Kantorin

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von  Zeder

mir träumt vom mädchen ohne augen, ohne mund, ohne ohren.
es ist grau hier. der weg ist eben und führt an bahnhöfen vorrüber, die gefüllt sind mit zerrissenen geistern und zerrissenen menschen.
sie starren alle aneinander vorbei - vielleicht sehen sie sich nicht, denke ich, doch könnten sie sich helfen, weil die menschen rote herzen haben und die geister grüne und wenn sie sich nur bewusst berühren würden, würden sie ganz heilen -
sie gehen allesamt den weg der einsamen, kommt mir in den sinn.
wir durchqueren einen grauen park, ich kenne ihn nicht, glaube aber ihn zu kennen, scheu beobachte die bewegungen des mädchens mit stillen augen. ihr mantel schlägt mit den kleinen schritten zart zur seite aus, ganz gleichmäßig, und ich bemerke, dass ihre schritte keinen laut von sich geben. mein schlürfen wird mir unerträglich im kopf und hallt lang und stark nach, mir ist danach ganz still zu sein, doch selbst mein atem geht übermäßig laut. ich gebe auf.
das mädchen führt mich in eine stadt, die ich nicht kenne, jedoch zu kennen glaube. die hohen häuser wirken bedrohlich, das licht sieht nach abend aus, die schatten ziehen lang und länger. es ist so still wie in dem mädchen, nur mein atem und meine schritte werfen ein echo in die welt und es kommt zu mir zurück und ich stoße es von mir.
wir gehen durch eine enge gasse, am ende steht ein grelles licht - - -
wir sitzen auf einem grauen bett, ich kann noch immer nicht ihr gesicht sehen, sie wendet mir den hinterkopf zu, das gesicht zur wand.
scheu spreche ich zu ihr und flechte ihr haar mit ruhigen, weichen fingern, weil ich sie nicht verletzen möchte, und ich bessere ihren zerrissenen mantel aus, mit grauem stoff und grauem garn.
wenn sie augen hätte, denke ich, dann wären diese grau.
draußen scheint ein grelles licht und ein kühler wind weht durch mein herz, um die lasten mit zu nehmen. ich beginne grau zu bluten, meine hände lassen von meinem tun ab und ich halte mein herz, wiege es sanft und versuche den schmerzesschrei zurück zu halten, weil mir immer alle sagten, dass man stark sein muss.
doch alleine kann man nicht heilen, mir tränt - - -
endlich töne. wir spielen an der kirchenorgel vierstimmig eine improvisation, dann sechsstimmig.
ich bin ganz von meinem können überrascht, meine hände sehen ganz zart aus, farblos, aber fein und elfenhaft, wie musikerhände. und sie entgleiten mir von selbst majestätisch, um harmonie zu finden. ihre hände übergreifen meine, sie sind noch kleiner, noch zarter, ganz grau und schmucklos und um die nägel hängen fetzen von haut und graue krusten und dreck.
die töne werden höher, wie spielen wie narzissen, und um uns herum beschlagen die kirchenfenster von unserem heißen atem, dahinter das grelle licht.
mir rinnt der schweiß von der stirn und ich sehe mutter, wie sie in einer ecke steht und lauscht und mir mut zunickt, ich grüße durch eine handbewegung und lasse dabei kurz vom spiel ab.
die töne verebben, die windlade pfeift nach, mutter verblasst, am himmel steht ein grelles licht.
und ich trete verzweifelt auf das pedal, haue auf die tasten, nichts geschieht - - -
das mädchen gibt mir einen brief in die hand und bedeutet mir zu lesen. ich greife zartes papier;
"du gehst den weg der einsamen", steht dort.
die worte verblassen. das papier leuchtet in flammen auf. meine hände reagieren nicht, mein mund verhärtet, das grelle licht tritt ein und versengt mir die augen - es brennt.
der letzte ton erklingt und ich beginne zu verstehen - - -
wir gehen einen langen weg, es ist grau um uns herum...


Anmerkung von Zeder:

eine improvisation.

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Kommentare zu diesem Text

MarieM (55)
(18.07.08)
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