VIII
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IX

Novelle zum Thema Selbstbestimmung

von  Lala

Illustration zum Text
Windshield
(von Lala)
IX.

„Mach Feierabend Klaus. Du hast genug gearbeitet“, sagte Philip und schlug Klaus auf die Schulter, als er gegen sieben Uhr abends von seinem Arbeitsplatz im Schrockschen Großraumbüro aufgestanden und von rechts hinten kommend, die Kommandobrücke verließ.

Klaus hörte den Rat seines Vaters wie das Hubble-Teleskop das Restrauschen des Universums. Klaus saß im Cockpit, in der Wurzel, der root, des Korkenziehers des Schrockschen Universums und scannte und sondierte die Angebote der Zulieferer. Er hatte die Einkaufspreise der spanischen und parallel der polnischen Spargelbauern dahin justiert, wo er sie haben wollte. Klaus Aufkäufer, die Rewe, Aldi oder die Metrogruppe schrieben vor, bis wann, wie viel, zu welchem Preis und in welcher 1a Qualität sie Spargel haben wollten. Obendrein legten sie auch das Format der Rechnungen, Angebotsnummern und die Art der Übermittlung fest. Eine Holschuld der Großen gab es nicht. Nur Bedingungen für eine Bringschuld. Und die Bringschuld lag bei Händlern wie Schrock.

Dekaden zuvor hatte Klaus noch gedacht, dass er auch mit dem Handel von Obst und Gemüse an einer Fruchtbörse, über alle Jahreszeiten hinweg, hinter den Ereignishorizont schauen könnte; dachte, dass die Mechanismen eines Marktes das Wesen des Menschen offen legen würden. Heute meinte er zu wissen, dass es keinen Vorhang und keinen Horizont gab, hinter den zu schauen, sich lohnen könnte. Heute saß er auf der Kommandobrücke des Raumschiffes Schrock und pokerte, um Einkaufs- oder Verkaufspreise. Zehntel Cent Beträge, die für ihn und jeden Angestellten bei Schrock Gewinn und Sicherheit oder Verlust und Abstriche bedeuteten.

Als sein Vater ihm anerkennend auf die Schultern geklopft und die Firmenzentrale verlassen hatte, beendete auch Klaus sein Spiel. Schon Stunden zuvor hatte er die Preise mit den Polen und Spaniern gemacht. Mittlerweile wusste Klaus, dass sein Vater, wenn er schnell und behände klickte, nicht Preise sondierte oder Mails schrieb, sondern Spielkarten auf seinem Monitor anklickte. Philip tat so, als ob er arbeitete, oder über weltbewegenden Entscheidungen brütete.
Philip wusste wahrscheinlich auch von Klaus, dass dessen eifriges Arbeiten so echt war, wie sein eigenes, aber auch, dass es zum Spiel gehörte. Und beide wussten, dass man ein Spiel nur beherrschen kann, wenn man es wieder und wieder trainiert, verstanden und durchschaut hat.

Als Klaus nach seinem Vater in Hut und Mantel über hundert Stufen zum Firmenparkplatz ging, fiel ihm ein, dass Philip der erste Schrock gewesen war, dessen Söhne studieren sollten. Benno, dachte Klaus, hätte Philip wahrscheinlich empfohlen wenigstens vier, statt, drei Bengel in die Welt zu setzen, denn dann wäre wenigstens einer, was anderes geworden. Besser wären natürlich fünf oder mehr Kinder, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass eines es zufälligerweise packt, hinter den Familienhorizont zu schauen.
„Aber wozu eigentlich?“, rief Klaus laut auf, als er über den Anlasser sein Automobil startete und auf seinem Weg nach Hause, bei wohltemperierter Musik die Welt über eine Windschutzscheibe reflektierte und an Roger Milla dachte, der nach der Niederlage 1990 gegen England gesagt hatte:

"Wenn wir England geschlagen hätten, wäre Afrika explodiert. Ex-plo-diert. Es hätte Tote gegeben. Gott in seiner Güte weiß, was er tut. Ich persönlich danke ihm, dass er uns im Viertelfinale gestoppt hat."

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