik das Gedicht, das Yvan am 1. Februar 1942 in der französischen Zeitung: 'Die Stimme Frankreichs', veröffentlichte, dem Organ, das von der Partei de Gaulles herausgegeben wurde, das ich hier in Fotokopie beilege. Diese Zeitung wurde über ganz Europa von Fliegern abgeworfen. Durch einen Zufall mag sie in Celans Hände gekommen sein oder er las sie als er - ich glaube 1945 - mit den Amerikanern nach Paris kam. Lesen Sie die beiden ersten Verse und dann 'Die Todesfuge'. Yvans deutsche Fassung, im Manuskript mit dem Datum "New York, 14. Februar 1942" versehen, lautete:

Schwarze Milch des Elends
Wir trinken dich
Auf dem Weg ins Schlachthaus
Milch der Finsternis
(...)

Als Celan uns Ende Oktober 1949 zum ersten Mal in Paris besuchte, las er, unter anderen Gedichten, auch "Die Todesfuge". Yvan zwinkert mir amüsiert zu. Er war viel zu großzügig, um sich um Angleichungen zu kümmern. Leider gewährte er Celan, der ihn jeden Tag im Amerikanischen Hospital vier Monate lang besuchte, Einblick in alle seine Manuskripte und in die zwei Blöcke, in die er während eines fünfmonatigen Aufenthaltes im Straßburger Kantonspital "Das Traumkraut" geschrieben hatte.

Sofort, nach Golls Ableben, begann er dessen "Malaiische Liebeslieder" und die "Pariser Georgika" zu übersetzen. Er lebte sich dadurch dermaßen in Golls Bilderwelt ein, daß er auf lange Zeit nicht mehr herausfand. Besonders aus den in Newe York entstandenen "Pariser Georgika", aus denen ganze Zeilen sich bei Celan wiederfinden. Mein damaliger Verleger, der die "Malaiischen" bringen wollte (Pflugverlag, St. Gallen), weigerte sich - nach der Lektüre von Celans Übersetzung - diese zu publizieren. Er schrieb ihm einen Brief, daß "die Übersetzung dem Original nicht gerecht werde". Celan kam mit dem Brief zu mir, machte mir - in Gegenwart des hiesigen deutschen Buchhändlers Fritz Picard - eine hysterische Szene. Damit begann seine Feindschaft.(2)

Die Labilität Celans in jener Zeit wird von Claire Goll auch durch das Geständnis eines anderen Bukowiners belegt. Als sie den nach New York emigrierten jüdischen Dichter Alfred Gong traf, berichtete sie ihm über die in der literarischen Welt Deutschlands und Frankreichs ausgebrochene heftige Polemik. Daraufhin soll Gong, ein ehemliger Czernowitzer Schulkamerad Celans, folgendes gesagt haben - und wir als Rumänen können mit Leichtigkeit auch einen uns betreffenden Aspekt festhalten:

Er ging mit mir in die Schule. War immer ein Heuchler, der wie ein Taschenspieler sich die Dichtung Andrer aneignete. Ganz früh hatte er in Rumänien einige, in Deutschland unbekannte, Gedichtbändchen veröffentlicht [Hier irrt sich Gong: man kann höchstens von den Gedichtkonvoluten sprechen, die Celan in der Czernowitzer und Bukarester Zeit zusammengestellt hatte(3); erst in Wien brachte er seinen ersten Gedichtband heraus: "Der Sand aus den Urnen", den er bekanntlich wegen zahlreicher Druckfehler gleich einstampfen ließ - unsere Anm.; G.G.], deren Verse von dem großen rumänischen Dichter Tudor Arghezi entlehnt waren(4). Als ich ihn in Wien wiedersah, brachte er gerade den "Sand in den Urnen" heraus, von Trakl und vielleicht schon von Golls, in Döblins 'Das goldenen Tor', Mainz, erschienenen Gedichten herkommend."(5)

Verzwickt sind die Wege Gottes! Und jene der geistigen und literar-künstlerischen Interferenzen scheinbar noch viel mehr! Aus der Zerbrechlichkeit dessen, was man die Originalität des Kunstwerks nennen kann, ergab sich die vielleicht klangvollste Plagiatsbeschuldigung des vorigen Jahrhunderts: Claire Goll, sie selbst Dichterin, die Witwe des hervorragenden surrealistischen Dichters Yvan Goll, entfacht den Skandal und richtet ihren Zeigefinger auf den jungen, nach einem enttäuschenden Wiener Aufenthalt gerade in Paris einget roffenen Paul Celan. Er war heimlich aus Bukarest geflüchtet, wo er von Alfred Margul-Sperber gefördert wurde und wo er zusammen mit seinen Freunden Nina Cassian und Petre Solomon die Gruppe der rumänischen Surrealisten D. Trost, I. Pãun, Virgil Teodorescu , Gellu Naum besuchte. In Bukarest erlebte er ein merkwürdiges Debüt: sein später berühmt gewordenes Gedicht "Die Todesfuge" erschien 1946 in rumänischer Übersetzung unter dem Titel "Tan goul mortii "(6) (ursprünglich: "Todestango", dann von ihm selbst in "Todesfuge" umgewandelt). Im gleichen Jahr erscheinen seine ersten deutschsprachigen Gedichte in der ersten Nummer der von Ion Caraion und Virgil Ierunca herausgegebenen Zeitschrift "Agora"(7). In der Czernowitzer und Bukarester Zeit entsteht eine beachtliche Anzahl von Frühgedichten, von denen sehr viele in den von ihm noch in Bukarest geplanten Band "Der Sand aus den Urnen" (1948) sowie in seinen zweiten Band "Mohn und Gedächtnis" (1952) Aufnahme gefunden haben.

Der Dichter hatte Kopien von seinen meist maschinegeschriebenen oder von seinen handschriftlichen Gedichten auf seine abenteuerliche Reise (sprich: Flucht) nach dem Westen mitgenommen. Etwa 268 Blätter sollten in Bukarest bei Alfred Margul-Sperber zurückbleiben. Sein Bukarester Mentor sollte seinen Nachlaß samt Celan-Texten dem Museum für Rumänische Literatur (MLR) testamentarisch anvertrauen.

Das Schicksal des in Wien erschienenen Bandes "Der Sand aus den Urnen" war grauenhaft: Wegen haufenweiser Druckfehler mußte er eingestampft werden. Die wenigen erhaltengebliebenen Exemplare stellen heute unschätzbar wertvolle bibliophile Seltenheiten dar.

1952 folgte, wie gesagt, der zweite Band, der eigentlich erste gültige Band Celans: "Mohn und Gedächtnis", in dem ein Zyklus den Titel des zurückgezogenen Bandes trägt: "Der Sand aus den Urnen". Auch in diesem Band sind Gedichte enthalten, die Celan in seiner Czernowitzer und Bukarester Zeit geschrieben hatte. Wie oben erwähnt, "enthüllte" Richard Exner Claire Goll gegenüber, Celan habe Gedichte von Yvan Goll plagiert, die dieser französisch geschrieben und die vom jungen Celan ins Deutsche übertragen worden waren.

Celan nimmt sein sprachwissenschaftliches und germanistisches Studium in Paris wieder auf. Inzwischen hatte er die Graphikerin Gisèle Lestrange geheiratet. Seine auf der Niendorfer Tagung der "Gruppe 47" (1952) vorgetragenen Gedichte fanden keine begeisternde, ja sogar eine zurückhaltende Aufnahme. Der Preis der Gruppe wurde ihm verweigert. Nachdem sein Band "Mohn und Gedächtnis" erschienen war, setzte die Witwe des 1950 verstorbenen Yvan Goll, Claire Goll, nach den "Enthüllungen" Exners die unsinnige Behauptung in den Umlauf, Celan habe Gedichte ihres Mannes plagiert. Die Behauptung der Witwe Golls begann die literarische Welt zu bewegen. 1960 erneuerte Claire Goll ihre Beschuldigung, derzufolge Celans "Mohn und Gedächtnis" eine Imitation von Golls "Traumkraut" darstellte.(8) In verschiedenen Veröffentlichungen wurden Gegenstimmen laut, die die Anschuldigungen zurückwiesen.(9) Zur Klärung der Affäre veranlaßte die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt eine Untersuchung, mit der Fritz Martini seinen damaligen Assistenten Reinhard Döhl beauftragte. Dieser veröffentlichte die Ergebnisse seiner Nachforschungen im Jahrbuch der genannten Akademie für das Jahr 1960 (S. 101ff.) Döhl gelang es, die Widersprüchlichkeiten in Claire Golls Behauptungen durch Vergleich der verschiedenen in Umlauf gesetzten Versionen deutlich zu machen, anhand der bekannten Datierungen die Unmöglichkeit des Plagiats nachzuweisen und durch seine Untersuchung des Metapherngebrauchs bei Goll und Celan wesentliche Unterschiede zwischen beiden Dichtern herauszuarbeiten.

Die Atmosphäre um Celan wurde für diesen immer unerträglicher.(10) Dennoch war Celan entschlossen, das Gräßliche nicht mitzumachen.(11) Sein öffentliches Schweigen war total. Persönlich quälte er sich jedoch unvorstellbar, so daß er bezeichnenderweise zu einem mehr oder weniger unerwarteten Geständnis bereit war: " Ich habe mich oft gefragt, ob es nicht besser gewesen wäre, bei den Buchen meiner Heimat zu bleiben. "(12) Am 8. März 1962 schrieb er an Petre Solomon und brachte somit das empfundene Gefühl zum Ausdruck, alte, unvergessene Verbindungen neu zu erleben:

(13)

Er fragt auch nach der Tätigkeit von Maria Banus und Nina Cassian : "Ce face Nina? Dar Maria Banus? "(14) Fast ständig interessiert er sich mit Bewunderung und Dankbarkeit für Al. Philippide: " Si maestrul Philippide - întreabã-l, te rog, dacã-mi permite sã-i trimit cãrtile m ele"(15), lesen wir im oben erwähnten Brief, einem der wenigen noch vollständig in rumänischer Sprache verfaßten Briefe. Es wurde auf dem Hintergrund der ominösen Ereignisse für Celan immer deutlicher, daß er nicht heimisch werden konnte, daß er eine mögliche Heimat, Rumänien, die Bukowina, verlassen hatte, Hoffnungen und Erwartungen folgend, die sich als unerfüllbar erwiesen. Er fühlte sich zwischen trostloser Einsamkeit einer widrigen Gegenwart und unwiederbinglich verlorener sinnvollerer Jugendzeit zerrissen. Der Einblick in lange noch unbekannte Celan-Briefe bestätigt diese Feststellung:

Je suis - nous sommes tout-à-fait seuls ... Plus aucune possibilité de publier, on me vole déjà mes manuscrits ... on me vole - cela ne suffit pas: il faut - la belle et éternelle projection! - qu'on me présente partout comme Le Voleur." Im gleichen Brief heißt es weiter: "Parmis les dernières en date: on insinue que je ne sais pas les langues que je traduis.(16)

Auf dem Hintergrund des Erlebten und der frischen Erfahrungen macht der Dichter auch einige Äußerungen, die unsere Aufmerksamkeit aufhorchen lassen und jenes Bild korrigieren und ergänzen, das man sich schematischerweise von Paul Celan gemacht hat. Peter Horst Neumann spürte diese Töne, versuchte jedoch seine Aussagekraft zu schwächen oder gar fälschlich darzustellen, da er selber kein Anhänger der engagierten Dichtung zu sein scheint.(17)

Auch wenn er, wie gesagt, "diese neuen Probleme der jüngsten Gedichte Paul Celans"(18) spürte. An dieser Stelle seien deshalb einige ungenügend beachtete oder gar mißdeutete(19) Geständnisse Celans angeführt:

(20)

Oder:

Je t'étonnerais probablement en t'apprenant qu'après quatorze ans, j'ai peu d'amis à Paris. Depuis quelque temps, nous en avons deux, un acteur et sa femme, qui est institutrice. Ce n'est sûrement par hasard qu'il s'agisse de deux membres du Parti Communiste. (Ce que je ne dis point pour entrer dans tes grâces!) (21)

Sicherlich dürfen diese Äußerungen keineswegs überbewertet, aber auch nicht verschwiegen werden. Sie helfen dabei, bestimmte Aspekte der Celanschen Lyrik in einem der Wahrheit entsprechenderen Licht zu sehen.(22)

Kein Wunder also, daß Celan sowohl durch die geschichtlich-biographischen als auch durch die gesellschaftlichen Gegebenheiten seines bewegten Lebens seiner Heimat, seinen Bukarester Freunden die Treue hielt. Er schätzte den Wert der rumänischen Dichter sehr hoch ein, mit denen er sich verbunden, denen er sich jedoch auch irgendwie verpflichtet fühlte:

Mi-am spus deseori ... cît de nedrept este cã tocmai eu am fost favorizat de o limbã de 'circulatie' mondialã: dacã cel putin as putea sã traduc într-o zi pe ceilalti! "(23)

Er hoffte immer noch, daß er sich zeitlich wird so einrichten können, um die Werte der jüngeren rumänischen Poesie bekanntzumachen: "... Je l'éspère, le retour, tardif, vers la poésie roumaine un peux refoulée, je l'avoue au milieu de mes péripéties occidentales. Dans un recueil de traduction qu'un jour j'arriverai peut être à publier, j'éspère réparer, retrapper ce retard... J'ai eu, il y a longtemps, des amis poètes: c'était, entre 45 et 47 à Bucarest. Je ne l'oublierai jamais .(24)

Aus jenem "verdammt geliebten Czernowitz" stammend, schlußfolgert Paul Celan in einem Brief an Alfred Margul-Sperber, wobei er eine "Karpatische Fixiertheit" unverhüllt in Ansprucht nimmt:

In einem gewissen Sinne ist mein Weg noch einmal der Ihre, wie der Ihre beginnt er am Fuße unserer heimatlichen Berge und Buchen, er hat mich, den - um es mit einem Scherzwort zu sagen - karpatisch Fixierten - weit ins Transkarpatische hinausgeführt ...(25)

In Paris niedergelassen, schrieb der in der Bukowina beheimatete, ehemals rumänische Bürger Paul Celan in deutscher Sprache Bücher, die er in Deutschland veröffentlichen ließ - in einem Land, das er möglichst zu vermeiden bestrebt war und - nach eigener Aussage - nur "lesenderweise"(26) besuchte. Sein Aufstieg als Lyriker ist schwindelerregend, er wird bald als einer der größten, wenn nicht sogar als der größte deutschsprachige Dichter des 20. Jahrhunderts bezeichnet. In den Schulen wird sein anthologisches Gedicht "Die Todesfuge" besprochen. Mit dem Band "Von Schwelle zu Schwelle" (1955) vollzieht sich eine Wende im poetischen Diskurs Celans, die Sprache wird von nun an auf das Wesentliche reduziert, die Metaphern werden ins Absolute gesteigert, die Verse sind Synkopen ausgesetzt, brechen auseinander, das Schweigen breitet sich aus, als folge der Dichter bis zur letzten Konsequenz dem Spruch Ludwig Wittgensteins: "Worüber man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen."(27) Der reife Celan wird nicht von der großen Masse der Leser aufgesucht, er freut sich dafür in Kreisen von Germanisten einer bislang unübertroffenen Beliebtheit. Sein Versuch, den Philosophen Martin Heidegger zu treffen und sich mit ihm zu unterhalten scheitert, die Brücke legt sich nicht, die Kluft klafft nach wie vor. Die Ehe mit der Graphikerin Gisèle Lestrange geht in die Brüche. Die Gesundheit des Dichters ist ernsthaft beschädigt. Der Gedanke, in Czernowitz seine Eltern allein gelassen zu haben, obwohl ihn rumänische Freunde gewarnt haben, daß eine gefährliche Razzia geplant sei, verfolgt ihn unbarmherzig - seine Eltern wurden ins Arbeitslager nach Transnistrien deportiert und kamen dort ums Leben. Dafür konnte sein Schulkamerad und späterer Dichter Immanuel Weissglas seinen eigenen Eltern im Arbeitslager bei den schweren Arbeiten helfen - und sie alle kamen aus dem Lager heraus. Das Schuldgefühl deprimiert ihn und verstärkt sein Unbehagen am Leben. Das vollständige Schweigen warf seinen unheilvollen Schatten auf den ruhelos herumirrenden Dichter.

Unter den Bedingungen einer derart tiefen existentiellen Krise erschienen in Heft 2 (Februar) 1979 der Bukarester deutschsprachigen Zeitschrift "Neue Literatur" einige Gedichte - darunter befand sich auch Immanuel Weissglas' Gedicht "Er", das damals zum erstenmal veröffentlicht wurde. Ebenso wie das Gedicht "Die Blutfuge" eines anderen Bukowiner Dichters, Moses Rosenkranz, verrieten die Metapher von Weissglas' "ER" eine verblüffende Ähnlichkeit zu denen aus der "Todesfuge".

ER

Wir heben Gräber in die Luft und siedeln
Mit Weib und Kind an dem gebotnen Ort.
Wir schaufeln fleißig, und die andern fiedeln,
Man schafft ein Grab und fährt im Tanzen fort.
ER will, daß über diese Därme dreister
Der Boden strenge wie sein Antlitz streicht:
Spielt sanft vom Tod, er ist ein deutscher Meister,
Der durch die Lande als ein Nebel schleicht.
Und wenn die Dämmrung blutig quillt am Abend,
Öffn' ich nachzehrend den verbissnen Mund,
Ein Haus für alle in die Lüfte grabend:
Breit wie der Sarg, schmal wie die Todesstund.
Er spielt im Haus mit Schlangen, dräut und dichtet,
In Deutschland dämmert es wie Gretchens Haar.
Das Grab in Wolken wird nicht eng gerichtet:
Da weit der Tod ein deutscher Meister war.
Zeitgenossen, die Celan in jener Zeit noch gesehen haben, berichten, daß der Dichter mit von Besorgnis gezeichnetem Gesicht durch Paris herumirrte - in der Hand soll er ein Heft der "Neuen Literatur" mit sich geführt haben. Auf seinem Arbeitstisch wurde ein Band mit Gedichten von Immanuel Weissglas aufgefunden - es kann sich nur um dasselbe Heft der Bukarester Literaturzeitschrift "Neue Literatur" handeln. In manchen Kreisen wird der Gedanke geäußert, Celan habe eine neue Plagiatsbeschuldigung für möglich gehalten und deshalb befürchtet, daß eine neue unheilvolle Plagiatsaffäre förmlich in der Luft lag - Celan hatte die tiefste innere Erschütterung, die Claire Goll ausgelöst hatte, noch immer frisch in Erinnerung. Zugleich wird vermutet, das dies der Tropfen gewesen sei, der das Glas zum Überlaufen brachte - am 2. Mai 1970 fand man seine Leiche am Ufer der Seine: an Land gespült, wie eine grausame Flaschenpost: Erinnern wir uns an eine bedeutende Stelle aus seiner Bremer Rede über das Wesen des Gedichts:

Das Gedicht kann, da es ja eine Erscheinungsform der Sprache und damit seinem Wesen nach dialogisch ist, eine Flaschenpost sein, aufgegeben in dem - gewiß nicht hoffnungsstarken - Glauben, sie könnte irgendwo und irgendwann an Land gespült werden, an Herzland vielleicht. Gedichte sind auch in diesem Sinne unterwegs: sie halten auf etwas zu.
Worauf? Auf etwas Offenstehendes, Besetzbares, auf ein ansprechbares Du vielleicht, auf eine ansprechbare Wirklichkeit.

Celan hatte sich mit seiner Dichtung voll identifiziert - auch er wurde mit seiner poetischen Botschaft "an Land gespült", auch er suchte nach "einem ansprechbaren Du", nach "einer ansprechbaren Wirklichkeit". Die Wirklichkeit wurde dem Menschen Celan unerträglich, unansprechbar. Heute weiß man, daß er sich am 20. April 1970 vom Pont Mirabeau aus den Wassern der Seine anvertraute ... Die Interkulturalität und die literarische In-Formation zeitigen scheinbar nicht selten auch bitter-böse Folgen - ebenso wie die Sprachkommunikation nicht nur Nähe, sondern oft auch Ferne, Entfremdung, Ausgrenzung und Frustration schaffen kann.

Was steckte hinter dieser Geste der Verweiflung und der totalen Auswegslosigkeit? Was dürfte sie ausgelöst haben?

In einigen Untersuchungen zum Leben und Werk des Dichters, die nach seinem Tode erschienen sind, wurden eine Reihe von Vermutungen geäußert, die mit größter Wahrscheinlichkeit auch Celan selbst durch den Kopf gegangen sind. Sie dürften seine tragische Entscheidung mit herbeigeführt haben: Post festum, besser gesagt post mortem bestätigten sie seine dunklen Ahnungen. In der von Hans Bender geleiteten Zeitschrift "Akzente" - das ist eben Hans Bender, dem Claire Golle die oben zitierten Briefe geschrieben hatte - erschien 1972 der Aufsatz "Die Zeit der Todesfuge" von Heinrich Stiehler. 1973 übernahmen vier rumäniendeutsche Literaturhistoriker (Karl Streit, Josef Zirenner, Herbert Bockel und Walter Engel) kritiklos(28) die darin enthaltene Behauptung Stiehlers, die in Richtung einer Bloßstellung eines anderen "Plagiats"-Ansatzes lief:

Wie sehr Celan in seiner Bukarester Zeit von Weissglas beeinflußt war, wird anhand der 'Todesfuge' nachgewiesen, einem der berühmtesten Gedichte Celans, das wenige Monate nach Weissglas' 'ER' verfaßt wurde.(29)

Die vier rumäniendeutschen Literaturhistoriker fügten auch Moses Rosenkranz als mögliche Quelle für Celans "Todesfuge" hinzu. Noch 1977 wiesen wir in unserer Leipziger Dissertation darauf hin, daß literatur- und rezeptionsgeschichtlich solche Einflüsse zumindest fragwürdig sind: Die "Todesfuge" erschien - in rumänischer Übersetzung - bereits 1947, Immanuel Weissglas' "ER" dagegen erst 1970 - ebenso wie "Die Blutfuge" von Moses Rosenkranz.(30) Aus der Sicht einer nachweisbaren Rezeption schien eine interreferentielle Wirksamkeit ausgeschlossen.

Doch die Literatur weist eine unterirdische, subkutane, geheimnisvolle, oft biographisch bedingte Genesis auf. Die Kontakte zwischen den drei Autoren - Rosenkranz, Weissglas und Celan - waren insbesondere auf dem Gebiete der ästhetischen Kommunikation durchaus wirksam. Fern jenen deutschsprachigen Orten, an denen über das literarische Schicksal entschieden wurde, lasen die Bukowiner, aber auch alle anderen rumäniendeutschen Autoren die Werke ihrer deutschsprachig schreibenden Landsleute, sie nahmen sich gegenseitig zur Kenntnis und tauschten - nicht selten auch öffentlich - ihre Urteile und Meinungen aus. Auf der Bukowiner Literaturszene inszenierten die Bukowiner Lyriker einander den Erfolg! Aus all den biographischen und intertextuellen Bezüge ergab sich ein intensiver und fruchtbarer Austausch sowie eine durch zeitstilistischen Zwang bedingte, vaterschaftslose Zirkulation von poetischen Bildern, Metaphern und Bezüge. Das war nicht zuletzt auch eine Folge interkultureller und intertextueller Austauschprozesse in pluriethnisch und mehrsprachig geprägten geistigen Landschaften, wie sie in der Bukowina, aber auch in anderen Gebieten Rumäniens bestanden und weiterhin noch bestehen. Alle kannten ausgezeichnet die rumänische Sprache und Kultur, der interreferentielle Raum war besonders stark ausgedehnt. Biographische Momente dürften dabei eine kaum gering zu schätzende Rolle gespielt haben.

Aus den Aussagen von Moses Rosenkranz' Frau artikulierte der ehemalige DDR-Dissident, der Balladensänger und Schriftsteller Wolf Biermann, einige neue Aspekte in Sachen Interreferentialität:

Im Jahre 1942, in diesem rumänischen Arbeitslager [Tãbãresti-Cilibia], schrieb Rosenkranz sein Gedicht "Die Blutfuge". Der um 16 Jahre ältere Rosenkranz hat genau zehn Jahre, bevor die "Todesfuge" in die Welt kam, dem jungen Celan diese Verse vorgelesen. Später schrieb Rosenkranz ein anderes Lager-Gedicht, in dem am Schluß eines der metaphorischen Highlights der Celanschen Todesfuge schon formuliert ist: das Grab in den Wolken.(31)

Bereits bei Primo Levi fand Wolf Biermann die Metapher "Grab in den Lüften"(32). Derselbe Biermann verweist auf weitere interkulturelle Bedingtheiten, auf "fremdgefertigte Metaphern": Mit Weissglas ging Celan in das gleiche Czernowitzer Gymnasium, im Arbeitslager kam er mit Moses Rosenkranz zusammen. Außerdem:

Von Rose Ausländer, der arrivierten Dichterin aus Czernowitz, las ich mal, daß sie die Erfindung des Reizwortes "Schwarze Milch" für sich reklamiert. Dabei weiß ich, daß es Lieder in der rumänischen Folklore gibt, wo von der "dunklen Milch" gesungen wird, auch von der "blauen Milch". Keiner von uns hat die Sprache geschaffen wie Gott die Welt.(33)

Woher könnte Wolf Biermann seine Kenntnisse über die rumänische Folklore gewonnen haben? Zu vermuten, er habe in unserer Leipziger Dissertation darüber gelesen, wäre fast überheblich. Und wenn nicht, so könnte Doris Rosenkranz, die Witwe von Moses Rosenkranz, in der in Kappel-Lenzkirch geführten Diskussion den Hinweis auf diese Schöpfungen der rumänischen Folklore gemacht haben. Auf diese Aspekte haben wir im gleichen Haus seinerzeit oft den Dichter und seine Frau Doris Rosenkranz hingewiesen. Dabei steht allerdings sowohl in unserer Leipziger Dissertation als auch in der später veröffentlichten Fassung, daß die Metapher "blaue Milch" bei Lucian Blaga, dem großen rumänischen Lyriker der 30er Jahre, vorkommt(34). Doch genau genommen, stammt das Oxymoron von Jean Paul Friedrich Richter. Verzwickt sind ja nicht nur die interreferentiell-intertextuellen Wege, sondern auch jene der literarisch-kulturellen In-Formation. Aufregende Textur interkultureller und intertextueller Dynamik. Unerschöpfliche Quelle künstlerischer Kreativität.

Indem er den Gedanken des Plagiats erneut aufgreift, illustriert Wolf Biermann dann den Spruch "Besser gut gestohlen als schlecht erfunden" mit dem literarischen Erfolg von Paul Celan. Sein Urteil ist unmißverständlich: Man habe es eindeutig mit einem Plagiat zu tun:

Gut, daß Celan geklaut hat, denn er hat gut geklaut!

Ohne Celans genialen Diebstahl wären die poetischen Erfindungen von Rosenkranz und Weißglas wohl für ewig wie Perlen im Meer auf dem Grunde liegengeblieben. Das wahrhaft Verheerende an dieser Plagiatsgeschichte ist, daß Celan, wie von Furien gehetzt, sich immer heilloser verstrickte in absurde Beweiserei und Behaupterei, daß er kein gemeiner Taschendieb sei!

Nun tritt auf dieser tragikomischen Gauckler-Bühne kein geringerer als Theodor W. Adorno, der berühmte Philosoph, Autor der nicht weniger berühmten Schrift "Minima moralia" auf. Im Besitz der Familie Rosenkranz befindet sich ein Brief von Theodor W. Adorno, in dem sich dieser zu einigen ihm zugeschickten Gedichten von Moses Rosenkranz äußert. Adornos Antwort erfolgte in dem Jahr, in dem Paul Celan seinem Bukarester Freund, dem Schriftsteller Petre Solomon, voller Verzweiflung schrieb:

Je suis - nous sommes tout-à-fait seuls... Plus aucune possibilité de publier, on ne me vole déjà mes manuscrits ... on me vole - cela ne sufit pas: il faut - la belle éternelle projection! - qu'on me présente partout comme Le Voleur.(35)

Um die damals in Umlauf gesetzten Anschuldigungen nicht auch noch selber zu bekräftigen, hält es Adorno für angemessen, den verjagten Dichter Celan in Schutz zu nehmen. Er bittet Rosenkranz, sein Gedicht "Die Blutfuge" nicht in Deutschland erscheinen zu lassen, da er, Adorno, ein guter Freund Celans sei. Und Adorno gesteht kontextuell seinen Briefpartnern folgendes:

Es ist keine Indiskretion, wenn ich Ihnen sage, daß er [Celan; G.G.] in einem überaus labilen Zustande sich befindet ...die Publikation dieses Gedichts [der "Blutfuge" von Rosenkranz; G.G.] , das durch den Titel allein schon an sein eigenes berühmtestes mahnt, könnte ihn in einer Weise treffen, die nicht vorher sich sagen läßt.(36)

Biermanns Kommentar ist von der Tragik einer solchen Situation und Entscheidung geprägt: "Was für ein tragisches Elend, was für eine elende Tragik!" Man könne es Adorno nicht übelnehmen, daß er Celan um jeden Preis schützen wollte in einer Zeit, in der dieser eine tiefe existentielle Krise durchmachte. Andererseits könne auch das unermäßliche Unrecht, das dadurch dem anderen, ebenfalls aus Rumänien geflüchteten Bukowiner Dichter, Moses Rosenkranz, angetan wurde, nicht außer acht lassen - auch dieser war auf der Flucht, auch dieser wollte an die Öffentlichkeit treten. Durch Adornos Entscheidung blieb er jedoch bis vor kurzem so gut wie unbekannt. Erst in den letzten Jahren erschienen Gedichtebände von Rosenkranz. Doch erst durch den durchschlagenden Erfolg seines Prosawerks "Kindheit. Fragment einer Autobiographie", die wir im Aachener Rimbaud Verlag herausgegeben haben(37), wurde man auf das tragische Schicksal des Dichters Rosenkranz aufmerksam gemacht. Sowohl Celan als auch Rosenkranz entgingen um eine Haaresbreite der Verschickung in die Arbeitslager Transnistriens, doch ihr Leben lang waren sie Gefahren ausgesetzt. Rosenkranz sollte sogar - nicht mehr und nicht weniger als zehn Jahre lang - durch die Hölle des sowjetischen Gulags hindurchgehen, dem er erst 1957 entkommen konnte. Der Philosoph Adorno, der den weit bekannt gewordenen Ausspruch: "Nach Auschwitz Gedichte schreiben ist barbarisch" prägte, bewegt Wolf Biermann zu der Ansicht, die Gedichte der zwei Lyriker Rosenkranz und Celan, aber auch anderer Autoren widerlegten unumstritten obige Aussage:

Wenn ich nun an das Schicksal des Dichters denke, der als junger Mann "Des Bauern Tod" schrieb [d.h. Moses Rosenkranz; G.G.], spüre ich doppelt die Substanzlosigkeit des fatalen Verdikts von Adorno. Menschenskind, das Gegenteil ist wahr! Wir sollten es besser barbarisch finden, wenn nach Auschwitz kein Gedicht über Auschwitz geschrieben wird.(38)

Und barbarisch sei auch die Aufnahme, die dem Dichter Rosenkranz im Westen beschieden war:

Gewiß spricht es für Adorno, daß er 1962 seinen empfindlichen Freund Celan schützen wollte vor dem Ärger über eine Veröffentlichung der "Blutfuge" irgendeines Unbekannten aus dem Osten. Aber wie barbarisch ist es zugleich, einem Menschen, der mit knapper Not sich aus der Shoa und aus dem GULAG mit seinen Versen endlich in ein freieres Land gerettet hatte, nun auf die Gurgel zu treten. Was für ein höllischer Empfang für einen Menschen, der aus zwei Höllen kam.(39)

Ein merk-würdiger Fall der Interkulturalität und Intertextualität. Die Modernität des lyrischen Diskurses von Paul Celan, der von Anfang an als Bildungslyriker aufgetreten ist, der sich in akademischen Kreisen einer außerordentlichen Beliebtheit erfreut, rettete - so paradox dies klingen mag - zwei andere rumäniendeutsche Dichter: Moses Rosenkranz und Immanuel Weissglas. Um den ungeheueren Preis allerdings, ein Leben lang an den Rand, in die Bedeutungslosigkeit gedrängt worden zu sein durch die einseitige, glücklich-unglückliche Entscheidung von Theodor W. Adorno aus dem Jahre 1962.

Auch diese Episode bestätigt erneut die Schlußfolgerungen, die wir 1977 in unserer Dissertation(40) gezogen hatten, als wir behaupteten, daß Celan dem Kontakt mit seiner Bukowiner Landsleuten, mit deutschsprachigen Autoren wie Alfred Margul-Sperber, Alfred Kittner, Moses Rosenkranz, Immanuel Weißglas sowie mit den rumänischen Klassikern der Zwischenkriegszeit Tudor Arghezi, Lucian Blaga und Alexandru Philippide eine Reihe von bildlichen und metaphorischen Anregungen, die Öffnung zur Modernität des poetischen Duktus, den ausgesprochenen Sinn für die Sprache mit ihrem Sinn und ihren Buchstaben, den tiefen Sinn für das menschliche Dasein verdankt. Das alles gestaltet sich zu einem beeindruckenden Knäuel von kulturellen Interferenzen und Anregungen, die aus dem Horizont verschiedener Kulturen, Sprachen und poetischen Reservoirs herrühren, die - erst alle zusammengenommen - das vollständige Bild einer der Interkulturalität und Intertextualität eines pluriethnischen und mehrsprachigen Gebietes verpflichteten komplexen, einmaligen kreativ-interreferenziellen Synthese ausmachen.

© George Gutu (Universität Bukarest)


ANMERKUNGEN

(1) Brief von Claire Goll an Hans Bender vom 23.1.1965, in: Briefe an Hans Bender. Unter redaktioneller Mitarbeit von Ute Heimbüchel herausgegeben von Volker Neuhaus. Kulturkreis im Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. Köln, Hanser Verlag, München 1984, S. 83.

(2) Brief von Claire Goll an Hans Bender vom 7.12.1970, in: ebd., S. 114f.

(3) Siehe dazu George Gutu : Paul Celan und kein Ende... Das maschinenschriftliche Konvolut von frühen Gedichten Paul Celans im Bukarester Alfred-Margul-Sperber-Nachlaß. In: 'Stundenwechsel'. Neue Perspektiven zu Alfred Margul-Sperber, Rose Ausländer, Paul Celan, Immanuel Weissglas. (Hrsg. v. Andrei Corbea-Hoi sie, George Gutu, Martin A. Hainz.) Editura Paideia, Bucuresti / Editura Universitãtii Al. I. Cuza " , Iasi / Hartung-Gorre Verlag, Konstanz 2002, S. 246-268.

(4) Dazu äußerten wir uns in wissenschaftlicher Betrachtungsweise in Geor ge Gutu: Die Lyrik Paul Celans und die rumänische Dichtung der Zwischenkriegszeit, Editura Univers i tãtii din Bucuresti, 1994.

(5) Ebd., S. 115.

(6) "Contemporanul" (Bukarest) vom 2. Mai 1947. Übersetzung von Petre Solomon.

(7) Agora. Colectie internationalã de artã si literaturã "Sisiph" - Agora. Colectie internationalã sub auspiciile Fundatiei regele Mihai I, îngrijitã de Ion Caraion si Virgil Ierunca, Bucuresti, mai 1947, 1026 Exemplare. Beiträge von Tudor Arghezi, Ion Barbu, Lucian Blaga, Geo Bogza, André Bret on, Ion Caraion, Paul Celan, Cervantes, Petru Comarnescu, Robert desnos, Mihai Eminescu, Sergej Jessenin, Zoltan Franyo, Benjamin Fundoianu, Jean Laforgue, Henri Michaux, Eugenio Montale, Christian Morgenstern, Alexandru Philippide, Alexander Puschkin, Salvatore Quasimodo, R. Regnier, Rainer Maria Rilke, Umberto Saba, Carl Sandburg, Charles Singevin, Alfred Sperber, Dimitrie Stelaru, Giancarlo Vigorelli. Diese schriftstellerische Konstellation selbst deutet unmißverständlich darauf an, welche künstlerische Interessiertheit in Bukarest praktiziert wurde und welches der geistig-poetische Kreis war, in dem Paul Celan in jenen Jahren verkehrte.

(8) Siehe dazu: "Baubudenpoet", München, 5, 1970!

(9) Dazu: Marie Luise Kaschnitz, Ingeborg Bachmann, Klaus Demus in: "Neue Rundschau", 3, 1960; Peter Szondi in: "Neue Zürcher Zeitung" vom 18.11.1960; Georg Maurer in: "Die Welt" vom 31.12.1960; Walter Jens in: "Die Zeit", 24, 1961.

(10) Brief Celans an Alfred Margul-Sperber vom 30.7.1960, in: Petre Solomon: Paul Celan. Dimensiunea româneascã, Editura Kriterion, Bucuresti 1987 , S. 255 ff.

(11) Ebd.

(12) Ebd.

(13) Brief Celans an Petre Solomon vom 8. März 1962, in: Petre Solomon: Paul Celan. Dimensiunea rom âneascã, Editura Kriterion, Bucuresti 1987 , S. 217. (Deutsche Fassung, genauso wie bei den anderen rumänischen oder französischen Briefstellen, von George Gutu.)

(14) "Wie geht es Nina (Cassian; G.G.)? Und Maria Banu s? " Ebd., S. 218.

(15) "Frag, bitte, Meister Philippide, ob er mir gestattet, ihm meine Bücher zu schicken." Ebd.

(16) "Ich bin - wir sind ganz allein ... ohne die Möglichkeit zu veröffentlichen - man stiehlt mir schon die Manuskripte ... Man stiehlt sie - aber das genügt noch nicht: man muß mich - das schöne ewige Bild - sogar überall als den Dieb hinstellen." "Das letzte jüngeren Datums: man gibt unsinnigerweise an, ich könne kaum die Sprachen, aus denen ich übersetze." Brief an Petre Solomon vom 22. März 1962. (Im Anhang.) Siehe dazu auch Petre Solomon, Erinnerungen an Paul Celan in: Via ta Româneascã, 7, 1970, S. 49f.

(17) Peter Horst Neumann, Zur Lyrik Paul Celans, Kleine Vandenhoeck-Reihe, Göttingen 1968, S. 56-70.

(18) Klaus Schuhmann, Literarische Entwicklung in Westdeutschland, in: Referatendienst zur germanistischen Literaturwissenschaft, Deutsche Akademie der Wissenschaften, Berlin, 5, 1969.

(19) Siehe dazu Jos Noltes sichtbar tendenziöse Kritik "Hunger nach Eindeutigkeit. Zu Paul Celans neuem Gedichtband 'Atemwende'", in: "Die Welt" vom 9.11.1967. Darin wird - in bezug auf den besprochenen Band - gemeint: "Die Harlekinade kann darüber nicht hinwegtäuschen, daß hier ein sehr melancholischer Geist am Werk ist, aber Melancholie und Lächerlichkeit, so zeigt sich wieder einmal, sind enger verschwistert, als es dem Tiefsinn lieb sein kann."

(20) "Ich schreibe, nach Deinem guten Rat, an Sperber; ich sage auch ihm in dieser deutschen Sprache, die die meinige ist und - auf schmerzhafte Weise - die meinige bleibt, daß ich mich mit meinem Meridian - dem mit deinem, Petric ã , verwandten - genau dort befinde, von wo aus ich anfing (mit meinem, ich kann's hier sagen, alten Kommunistenherzen)." Brief Celans an Petre Solomon vom 8. März 1962, in: Petre Solomon: Paul Celan. Dimensiunea rom âneascã, Editura Kriterion, Bucuresti 1987 , S. 218.

(21) "Du wirst dich vielleicht wundern, wenn ich dir sage, daß ich nach vierzehn Jahren in Paris wenig Freunde habe. Nach einiger Zeit haben wir zwei, einen Schauspieler und seine Frau, die Lehrerin ist. Es ist sicher kein Zufall, daß es sich dabei um zwei Mitglieder der Kommunistischen Partei handelt. (Das sage ich nicht etwa, um Deine Gunst zu gewinnen!)" Brief Celans an Petre Solomon vom 6. August 1962, in: George Gutu: Die Lyrik Paul Celans und der geistige Raum Rumäniens, Tipografia Universitãtii din Bucuresti, 1990, S. 246.

(22) Hugo Huppert, Sinnen und Trachten. Anmerkungen zur Poetologie, Mitteldeutscher Verlag, Halle/Saale 1973, S. 34.

(23) "Ich sagte es mir oft ..., wie ungerecht es ist, daß ausgerechnet ich den Vorteil einer 'Welt'sprache genoß: wenn es mir bloß gelingen würde, eines Tages die anderen zu übersetzen!" Brief Celans an Petre Solomon vom 18. Juli 1957, in: George Gutu: Die Lyrik Paul Celans und der geistige Raum Rumäniens, Tipografia U niversitãtii din Bucuresti, 1990, S. 243.

(24) "Ich hoffe - zwar spät - zurückzufinden zu der rumänischen Dichtung, die ich ein wenig vernachläßigte im Rahmen meiner westlichen Abenteuer. Ich hoffe, diese Verspätung in einem Auswahlband mit Übersetzungen wiedergutzumachen, sie nachzuholen, und daß ich noch den Tag erleben werde, an dem es mir gelingt, ihn zu veröffentlichen ... Ich hatte vor langer Zeit Freunde unter den Dichtern: das war zwischen 45 und 47 in Bukarest. Ich werde es nie vergessen." Brief Celans an Petre Solomon vom 12. September 1962 in: Via ta Româneascã, 7, 1970, S. 48f!

(25) Brief von Celan an Alfred Margul-Sperber vom 12.12.1962, in: Neue Literatur, 7, 1975, S. 59.

(26) "Tu me demandes de mes nouvelles - eh bien, je suis rentré, il y a quelques jours, d'un voyage en Allemagne, où, à Stuttgart, j'ai lu, en hommage à Hölderlin, les poèmes qui paraîtront en septembre. Puis j'ai pasé huit jours à Fribourg, où je retournerai en mai, encore, lesenderweise. Les choses diminuent, les choses augmentent - sorry for these 'words of wisdom' - ton regard les éclairera d'un sens ... Je t'embrasse, Paul." Brief Celans an Nina Cassian vom 6. April 1970, in: George Gutu: Die Lyrik Paul Celans und der geistige Raum Ru mäniens, Tipografia Universitãtii din Bucuresti, 1990, S. 253.

(27) Ludwig Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus, .....

(28) Josef Streit, Josef Zirenner, Herbert Bockel und Walter Engel: Rumäniendeutsche Gegenwartsliteratur 1944-1972. Versuch einer Bestandsaufnahme und Interpretation. In: Volk und Kultur, 10, 1973, S. 36.

(29) Heinrich Stiehler: Die Zeit der "Todesfuge". In: "Akzente", 1, 1972, S. 48.

(30) Vgl. George Gutu: Die rumänische Koordinate der Lyrik Pau l Celans, Universität Leipzig, Leipzig 1977. Siehe auch: George Gutu: Die Lyrik Paul Celans und der geistige Raum Rumäniens, Editura Universitãtii din Bucuresti, Bukarest 1990, S. 163 f.

(31) Wolf Biermann: Über Deutschland. Unter Deutschen. Essays. Kiepenheuer & Witsch, Käln 2002, S. 172.

(32) Ebd., S. 152.

(33) Ebd., S. 151.

(34) Zu diesem synästhetisch-metaphorischen Feld von "blaue Milch" gehören weitere Blagasche Stellen: "schwarzer Honig", "schwarzes Silber" (steht dem Syntagma "schwarze Milch" am nächsten), "schwarzes Wasser", "blaue Flamme", "das schwarze Manna des Traums" oder auch "die Welt ist ein blaues Kleid". In: George Gutu: Die Lyrik Paul Celans und die rumänische Dichtung der Zwischenkriegszeit, Editura Universitãtii din Bucuresti, Bukarest 1994, S. 100f.

(35) Brief von Paul Celan an Petre Solomon vom 22. März 1962. In: George Gutu: Die Lyrik Paul Celans und der geistige Raum Rumäniens, Editura Universitãtii din Bucuresti, Bukarest 1990, S. 245.

(36) Wolf Biermann, a.a.O., S. 178.

(37) Moses Rosenkranz: Kindheit. Fragment einer Autobiographie. Hrsg. v. George Gutu unter Mitarbeit von Doris Rosenkranz, Rimbaud Verlag, Aachen 2001, 22002.

(38) Wolf Biermann, a.a.O., S. 178.

(39) Ebd.

(40) s. Anm. 30.

For quotation purposes:
George Gutu (Universität Bukarest): Paul Celan - zwischen Intertextualität und Plagiat oder interreferentielle Kreativität . In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 15/2003. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/03_6/gutu15.htm

 Bergmann (03.01.14)
Und noch lesenswerter:



Alwin Binder, « Die Meister aus Deutschland. Zu Paul Celans Todesfuge », Germanica, 21 | 1997, 51-71.

Die tausendmal abgedruckte « Todesfuge » ist von niemandem je verstanden worden. Auch von Celan selbst nicht. (Günther Anders)1.
Das Bürgertum, das die Mörder gestellt hatte, entlastete sich mit solchen Gedichten, die gleich Beschwörungsformeln in guten Stuben und Vortragssälen gemurmelt wurden. (Peter Hartling)2.
Als Christ glauben Sie, daß selbst jemandem wie Ihrem Vater [dem Sekretär des Führers, Martin Bormann], wenn er Reue gezeigt hätte, seine Taten vergeben werden. – Das ist gut biblisch begründet, und zwar schon im Alten Testament, beim Propheten Jesaja : « Und seien Eure Sünden rot wie Blut, ich werde Euch weißer waschen als den Schnee »3.
1
Zu kaum einem anderen deutschen Gedicht dürfte es so viele Interpretationen geben wie zu Paul Celans Todesfuge. Und die meisten sollen verdeutlichen, was Paul Celan mit diesem Gedicht beabsichtigte. Man vermag aber kein Gedicht zu verstehen, wenn man das herausfinden will, was sein Autor mit dem Gedicht sagen wollte, und wenn man am subjektiven Erfahrungshorizont dieses Autors mißt, ob eine Aussage über sein Gedicht richtig oder falsch sein kann. Die Sprache eines Autors ist nicht seine private Sprache, und jeder, der Bedeutendes sagt, sagt mehr, als er im Moment des Sagens weiß. Dementsprechend zeigt die Rezeptionsgeschichte der Todesfuge, daß Paul Celan von dieser Rezeption überrascht war und es ihn irritierte, daß die Todesfuge als das Gedicht fungierte, womit im Nachkriegsdeutschland der Holocaust aufgearbeitet werden konnte. Die Irritation Celans braucht nicht zu verwundern, da sein Gedicht fast ausschließlich aus Zitaten besteht, von denen möglicherweise andere Assoziationen angeregt wurden, als sie der Zitierende erwarten konnte. Die Formulierung « Schwarze Milch » schrieb Rose Scherzer-Ausländer in einem Gedicht von 1939, und die anderen zentralen Motive sind vorformuliert in dem 1944 entstandenen Gedicht Er von Immanuel Weißglas :

4 Alle Nachweise dazu in : Stiehler, Heinrich : Die Zeit der Todesfuge. Zu den Anfängen Paul Celans. (...)
Wir heben Gräber in die Luft und siedeln
Mit Weib und Kind an dem gebotnen Ort.
Wir schaufeln fleißig, und die andern fiedeln,
Man schafft ein Grab und fährt im Tanzen fort.

ER will, daß über diese Därme dreister
Der Bogen strenge wie sein Antlitz streicht :
Spielt sanft den Tod, er ist ein deutscher Meister,
Der durch die Lande als ein Nebel schleicht.
[…]

ER spielt im Haus mit Schlangen, dräut und dichtet,
In Deutschland dämmert es wie Gretchens Haar.
Das Grab in Wolken wird nicht eng gerichtet :
Da weit der Tod ein deutscher Meister war4.
5 « Die Todesfuge [...] gehört zu den vollkommenen und faszinierenden Gedichten unserer Zeit ; es wi (...)
6 Stiehler, a.a.O., S. 27.
Die Todesfuge ist montiert vor allem aus Gedanken, die der künstlerischen „Bewältigung“ des Holocaust dienen, so daß in ihr eher die Rezeption des Holocaust als dieser selbst gestaltet ist. Im Hinblick auf diese Rezeption werde ich fragen : Welche Entschuldungs-, Entlastungs-, aber auch Bewunderungsangebote enthält das Gedicht für die deutschen Rezipienten hinsichtlich des Holocaust ? Welche ideologischen Bedingungen für eine solche Rezeption spiegelt das Gedicht wider ? Ist das Gedicht zugleich eine Satire auf die in ihm vorgeführte und mit ihm angebotene Rezeption ? Ich konzentriere mich vor allem auf die Aussage : « Der Tod ist ein Meister aus Deutschland », weil sich vermutlich darauf die Faszination5 der Todesfuge bezieht. Diese Faszination ist so zu denken, daß der Faszinierte selbst nicht weiß, was ihn „in Wirklichkeit“ fasziniert. Er mag auf die Frage « Worum geht es in der Todesfuge ? » mit Stiehler antworten : « Thema ist das Leiden in den Konzentrationslagern. » 6.
2
Voraussetzung dafür, « das Leiden in den Konzentrationslagern » als das Hauptthema des Gedichts zu sehen, ist die einhellige Auffassung, die Todesfuge werde von einem « wir », nämlich von den Opfern des « Mannes » gesprochen. Tatsächlich gibt es verhältnismäßig wenige Stellen, die vom « wir » gesprochen sein müssen : Das sind alle wörtlichen Aussagen im Zusammenhang mit « wir trinken » und « wir schaufeln », sowie « er befiehlt uns » und « er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft ». Und auch die wörtliche Rede des « Mannes » ist nicht immer eindeutig : zum Beispiel braucht in Vers 24 « der Tod ist ein Meister aus Deutschland » nicht vom « er » gesprochen zu sein. Dagegen können Aussagen wie er « träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland » nicht unmittelbar vom « wir » stammen. Deshalb ist es sinnvoller, als lyrisches Subjekt einen Erzähler zu sehen, der die Welt des Gedichts erzählt und « wir » und den « Mann » sprechen läßt. Wenn ein Rezipient dies – bewußt oder unbewußt – wahrnimmt, verlieren die Aussagen des Textes ihre Unmittelbarkeit, da dieser Erzähler von einem höheren Standpunkt aus das Geschehen arrangiert. Am Erzähler könnte ablesbar sein, wie man Geschehnisse des Holocaust zusammen-'fügen' muß, damit er 'genießbar' wird.
7 Dieses « seine Juden » könnte von einem « wir » als lyrischem Subjekt des Gedichts und Opfer des Ho (...)
3
Bemerkenswert ist auch, daß in diesem Gedicht « wir » und « Juden » nicht identisch sind. « Er pfeift seine Juden hervor » wie « seine Rüden »7, sie scheinen zum Haus zu gehören, werden wie Tiere behandelt und zu einer Handlung eingeteilt, die der von Totengräbern entspricht. Diesen « einen » sind die « andern » gegenübergestellt, die die Herstellung des (Massen-)Grabes künstlerisch begleiten. Indem das « wir » zu den « andern », also nicht zu den « Juden » gehört, eröffnen sich die verharmlosenden Rezeptionsmöglichkeiten, daß nicht nur Juden in den Konzentrationslagern gewesen seien und daß die « Juden » zwar hart arbeiten mußten, aber nicht vergast und dann verbrannt worden seien, weil sonst das Ausheben eines Grabes in der Erde sinnlos sei. Das « Grab in den Wolken » kann dann gesehen werden als Luftgespinst, als Schall und « Rauch ». Durch die Unbestimmtheit des « wir » werden die Aussagen mehrdeutiger und verschwommener. Der « Mann » befiehlt beiden Gruppen und scheint beide mit den Rüden zu bedrohen, aber nicht nur die befohlenen Tätigkeiten sind verschieden, sondern auch der Umgang mit den « einen » und den « andern ». Während von den « Juden » nur Leistungssteigerung verlangt wird, sollen die « andern » nicht nur süßer und dunkler spielen und streichen und damit eine Todessehnsucht wecken, sondern ihnen sagt der « Mann », welche Folgen ihr gesteigertes Spielen für sie selbst haben werde : « dann steigt ihr als Rauch in die Luft dann habt ihr ein Grab in den Wolken ». Das klingt wie : „dann bekommt ihr, was ihr euch gewünscht habt“. Als Höhepunkt dieser Perversion, daß die Entmenschlichten dankbar sein müssen, fungiert die wörtliche Rede des « wir » : « er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt [!] uns ein Grab in der Luft ».
8 Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Band 11,1, 1. Leipzig 1935. Sp. 119.
9 Obgleich es sich streng genommen nur um eine quasianagrammatische Beziehung handelt, verwende ich h (...)
10 Es gibt noch den Binnenreim « befiehlt » und « spielt » (« er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz (...)
4
Möglich wird diese Perversion, weil der « Mann » so erzählt wird, daß er als „höhere“ Instanz, nämlich als Tod erscheint. Nach alten Vorstellungen sammelt der Tod die Menschen zum « tanz des todes und der toten » und spielt ihnen dazu auf8. Indem er « uns » zum Totentanz aufspielen läßt, erhebt er diese Menschen, und indem sie anstelle des Todes zum Tanz aufspielen, sind sie eingereiht in die Verantwortung für das Töten. Im Gedicht ist das Hochstilisieren des « Mannes » zu einer Allegorie des Todes schon angedeutet in dem Satz : « er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts ». Dieses « schwingts » hat im Zusammenhang mit einem „Schieß-Eisen“ wenig Sinn, vielmehr ist mit dem « Eisen » (synekdochisch, aber auch anagrammatisch9 : SENSE < EiSEN) zugleich die Sense des Todes gemeint. Noch deutlicher geschieht die Verwandlung des « Mannes » in den Tod mit den Aussagen « seine Augen sind blau » und « der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau ». Das meisterhafte Zielen, das hier beschrieben wird, erscheint nicht nur im einzigen Endreim10 dieses Gedichts, « blau » und « genau », sondern noch dadurch gesteigert, daß in « genau » das « Auge » anagrammatisch enthalten ist (GEnAU < AUGE). Diese Perfektion enthält das Angebot an den deutschen Rezipienten des Gedichts, sich mit dem Können des Todesschützen zu identifizieren und den Mord am einzelnen entweder dadurch zu entschuldigen, daß er das Werk einer höheren Instanz (« Tod ») gewesen sei, oder dadurch, daß selbst die Opfer die Meisterschaft der Mörder zugeben mußten.
5
Worauf ist angespielt, wenn der Mann « träumet » : « der Tod ist ein Meister aus Deutschland » ? Beachtet man in diesem Zusammenhang die Archaismen « singet » und « träumet » und die ebenfalls antiquierte Formulierung « er trifft dich mit bleierner Kugel », so verweist dies auf eine deutsche Tradition dieses Themas und führt zu der Frage, wo die Bewußtseinsstruktur vorgebildet sei, deren geschichtliche Wirksamkeit der « Mann » in dieser Fuge des « Meisters aus Deutschland » repräsentiert. Die Todesfuge läßt im übertragenen Sinn nicht nur an das in der Geschichte immer wieder Thema der Judenpogrome denken, sondern auch an die des Tötens in der deutschen Kunst.
11 Auf diese Zusammenhänge wird aufmerksam gemacht in : Wiedemann-Wolf, Barbara : Antschel Paul – Paul (...)
6
Die Todesfuge wurde zuerst veröffentlicht 1948 in dem Band Der Sand aus den Urnen, und zwar mit einer Illustration von Edgar Jene, die allerdings wenig mit der Todesfuge, sondern eher mit einer Stelle in Eduard Mörikes Novelle Maler Nohen zu tun hat. Diese Stelle wiederum ist kaum auf das Gedicht beziehbar, wohl aber folgendes Lied11 :

12 Mörike, Eduard : Maler Nohen. In : E.M. : Werke in einem Band. Hrsg. von Herbert G. Göpfert. Münche (...)
Jung Volker, das ist der Räuberhauptmann
Mit Fiedel und mit Flinte,
Damit er geigen und schießen kann
Nachdem just Wetter und Winde,
 Ja Winde !
 Fiedel oder Flint,
 Fiedel oder Flint,
 Volker spiel auf !

Ich sah ihn hoch im Sonnenschein
Auf seinem Hügel sitzen :
Da spielt er die Geig und schluckt roten Wein,
Seine blauen Augen ihm blitzen,
 Ja blitzen !
 Fiedel oder Flint…

Ich sah ihn schleudern die Geig in die Luft,
Ich sah ihn sich werfen zu Pferde ;
Da hörten wir alle, wie er ruft :
Brecht los wie der Wolf in die Herde !
 Ja Herde !
 Fiedel oder Flint...12
7
Auch hier ist die Perversion dargestellt, daß Kunst das Morden unterstützt : « Seine blauen Augen ihm blitzen », und zwar während er geigt. Nicht nur Fiedel und Flinte sind hier vertauschbar, sondern auch Augen und Flinte, aus der es beim Schießen blitzt. Bezieht man die Todesfuge auf dieses Gedicht, wird nicht nur deutlich, daß dieser Volker eine Vorbildung des « Mannes » ist, sondern auch, daß sich « es blitzen die Sterne » auf die Augen des « Mannes » beziehen kann. Und was « Augensterne » zum Blitzen bringt, singen schon 160 Jahre vor dem Holocaust Schillers Räuber von den Bühnen :

13 Schiller, Friedrich : Die Räuber. In : F. Sch. : Sämtliche Werke. Bd. 1. Hrsg. von Gerhard Fricke u (...)
[...]
Das Wehgeheul geschlagner Väter,
Der bangen Mütter Klaggezeter,
Das Winseln der verlaßnen Braut
Ist Schmaus für unsre Trommelhaut !

Ha ! wenn sie euch unter dem Beile so zucken,
Ausbrüllen wie Kälber, umfallen wie Mucken,
Das kitzelt unsern Augenstern,
Das schmeichelt unsern Ohren gem.
[…]13
8
In Mörikes Novelle wird aber nicht nur die Geschichte des Räuberhauptmanns Jung Volker erzählt, sondern ist auch deren Rezeption gestaltet. Erzählt wird sie von einem Pfarrer, um seine Gäste zu ergötzen :

14 Mörike, a.a.O., S. 600 f.
Räuber sag ich ? Behüte Gott [!], daß ich ihm diesen abscheulichen Namen gebe, dem Lieblinge des Glücks, dem Lustigsten aller Waghälse, Abenteurer und Schelme, die sich jemals von fremder Leute Hab und Gut gefüttert haben. Wahr ists [!], er stand an der Spitze von etwa siebenzehn bis zwanzig Kerls, die der Schrecken aller reichen Knicker waren. Aber, beim Himmel [!], die pedantische Göttin der Gerechtigkeit selbst muß, dünkt mich [!], mit wohlgefälligem Lächeln zusehn, wie das verrufenste Gewerbe unter dieses Volkers Händen einen Schein von Liebenswürdigkeit [!] gewann. Der Prasser, der übermütige Edelmann und ehrlose Vasallen waren nicht sicher vor meinem [!] Helden und seiner verwegenen Bande, aber dem Bauern füllte er Küchen und Ställe. Voll körperlicher Anmut [!], tapfer, besonnen, leutselig und doch rätsel- haft [!], galt er bei seinen Gesellen fast für ein überirdisches [!] Wesen, und sein durchdringender Blick [!] mäßigte ihr Benehmen bis zur Bescheidenheit herunter14.
15 Mörike, a.a.O., S. 602 f.
16 Vgl. Mörike, a.a.O., S. 604.
9
Schließlich « schien es, als flüsterte die Mutter Gottes vernehmliche Worte an sein Herz »15. Zum Dank dafür soll er im Gelobten Land in ein Kloster gegangen sein16. Beachtenswert an dieser Erzählung ist, wie der christliche Erzähler sich mit seiner verbrecherischen Hauptfigur identifiziert und sie nicht nur liebenswürdig macht, sondern „seinen“ Helden mit der Unterstützung der « Mutter Gottes » einer gerechten Verurteilung entzieht. Hier ist mit christlicher Autorität gezeigt, wie ein Räuber und Mörder (« wie der Wolf in die Herde ») als « überirdisches Wesen » bewundert sein kann. In dieser Tradition ist die Todesfuge erzählt. Auch hier wird der blauäugige Mörder als überirdisches Wesen bewundert, zum « Tod als ein Meister aus Deutschland » verklärt.
17 Die Funktion des « Mythos von Gefolgschaftstreue und Vaterlandsliebe » im Nibelungenlied als « ide (...)
18 Das Nibelungenlied. Hrsg. von Helmut de Boor. 18. Auflage. Wiesbaden 1965. S. 289. [Str. 1834-35. ] (...)
19 Kommentar zum Nibelungenlied. In : Das Nibelungenlied, a.a.O., S. 296.
20 Fechter, Paul : Dichtung der Deutschen. Berlin o. J. [1932]. S. 82.
10
Diese – in der deutschen Bewußtseinsgeschichte nachweisbare – Bewunderung von Unrecht, wenn es in „faszinierender“ Weise oder in „höheren“ Zusammenhängen geschieht, ist zentrales Thema der Todesfuge. Der Räuberhauptmann Jung Volker verweist mit seinem Namen auf Volker von Alzeye im Nibelungenlied17, den kühnsten Fiedler, dessen Saiten « suezlich » ertönten und der so gut mit der Waffe umging, daß es von ihm heißt : « sîn ellen zuo der fuoge diu beidiu wären grôz », d.h. « seine Kraft und sein Können (als Ritter) war so groß wie seine Kunstfertigkeit (als Künstler) »18. Unter diesem Aspekt erscheint die « fuoge » dieses Helden im Begriff Todesfuge als (ästhetische) Kunstfertigkeit des Tötens wieder. Er fordert – im Lande der Hunnen ! – einen Hunnen, weil er etwas eleganter auftritt als die Burgunden, zu einem Kampf im Turnier, in welchem er ihn tötet. Noch in den fünfziger Jahren entschuldigt Helmut de Boor diese chauvinistische Anmaßung, die « Eleganz » eines ganzen Landes am eigenen Geschmack zu messen und Abweichungen tödlich zu bestrafen, indem er nicht den Täter, sondern das Opfer als « barbarisch » bezeichnet : « Der Hunne erscheint als moderner Frauendiener. Aber auch die Eleganz des Hunnenlandes ist barbarisch ; sie läßt Sicherheit des Geschmacks, die mâze, vermissen. »19 Und 1932 schreibt Paul Fechter in seiner Dichtung der Deutschen, im Nibelungenlied sei « auf Grund des durch keine Jahrhunderte christlicher Erziehung ausgerotteten heldischen Geistes der Nation […] allem Morden und Sterben zum Trotz ein Werk entstanden, das in seiner dunkellodernden Pracht vielleicht in der ganzen Weltdichtung allein steht»20. Diese « allem Morden und Sterben zum Trotz […] dunkellodernde Pracht », verbunden mit dem Gedanken, in der Welt allein zu stehen, eben « Meister » zu sein, läßt sich in der Todesfuge erkennen.
11
Die Anspielung auf den Räuberhauptmann Jung Volker verweist aber auch auf den « Hauptmann » Karl Moor in Schillers Räubern, der sagt :

21 Die Räuber, a.a.O., S. 515. [1,2].
Ja, bei dem tausendarmigen [!] Tod […] Der Gedanke verdient Vergötterung [!] – Räuber und Mörder ! […] ich will mir eine fürchterliche Zerstreuung [!] machen ! […] Glück zu dem Meister [!] unter euch, der am wildesten sengt [!], am gräßlichsten mordet [!], denn ich sage euch, er soll königlich belohnet werden […]21
12
Als Folge dieser Ankündigung berichtet Schufterle, nachdem sie die Stadt in Brand gesetzt haben :

22 Die Räuber, a.a.O., S. 547. [II, 3].
Wie ich von ungefähr so an einer Baracke [!] vorbeigehe, hör ich drinnen ein Gezeter, ich guck hinein, und wie ichs beim Licht besehe, was wars ? Ein Kind wars, noch frisch und gesund, das lag auf dem Boden unterm Tisch, und der Tisch wollte eben angehen. – Armes Tierchen, sagt ich, du verfrierst ja hier, und warfs in die Flamme [!] –22
13
Dieser Schufterle wird zwar als Ungeheuer aus der Räubergesellschaft verstoßen, aber der, der die Tat Schufterles als Meisterstück verlangt hat, bleibt « liebenswürdig » bis zur letzten Szene, und als er die ihn liebende Amalia erschießt und sich den Behörden stellen will, ist er am Schluß des Dramas um so mehr der « große Räuber ».
14
Auch durch die Formulierung « er spielt mit den Schlangen » erinnert die Todesfuge an diesen Räuber, der mit den Augen vernichtend treffen kann und dessen Barbarei mit folgenden Sätzen zelebriert wird :

23 Die Räuber, a.a.O., S. 563 f. [III, 2] — Ich setze hier eine unreflektierte Rezeption der Räuber vo (...)
Männer such ich, die dem Tod [!] ins Gesicht sehen, und die Gefahr wie eine zahme Schlange um sich spielen [!] lassen […] ich such euren Hauptmann, den großen Grafen von Moor. […] Du bists ! – In dieser Miene – wer sollte dich ansehn und einen andern suchen ? […] Ich habe mir immer gewünscht, den Mann [!] mit dem vernichtenden Blicke [!] zu sehen […]23
15
Schiller selbst gibt eine Erklärung, warum auch ein « gemeiner und unbedeutender Mensch » uns « gefallen » kann :

24 Schiller, Friedrich : Zerstreute Betrachtungen über verschiedene ästhetische Gegenstände. In : F. S (...)
Aber nicht nur die Gewissensangst eines Verbrechers […], selbst […] der wirkliche Aktus eines Verbrechers, kann uns in der Darstellung gefallen. Die Medea des griechischen Trauerspiels, Klytämnestra, die ihren Gemahl ermordet, Orest, der seine Mutter tötet, erfüllen unser Gemüt mit einer schauerlichen Lust. […] Ein ganz gemeiner und unbedeutender Mensch fängt an, uns zu gefallen, sobald eine heftige Leidenschaft, die seinen Wert nicht im geringsten erhöht, ihn zu einem Gegenstand der Furcht und des Schreckens macht ; so wie ein gemeiner, nichtssagender Gegenstand für uns eine Quelle der Lust wird, sobald wir ihn so vergrößern, daß er unser Fassungsvermögen zu überschreiten droht24.
16
In der Todesfuge ist präsent, daß in der deutschen Bewußtseinsgeschichte verherrlichend entschuldigt werden, obgleich sie Mörder sind, wenn sie zugleich erscheinen und sich mit irgendeiner Form höherer Notwendigkeit, also Tragik, in Verbindung bringen lassen. Wo die Anspielung auf diese Tradition nicht erkannt wird, kann die Todesfuge so rezipiert werden, daß die Judenvernichtung wie eine tragische Tat aussieht. Der « Mann » erscheint dann nicht nur als groß, weil er durch seine Nähe zum Tod überhöht ist, sondern weil er dem persönlichen (« dich ») Blick des Opfers im Namen einer höheren Idee (« Deutschland ») standhält. Dies wird noch deutlicher durch die Darstellung des zweiten Entlastungsthemas, das in der Todesfuge „erklingt“.
25 Reclams Opernführer. Hrsg. von Wilhelm Zentner. 26. Auflage. Stuttgart 1973. S. 114.
17
Im Freischütz, «gewöhnlich als die erste rein deutsche Oper bezeichnet »25, fällt ein von Samuel gelenkter Schuß, dessen Kugel aber Agathe nicht trifft, weil diese durch geweihte Rosen dagegen gefeit ist. Stattdessen trifft die Kugel Kaspar, der mit Samuel im Bunde steht. In diesem « rein deutschen » Stoff ist also die Vorstellung gestaltet, daß selbst die Kugel des Bösen niemanden treffen kann, der unschuldig und deshalb von Gott geschützt ist. Dieser Aspekt ist in der Todesfuge vor allem 'thematisiert' durch Anspielungen auf das Alte Testament.
18
Psalm 137 schildert eine Situation, die der in der Todesfuge vergleichbar ist :

An Babels Strömen sitzen wir […] unsere Zwingherrn fordern Lieder dort von uns und heitre Klänge unsere Peiniger : « Ein Lied von Sion singet uns ! » Wie könnten wir ein Lied dem Herrn zu Ehren in fremdem Lande singen ?
19
Durch die Anspielung auf diese Situation ist den grausamen Befehlen des « Mannes » das Einmalige genommen, auch dadurch, daß es der jüdisch-christliche Gott selber war, der die Juden in diese Lage gebracht hat. Die zynische Vermischung von Mord und Kunst in Vernichtungslagern erscheint so gesehen von höchster Instanz autorisiert. Die Grausamkeiten des Holocaust werden in einem Bewußtsein, das sich der Verantwortung entziehen will, noch weiter entschuldigt, indem dieser Psalm (in der Übersetzung Luthers) mit den Worten schließt : « Wol dem, der deine [Babels] junge Kinder nimpt / Vnd zerschmettert sie an den stein. » Wenn die persönliche Verantwortung für das eigene Handeln nicht die Grundlage für das Beurteilen von Schuld ist, dann tun Schufterle und seine deutschen Nachfolger nichts Schlimmeres, als es diese Juden anderen gewünscht haben. Die Todesfuge bietet durch das Erinnern an das Alte Testament immanent den Gedanken an, daß das jüdische Volk sich von Anfang an gegenüber seinem Gott mit Schuld beladen hat und daß dieser Gott selbst es ist, der die Juden durch den Holocaust bestraft.
20
Diese Vorstellung, daß Deutsche auserwählt sind, den Holocaust am auserwählten Volke zu vollziehen, wird noch dadurch überboten, daß der Mann « seine Juden » hervorpfeift. Denn das kann „rechtens“ nur der sagen, der die Juden zu seinem Volke auserkoren hat. Nun zeigt aber die Geschichte dieses Volkes, wie sie in der Bibel berichtet und im christlichen Bewußtsein gegenwärtig ist, daß Gott seine Juden trotz wiederholter Bestrafung nicht gebessert hat. Unter solchem Gesichtspunkt erscheint der Gott der Bibel als verhältnismäßig schwach, seinen eigenen Willen zu verwirklichen : Statt, wie er wollte, die ganze Menschheit einschließlich unschuldiger Kinder durch eine Flut zu ertränken, ließ er sich doch durch Noah verleiten, Ausnahmen zu machen. Und dennoch droht er seinem Volk immer wieder :

Drum werden jene wie ein Morgenwölkchen, wie Tau, der früh verschwindet […] wie Rauch [!], der durch das Fenster zieht. (Osee 13,3.) – […] mein Auge soll kein Mitleid haben, ich kenne keine Schonung mehr. (Ezechiel 8, 18. ) – […] euer Bündnis mit dem Tod wird aufgehoben […] Wenn des Verderbens Flut herflutet, vernichtet werdet ihr davon. (Isaias 28, 18).
21
An diesen kollektiven Drohungen gemessen handelte die SS, als ob sie das vollenden wollte, was Gott nicht gelungen war. So sagt Himmler in seiner berüchtigten Rede :

26 Zitiert nach : Hof er, Walther (Hrsg.) : Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933-1945. Frankfurt 19 (...)
« Das jüdische Volk wird ausgerottet », sagt ein jeder Parteigenosse […] Und dann kommen sie alle an […], und jeder hat seinen anständigen Juden. […] Von euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 da liegen oder wenn 1000 da liegen. Dies durchgehalten und dabei [...] anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht. Dies ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte26.
22
Wenn die Rezipienten der Todesfuge den Satz « Der Tod ist ein Meister aus Deutschland » als Ersatz lesen für Isaias’ « der Herr ist unser Meister » (Isaias 33, 22), dann wird der jüdische Gottesbegriff ersetzt durch den viel mächtigeren deutschen « Tod », und dieser wird dadurch entschuldigt, daß er nur vollstreckt, was der alte Gott längst angedroht hat.
27 Zitiert nach : Binder, Alwin, und Dietrich Scholle : Deutsche politische Lyrik vom Mittelalter bis (...)
23
Die in der Todesfuge gestaltete Hybris, Gott nicht nur gleich zu sein, sondern ihn zu übertreffen, verdeckt die Frage nach dem in der Bibel mehrfach so bezeichneten aus Judäa. Dieser Jesus, der von sich sagt, er sei das Leben, nicht der Tod, hat mit seinen Lehren wenig Folgen in der deutschen Bewußtseinsgeschichte gezeigt. Der „Volker“ der Freiheitskriege, Theodor Körner, dessen Gedichtsammlung den Titel Leyer und Schwerdt erhielt (vgl. « Fidel oder Flint »), singt : « Das höchste Heil, das letzte liegt im Schwerdte », und weiß vom Gott der Deutschen : « Er will sein Volk in Waffenrüstung sehn »27 (und zwar gegen die Franzosen, die als Christen ebenfalls auf diesen Gott vertrauen). Und schon bei Kleist heißt es – die Sintflut imitierend – :

28 Ebda,S. 70.
Also auch, wenn alles unterginge, und kein Mensch [!], Weiber und Kinder mit eingerechnet, am Leben bliebe, würdest du den Kampf noch billigen ? Antwort : Allerdings, mein Vater. Frage : Warum ? Antwort : Weil es Gott lieb ist, wenn Menschen, ihrer Freiheit wegen, sterben28.
29 Vgl. : Binder, Alwin : Seiner Rede Zauberfluß. Uneigentliches Sprechen und Gewalt als Gegenstand de (...)
24
Die Symbiose von deutscher Ideologie und Altem Testament ist auch daran erkennbar, daß Sulamith mit keiner Gestalt aus dem Neuen Testament – etwa Maria – konfrontiert wird, sondern mit der deutschen Margarete aus deutscher Literatur. Denn wenn auch einerseits sich kaum Deutsche mit Juden identifizieren, so sind doch andererseits die Bücher der Juden, das Alte Testament, nicht weniger Teil deutschen Bewußtseins als die deutsche Dichtung Teil des Bewußtseins deutscher Juden ist. Dieses Neben- und Ineinander von Bewußtem und Unbewußtem ist ausgedrückt durch die chiastische Verschränkung von Margarete und Sulamith in Sein und Handeln des « Mannes » : « ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen ». Entsprechend kann Mephistopheles in der Faust- Szene « Wald und Höhle » mit Versen aus dem Hohen Lied auf Sulamith anspielen, wo er Margarete meint (vgl. V. 3336 f.). Es wird in der Todesfuge « vorgeführt », welche Widersprüchlichkeiten sich in diesem deutschen Bewußtsein nebeneinander vertragen und daß diese Widersprüchlichkeiten ihre Tradition, und, wenn sie nicht bewußt reflektiert werden, ihre inhumanen Konsequenzen haben. Denn schon die Faust-Rezeption hat es vermocht, Fausts rhetorische Frage, ob er nicht der « Unmensch » (V. 3349) sei, weil er « sie », nämlich Margarete, als « Opfer » (V. 3360 f.) zerstören müsse, als Ausdruck seiner Tragik zu verklären29. So sagt zum Beispiel Gundolf – indem er Faust und jungen Goethe sowie Gretchen und Friederike gleichsetzt –,

30 Gundolf, Friedrich : Goethe. Berlin 1920. S. 144-146.
[…] daß Goethes Leben und Schaffen […] unvergleichlich wichtiger vor Gott und Welt ist als tausend [!] Friederiken […] Faust [der « Opferer »], nicht Gretchen [die « Geopferte »] ist der tragische Mittelpunkt der Gretchentragödie, wenngleich freilich auch die Tragik des Faust um so tiefer ist, je tiefer die Tragödie seines Opfers mitgefühlt wird […]30
25
Das einleitende Oxymoron « Schwarze Milch » ist das Signal für das widersprüchliche Bewußtsein, dessen künstlerische „Verarbeitung“ in dieser „Fuge“ so weit getrieben wird, daß am Schluß die Widersprüche fast verschwinden, indem Sulamith und Margarete so schwesterlich vereinigt erscheinen, als ob nichts geschehen sei, oder – wie Peter Seidensticker es unkritisch nennt – als « Ausdruck schicksalhafter Verstrickung der Macht mit ihrem Opfer » :

31 Seidensticker, Peter : [Zu Paul Celans Todesfuge] In : Der Deutschunterricht 12. 1960. Heft 3. S. 3 (...)
In der Engführung dieser beiden Stimmen […] kulminiert die Spannung des Gedichtes. Im Rhythmus der Sprache erscheint die musikalische Dynamik der Fuge als Tanzbewegung, die die Personen als Träger der Themen miteinander ausführen. […] Im Tanz vollzieht sich auch die Vereinigung der Todgeweihten mit dem Herrn ihres Schicksals. […] Hier wird die zwielichtige Gestalt des Fremdlings als Herr über eine graue, einförmige Schar von Todgeweihten in den Bann des Tanzes seiner Opfer, den sie auf sein Geheiß beginnen, hineingerissen, und indem er sich in ihren Gefährten verwandelt, verliert er die Gewalt über sie […]31
26
Diese Sätze belegen exemplarisch, daß ihr Verfasser unreflektiert das Bewußtsein reproduziert, das in der Todesfuge zur kritischen Disposition gestellt ist, man könnte auch sagen, er tritt in die ‘Falle’, die die Todesfuge darstellt. Der Täter wird zum « Herrn ihres Schicksals » erhöht, ist aber gleichzeitig selbst in einer « schicksalhaften Verstrickung » gefangen, er ist der « Herr über eine graue, einförmige Schar von Todgeweihten », ohne daß darüber nachgedacht würde, wer denn diese – euphemistisch als « Schar » bezeichneten – « Opfer » zu Tode weiht. Dafür kann nur eine noch höhere Instanz zuständig sein, die schließlich nichts dagegen hat, daß der Opferer sich zum « Gefährten » seiner « Opfer » verwandelt und so selber zum bedauernswerten Opfer wird, das – leider ? — « die Gewalt über sie » verliert.
27
Anhand solcher schwammigen, für den Deutschunterricht bestimmten Formulierungen läßt sich erkennen, wie genau in diesem Gedicht seine eigene Rezeption gestaltet ist. Es enthält die „Versuchung“, sich von seinem « Rhythmus der Sprache », von der « musikalischen Dynamik der Fuge als Tanzbewegung », von seiner vielgepriesenen Schönheit einlullen zu lassen. Ich habe zu zeigen versucht, daß und warum dieses Gedicht als Lobpreis des « Todes », des « Meisters aus Deutschland », sich hervorragend eignet, um den Holocaust zu beschönigen, um nicht zu sagen : zu genießen. Eine satirische Komponente erhält es erst, wenn man sich das in ihm enthaltene Ent-Schuldungs-Angebot erarbeitet hat. Dann kann das Gedicht gelesen werden, als ob es nicht nur satirisch dar- auf , unter welchen ideologischen Voraussetzungen der Holocaust möglich war, sondern auch im voraus kritisierte, wie man in Deutschland die eigene Geschichte rezipieren werde. Als die wesentlichen Momente dieser Kritik erweisen sich : die Vermengung der Täter mit den Opfern und die Relativierung der eigenen Barbarei durch das Anspielen auf die barbarischen Taten des biblischen Gottes, beides damit verbunden, daß der Holocaust möglichst nicht unter moralischen, sondern ästhetischen Kategorien aufgearbeitet wird.
28
Dabei könnte bedeutend sein, daß in der Todesfuge zwar auf Altes und Neues Testament angespielt, aber unmittelbar von Gott nicht gesprochen und somit nicht explizit die Möglichkeit eingeräumt wird, in irgendeinem höheren Sinne hätte auch Barbarei ihr Gutes. Wo immer Gott als Herr der Geschichte gedacht ist, sind die Mörder entschuldigt.
32 Daß dieser Dichter in deutsche Geschichte und deutsche Ideologie 'involviert' war, ist – seltsamerw (...)
29
Paul Celan konnte dies alles – gewollt oder ungewollt – vermutlich deshalb darstellen, weil er als deutscher Jude auch diese « schwarze Milch » deutscher Todes-, genauer : Mörder-Ästhetisierung « getrunken » hat32.
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Notes
1 Zitat aus : Raddatz, Fritz J. : Brecht konnte mich nicht riechen. Ein ZEIT-Gespräch mit Günther Anders. In : DIE ZEIT. Nr. 13. 22. März 1985. S. 65-67 ; S. 67.
2 Härtung, Peter : Für die konstante Anarchie. In : Akzente 20.1973. S. 81- 91 ; S. 84.
3 Zitat aus : Müller-Münch, Irmgard : Es gibt keine Sünde, die nicht verziehen werden kann. Martin Bormann über seinen Vater, Hitlers Sekretär Martin Bormann. In : Frankfurter Rundschau. Nr. 127. 3. Juni 1996. S. 12.
4 Alle Nachweise dazu in : Stiehler, Heinrich : Die Zeit der Todesfuge. Zu den Anfängen Paul Celans. In : Akzente 19. 1972. S. 11-40 ; S. 29 und 36.
5 « Die Todesfuge [...] gehört zu den vollkommenen und faszinierenden Gedichten unserer Zeit ; es wird kaum jemand geben, der nicht beim ersten Hören oder Lesen davon gepackt wird. » (Butzlaff, Wolf gang : [Zu Paul Celans Todesfuge] In : Der Deutschunterricht 12. 1960. Heft 3. S. 42-51 ; S. 42).
6 Stiehler, a.a.O., S. 27.
7 Dieses « seine Juden » könnte von einem « wir » als lyrischem Subjekt des Gedichts und Opfer des Holocaust nur ironisch gesagt sein ; wollte man aber die Aussagen der Opfer als ironische auffassen, dann wäre es mit der Ernsthaftigkeit des Gedichts vorbei. Auch hier ist es also hilfreich, von einem Erzähler auszugehen.
8 Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Band 11,1, 1. Leipzig 1935. Sp. 119.
9 Obgleich es sich streng genommen nur um eine quasianagrammatische Beziehung handelt, verwende ich hier und in vergleichbaren Fällen diesen Begriff.
10 Es gibt noch den Binnenreim « befiehlt » und « spielt » (« er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz »), der die im ganzen Gedicht präsente Übereinstimmung des Widersprüchlichen repräsentiert, und den Binnenreim « ruft … Luft » (25), der auf den gleichlautenden Endreim in Mörikes Gedicht Jung Volker anspielt, das im folgenden zitiert und auf die Todesfuge bezogen wird.
11 Auf diese Zusammenhänge wird aufmerksam gemacht in : Wiedemann-Wolf, Barbara : Antschel Paul – Paul Celan. Studien zum Frühwerk. Tübingen 1985. S. 84. Die Zeichnung Jenes ist wiedergegeben in : Könneker, Sabine : « Sichtbares, Hörbares ». Die Beziehung zwischen Sprachkunst und bildender Kunst am Beispiel Paul Celans. Bielefeld 1995. S. 175.
12 Mörike, Eduard : Maler Nohen. In : E.M. : Werke in einem Band. Hrsg. von Herbert G. Göpfert. München 1977. S.325-720 ; S. 605 f.
13 Schiller, Friedrich : Die Räuber. In : F. Sch. : Sämtliche Werke. Bd. 1. Hrsg. von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert. 6. Auflage. München 1980. S. 481-618 ; S. 585 f. [IV, 5].
14 Mörike, a.a.O., S. 600 f.
15 Mörike, a.a.O., S. 602 f.
16 Vgl. Mörike, a.a.O., S. 604.
17 Die Funktion des « Mythos von Gefolgschaftstreue und Vaterlandsliebe » im Nibelungenlied als « ideologischer Rückhalt » des Nationalsozialismus ist thematisiert in einem frühen Gedicht Celans, Russischer Frühling, das mit den Versen endet : « Träumerisch hält meine Hand und singt in die wallende Bläue / für alle, die hier liegen, Herr Volker von Alzey. » (Stiehler, S. 15).
18 Das Nibelungenlied. Hrsg. von Helmut de Boor. 18. Auflage. Wiesbaden 1965. S. 289. [Str. 1834-35. ]
19 Kommentar zum Nibelungenlied. In : Das Nibelungenlied, a.a.O., S. 296.
20 Fechter, Paul : Dichtung der Deutschen. Berlin o. J. [1932]. S. 82.
21 Die Räuber, a.a.O., S. 515. [1,2].
22 Die Räuber, a.a.O., S. 547. [II, 3].
23 Die Räuber, a.a.O., S. 563 f. [III, 2] — Ich setze hier eine unreflektierte Rezeption der Räuber voraus, wie sie etwa der unreflektierten Rezeption der Todesfuge entspricht und wie sie bis in die Nachkriegszeit gepflegt wurde. Zum Beispiel schreibt Gerhard Storz : « Wohl hat er [Karl] noch furchtbare Schläge zu leiden : Verzweiflung und Tod des Vaters, Verlust […] der Geliebten, der er selbst den Tod zu geben verdammt wird. » Auch hier ist die Sympathie beim Täter : nicht er ermordet seine Geliebte, sondern er , indem er dazu « verdammt » wird, ihr « den Tod zu geben », und weil er « ehrfürchtig » die « Übermacht der oberen Mächte» erkennt, bleibt ihm « die Gnade der freien büßenden Tat». « Allein [!] das Ewige und Göttliche bezeugt sich als gültig und herrschend [!?!]. Das ist die klare und einfache Grundlinie der so dichten und so bewegten Handlung des Dramas. » (In : Schiller, Friedrich : Dramen und Gedichte. Hrsg. von der Deutschen Schillergesellschaft. Stuttgart 1955. S. 16. [Volksausgabe (Auflage : 100 000), die vor allem für die Jugend gedacht und für 5 DM in den Schulen zu haben war.]).
24 Schiller, Friedrich : Zerstreute Betrachtungen über verschiedene ästhetische Gegenstände. In : F. Sch. : Sämtliche Werke. Bd. 5. Hrsg. von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert.6. Auflage. München 1980. S. 543-569 ; S. 549.
25 Reclams Opernführer. Hrsg. von Wilhelm Zentner. 26. Auflage. Stuttgart 1973. S. 114.
26 Zitiert nach : Hof er, Walther (Hrsg.) : Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933-1945. Frankfurt 1960. S. 114.
27 Zitiert nach : Binder, Alwin, und Dietrich Scholle : Deutsche politische Lyrik vom Mittelalter bis zum Vormärz. Teil II : Text- und Arbeitsbuch. Frankfurt 1975. S. 64.
28 Ebda,S. 70.
29 Vgl. : Binder, Alwin : Seiner Rede Zauberfluß. Uneigentliches Sprechen und Gewalt als Gegenstand der Faust-Szene « Wald und Höhle ». In : Goethe-Jahrbuch 106. 1989. S. 211-229.
30 Gundolf, Friedrich : Goethe. Berlin 1920. S. 144-146.
31 Seidensticker, Peter : [Zu Paul Celans Todesfuge] In : Der Deutschunterricht 12. 1960. Heft 3. S. 35-42 ; S. 41 f.
32 Daß dieser Dichter in deutsche Geschichte und deutsche Ideologie 'involviert' war, ist – seltsamerweise – dadurch „abgebildet“, daß sowohl sein echter Name Antschel wie dessen anagrammatische Form Celan in « Deutschland » – ebenfalls anagrammatisch – zu erkennen sind (dEuTSCHLANd > ANtsChEL > CELAN).
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Pour citer cet article
Référence papier
Alwin Binder, « Die Meister aus Deutschland. Zu Paul Celans Todesfuge », Germanica, 21 | 1997, 51-71.
Référence électronique
Alwin Binder, « Die Meister aus Deutschland. Zu Paul Celans Todesfuge », Germanica [En ligne], 21 | 1997, mis en ligne le 05 juin 2012, consulté le 03 janvier 2014. URL :  http://germanica.revues.org/1471

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