ich fliege.

Text

von  pArAdoX

warum nur?
ich atme schneller und schneller und schneller.
warum nur, mein schatz?
warum gehst du jetzt?

das shirt, das sie letzte nacht anhatte - mein shirt - es riecht so gut nach ihr. ich lege mich in mein bett und schnupper' d'ran. als ich sie das letzte mal bat, nicht zu gehen, sagte sie: "ich muss." sie muss. sie muss gar nichts. "ich will." hätte es eigentlich besser getroffen. "die zukunft ist wichtiger, als die gegenwart und vergangenheit.", sagte sie auch.

sollte man nicht im jetzt und hier leben?
und sollten wir nicht zusammen leben?

ich stehe wieder auf, lehn' mich aus dem fenster und zünde mir eine zigarette an. ich erinnere mich daran, wie oft sie schon gesagt hat, ich solle aufhören zu rauchen. vielleicht hätte ich es tun sollen, vielleicht müsste sie dann nicht morgen in dieses verfluchte flugzeug steigen. oder...vielleicht würde sie mich mitnehmen.

aber alles aufgeben? nur für sie?
würde ich das überhaupt machen?
meinen koffer packen, mit ihr ins flugzeug steigen und...geh'n?

wenn sie das kann, kann ich das auch. nun gut, sie hat aussicht. sie weiß, was sie will.
ich weiß es nicht. ich will nur sie. und meine ruhe.

ich schmeisse die zigarette aus dem fenster, gehe in die küche und hole mir ein bier -plupp- und trinke. sie hat gesagt, wir versuchen es trotzdem, bleiben zusammen, sehen uns alle zwei wochen. aber ich kann das nicht. ich hab dir schonmal gesagt: ich muss dich jeden tag mindestens einmal küssen, sonst fehlt irgendwas, sonst bin ich traurig; leer. ich bin unvollständig ohne dich. du darfst nicht gehen. bitte geh' doch nicht. du kannst doch auch hier alles machen, deine träume verwirklichen...ich unterstütze dich, bin für dich. da bist du doch nur allein.
letzte nacht warst du noch hier. bei mir. in meinem arm, fest an mich gekuschelt, hast mich geküsst, mich angelächelt, wie am ersten tag. heute morgen haben wir zusammen gefrühstückt, gelacht und schlussendlich geweint, als du heute nachmittag gegangen bist, weil du deine sachen ja noch zusammenpacken musst.
du hast mich gebeten nicht zum flughafen zu kommen. ich weiß, wann der flieger fliegt, ich weiß von welchem flughafen. ich werd hingehen.

das bier ausgetrunken. ich bringe die flasche zu den anderen in die küche, zünde mir die nächste zigarette an und stelle mich auf den balkon. im himmel fliegt ein flugzeug richtung süden - du wirst morgen richtung norden fliegen. ohne mich. aber vielleicht kann ich dich ja doch noch überreden. vielleicht bleibst du hier. stornierst den flug. und wir fliegen in ein paar tagen zusammen. wir beide. zusammen.

nachdem ich mir noch einen moment den himmel mit all seinen sternen und dem mond angeschaut habe, gehe ich ins bett. ich will nicht mehr nachdenken, nehme tabletten und schlafe wie ein baby.

4.45 uhr. sie fliegt um 6.04 uhr. ich muss aufstehen. springe aus dem bett, streif' die jeans über, mein schwarzes hemd, die weiße krawatte, meinen blazer, chucks. zünde mir eine zigarette an und renn' aus dem haus. über die straße, rein ins auto. mit vollgas durch die city. rote ampel - egal - ich schaffs noch.
im radio läuft unser lied.

5.22 uhr. autotür zuknallen. abschließen. rennen. gate 14. immer den schildern hinterher.
9. 10. 11. 12. 13.
ich bleibe stehen und halt nach dir ausschau. ich sehe dich und lauf zu dir. hinter dich. "kenn ich sie nicht irgendwoher?" du blickst mich an. lächelst. hast tränen in den augen. fällst mir um den hals. sagst "ich will nicht gehen, mein schatz, ich will nicht. ich will dich nicht hier lassen. ich will nicht." ich spüre wie tränen in mir aufsteigen und wie meine gefühle und mein verstand streiten. meine vernunft, die schreit, du musst sie gehen lassen, meine liebe die schreit, halt sie fest.

5.53 uhr. du musst ins flugzeug. weinst. ich weine. drückst meine hand. plötzlich starrst du mich an. direkt in die augen. sagst "schatz, ich liebe dich. und...ich muss...ich muss gehen." - "nein", wimmer ich, "bleib'". du küsst mich. augenblick. schauer auf dem rücken. stille. die welt steht still.

5.55 uhr. "ich liebe dich", sagst du, drehst dich um und - gehst.

ich denk' bei mir, die kommt wieder. such' unterbewusst die aussichtsplattform. find' sie auch. seh' wie du aus dem bus steigst, die treppe hochgehst, ins flugzeug rein. ich weine. seh' wie die türen schließen. wie sich das flugzeug dreht. ich winke dir. ich schreie...schreie, wie sehr ich dich liebe. dass ich dich liebe und dass ich ohne dich nicht leben kann. ich winke dir. ich sehe wie das flugzeug losrollt. ich renne die plattform entlang, winkend, weinend, schreiend. ich will auch fliegen. ich will mit dir zusammen fliegen. ich winke dir. ich schreie, wie sehr ich dich liebe. die plattform ist zu ende. ich spring über's geländer.

ich fliege. schreiend wie sehr ich dich liebe.


Anmerkung von pArAdoX:

entstanden: April 2006

[- "Wenn ich Lehramt für Englisch mach', muss ich eh 'n Aauslandssemester machen."
- "In England?"
- "Ja."
- "Achso."]

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Kommentare zu diesem Text

Sunset (38)
(05.04.07)
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herzviolett (17)
(05.04.07)
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 RainerMScholz (06.05.09)
Ich finde es auch sehr mitreißend. (Ich würde die Uhrzeiten am Ende weglassen.Die Torschlusspanik- sozusagen - muss anders dargestellt werden. Das Tempo ist super.)
Grüße,
R.
(Kommentar korrigiert am 06.05.2009)
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