Hagĭos Kastālia

Text

von  Akzidenz

Mir ist bewusst, die Musik ist viel mehr Liebhaberwert als alles andere;
man weist die Agenzien der Musik in ein deutliches, bewegtes Stück von Fundsache und Zelotismus, derer sich einzig ihre Hörer dünkelhaft zu reuen versprochen fühlen, will meinen, ihre Liebhaber, und alle die, für die es ist.

Es steckt ein solcher Gegenstoß in den Geschmäckern,
dass man die Musik für unversöhnlich halten könnte; und sagte man mir etwas dagegen, sagte man es mir urglücklich, das heißt, sagte man es mir Latein, brächte es niemanden zur Abmahnung: weil de gustibus non est disputandum oder andere Geschmacksfragen latinistischer Provenienz, imgleichen die Genüsslichkeit der gleichen Sprache nicht verletzt, ganz gleich, was man mit ihr sagte. Und so sehe Ich die Musik - und dass sie irgendwo b e h e r z t sein will.

Meine Widerrede allenfalls - eine kleine Indiskretion, wenn man sie mir erlaubt - dass sich gerade über den Geschmack Streitigkeiten führen lassen, dass auch ferner, die Herzhaftigkeit eines Konfliktes nur durch diesen an ihre eigentlichen Höhen gerät, dessen sei man sich versichert: es lässt sich nicht vornehmlicher streiten als über die qualitates occultae. Was probt derer für gewöhnlich vorhüten, nachsehen, um nicht unhöflich zu sein; man würdigt die Geschmäcker derartig hoch, dass man sie besser bei Seite lässt, um sein Hoch- und Herunterschauen nicht zu entblößen.

Der Affektationswert der Musik jedenfalls; man hat ihn unerhört beschlossen, man hat ihn überhaupt, mit Hinblick auf gut- und schlecht gekleidete Zuhörer, ruchbarer gemacht, und findet selten Initiierte dahinter.
Mir scheint immer etwas Unheilvolles aus den Reihen der echten Liebhaber zu funkeln, und, bei Gott, Ich weiß nicht worauf sich die Überheblichkeit dieser sophistizierten Ohren gründet, doch es ist etwas Mahnendes in diesen Sitzen; es missvergnügt mich derartig mit dieser actio in distans, der vorgeführten, dieser schwanzwedelnden Klassik, dass ihnen nichts zu nahe tritt! Noch dazu, wie sehr es missvergnügt, mit ihr die Träumerei zu teilen, nicht geringer als es mich gut zu kleiden missvergnügt; um seine Ohren nicht zu beleidigen. Man empfiehlt  sich bloß an guter Kleidung; sie weist uns hin auf nackte Köpfe, auf ein Ding, wie Gott es schuf. Man mag sich diesen Priapismus obterhalb der Gürtellinie für etwas Geradlinigeres vorstellen; diese Köpfe sind wie Propfen, die sich aus dem Anzug quälen. Man kann von der Mode halten, was man will; Ich gemahne mich darin, auch noch diesen Liebhaberwert anzusprechen, der aus dieser Stutzer Ohren stößt, nicht weniger als die Distance, die uns in halsstarrige Logen drängt. Darin liegt eine faszinierende Disjektion: man sieht sich hören. An der Musik hat sich die Eitelkeit jedenfalls ebenso wenig zu verschaffen wie die Verschwiegenheit an dem Gedicht; man bekennt sich bloß zu wenig, nur gelegentlich- und informell Gebrauch von ihr zu machen - doch das verlangt Demut.

Es kommt mir etwas quälerisch zu sagen vor, Ich sei mir weithin sehr im Klaren darüber, was die pieridische Natur meiner Seelenfreunde angehet; bei aller Liebe, bei aller Rücksicht, man scheint sich kaum beim Ernste um die Natur dieser Musik zu kümmern, und es gibt keine Komponisten mehr, die sich ihr nicht widersetzten. So ist mein Versuch nicht weniger als eine sysiphotische Gebärde. Eingedenk dessen, dass sich kein Rechtsspruch über das Karma und Gericht der Musikalität derweise höchlicher verwenden lässt als in den Urherbern der musischen Kunst selbst,oder in den weichlichen Gehören, die jeden tollen Mund verwünschen, oder den translunarische Erfahrungen von Gott, kann Ich noch einen Silberstreif am Himmel jener Klangwelt sehen, die sich eben zu so diarrhoisch ihre Wege durch die Ohren bahnt und im Sakkulum der Täuscher landet, wie die falschen Besuche in göttlichen Gefilden. Und Ich befürchte keinen Schalksernst daran. Im schlimmsten Fall befürchte Ich eine schlechte Art Gespräch darüber. Es steckt keine Spiegelfechterei dahinter; man kann die Musik nicht verneinen, damit meine Ich nicht die tonale Struktur jeder Musik, sondern die auditive Regung als das Zentrum ihrer Perzeptibilität, und wo sie uns zusammenkehrt, und wo sie uns Gefühl ersetzt, und wo sie uns, bei weitem linder: Gute Musik ist wie ein wissendes Ohr. Ein echter Geist, ein wissendes Leben.

Sie ist im Falle der Musik - und das ist keine Tautologie - in jedem Falle unabdingbar; der Genuss erwächst mit dem Geschmack - und wenn Geschmack nicht zum Genusse würde, liebe Burschen, ja, bei Gott, worauf läge jenes Streites Wert? Worum streitet man sich überhaupt, alswenn nicht desselben Wertes und um allen seinen Vorrang, freilich herzhafter um Interpreten, und dass ihnen der Geschmack vorausginge?

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