16. September : Ein Engel namens Raphael

Tagebuch

von  Raggiodisole

16. September : Ein Engel namens Raphael

Ob der Drill der Fremdenlegion auch über die Pyrenäen nach Spanien hereinreicht?
Um 7 Uhr mache ich das erste Mal Bekanntschaft mit konsequenten, früh aufstehenden Pilgern … wir beugen uns der Mehrheit und der Tatsache, dass wir um 8 aus der Jugendherberge rausmüssen und packen auch unsere Rucksäcke. Ein Automatenkaffe und ein Powerriegel müssen reichen. Wir ziehen zu viert los, trennen uns aber bald, da meine Weggefährtin Probleme mit ihrem Rucksack hat, der irgendwie nicht richtig sitzt. Oder vielleicht war Gitti einfach nur ein wenig quengelig, weil sie kein anständiges Frühstück bekommen hatte?
„I brauch a gscheits Frühstück, sonst kann ich ned gehen“ wurde zu einem ihrer Standardsätze der nächsten Wochen.
In Burguete finden wir  eine offene Bar und Gitti  und ich kommen endlich zu unserem Frühstück Wir treffen auch die Oberösterreicherinnen wieder und gehen bis Espinal miteinander.
Ich gehöre zur Spezies der leicht und ausgiebig schwitzenden Menschen, dementsprechend groß ist auch mein Flüssigkeitsverbrauch und ich war immer darauf erpicht, nur ja genug Wasser mit zu haben. Also wollte ich noch mal nachfüllen. Wir fanden eine Tienda mit Bar – falls man das so nennen kann- und ich kaufte Wasser und wollte auch die Toilette benutzen.
Doch bevor ich überhaupt noch in die Nähe der Tür mit der entsprechenden Aufschrift kam, stürzte die Senora an mir vorbei und verpickt die Türschnalle und schreit lauthals und erbost  irgendwas von „Toilette geschlossen, Benützung nicht erlaubt“ – auf Spanisch natürlich.
Ich war stocksauer. Und wir schultern unsere Rucksäcke und stapfen weiter.
Meine Weggefährtin scheint eine innere Uhr eingebaut zu haben, zumindest was die Essenszeiten anbelangt. Es ist gegen Mittag und wir suchen nach einem Platz abseits des Weges, um uns ein wenig zu stärken.
Irgendwo hat Gitti einmal gelesen, man brauche sich auf dem Camino nur etwas ganz stark zu wünschen und schon würde der Wunsch erfüllt. Es stimmt!
Nach ein paar Metern gab es eine Möglichkeit, auf einer Wiese zu rasten. Und genau dort trafen wir auch die zwei Mädls aus Oberösterreich wieder. Sie waren aber schon im Aufbrechen und so zogen wir nach einer erholsamen Pause allein weiter.
Immer wieder begegneten wir auch einem jungen brasilianischen Ehepaar und einer kleinen Mexikanerin.
Obwohl wir zuhause schon einige Wanderungen mit Rucksack absolviert hatten, lies sich der Weg hier nicht damit vergleichen. Meine Müdigkeit wurde immer stärker und ich kämpfte mich bergauf und bergab Meter für Meter weiter. Zubiri konnte, nein durfte einfach nicht mehr so weit sein, dachte ich mir immer wieder.
Plötzlich sah ich aus den Augenwinkeln einen jungen Burschen neben mir gehen. Wie aus dem Nichts schien er gekommen – ich hatte keine Schritte und auch nicht das Tock-Tock seines Wanderstockes gehört. Er war einfach da. Er erzählte mir, dass er von München weggegangen sei, seit zwei Monaten unterwegs sei. Und vieles mehr, was man sich halt so auf dem Weg erzählt. Durch das Gespräch mit ihm abgelenkt bekam ich gar nicht so richtig mit, dass wir auf einmal schon in Zubiri waren. Wir steuerten diese kleine Herberge gleich nach der Brücke an und Gitti und ich bekamen die letzten zwei Betten. Der junge Bursch ging weiter zur Gemeindeherberge.
Ich hatte nicht einmal die Gelegenheit, mich für seine Gesellschaft zu bedanken. Ihm zu sagen, dass er für mich auf diesen letzten Kilometern der „rettende Engel“ gewesen ist. Ich wusste nicht einmal seinen Namen. Also nannte ich ihn für mich einfach Raphael, Erzengel Raphael.

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Kommentare zu diesem Text

MarieM (55)
(19.07.08)
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