Geh nur, geh.

Text zum Thema Ungewissheit

von  Diablesse

Geh nur, geh, sagt sie und er schaut ein bisschen bräunlich drein. Haselnussbraun, um genau zu sein. Gehen?, fragt er, als erschließe sich ihm die Semantik des Wortes nicht. Ja, geh nur, es ist Zeit.

Er legt seine hohe Stirn sorgenvoll in Falten. Vielleicht ist sogar eine Spur Unsicherheit dabei, die sich bei näherem Studium sicherlich in einer der Falten oder in einem der rissigen Faltenzwischenräume finden lassen würde.

Geh nur! Energischer und doch wie eine rhethorische Frage, deren verneinende Antwort bereits als bekannt eingestuft wurde, kommt ihr Imperativ daher. Er vermittelt den Eindruck, sie selbst möge sich in einer der tiefen Stirnfurchen zu Tode stürzen oder sich in einem der Schützengräben Schutz suchen wollen. Sich verstecken vor dem, was sie nicht zu ertragen beschlossen hat.

Das Haselnussbraun taucht peu à peu in einen Nebel früher Morgenstunden. Wie eine Dämmerung gemächlich die Strahlen des brennenden Gasgemischs auf den Planeten wirft, verdichtet sich der Nebel mit dem Sekundenverlauf. Es scheint, als würde der Sprechakt seine Wirkung zeigen - mental. Sein geistiger Akt muss von der Schwere des gewaltigen Gasballs sein – anderen Ursprungs kann die Anstrengung, die sein Gesicht passiv ausstrahlt, wie auch der Mond nur Reflektierer ist, nicht sein.

Geh nur!, wiederholt sie, ohne der Redundanz überdrüssig zu werden, da sie sich einredet, dass sich in der hohen Quantität der Aussage eine Intensivierung ihres Gesagten finden würde. Tatsächlich hilft ihr die mantraähnliche Wiedergabe mit mal lauterer, mal gedämpfterer Stimme, die Realität zu verinnerlichen und gleichzeitig auszublenden. Sie macht sie unwichtig, indem sie sie signifikant werden läßt.

Geh nur, geh. Kyklisch rahmt sie die Abtönungspartikel ein, die bedeutungsvoller nicht sein könnte. Nur. Als ihr Synonym wäre hier „ruhig“ denkbar, das all seine attributiven Eigenschaften wie er den guten Glauben verlieren würde, denn in Ruhe könnte er niemals von ihr gehen. Und so steht er vor ihrer Gestalt, starrt verschleiert haselnussig in ihre Seele und würde dort gern mit seinen Küssen die Regionen balsamieren, die wie einer dieser Tabakstifte, die sie pflegten in rauen Mengen zu konsumieren, gleichwohl mit einem Feuer entzündet werden konnten und dann glühten, glühten, wenn jemand daran Mund anlegte.

Geh nur. Ein Ausdruck, der nahe legt, er hätte erst die Erlaubnis bei ihr einholen müssen, um zu gehen, aufzubrechen, sie zurückzulassen. Doch in Wirklichkeit will er ihre Erlaubnis, weil er sie nicht will. In Normativa lässt sich sagen, was seine Gedanken sind: Sie soll ihn bitten zu bleiben, zu bleiben, bei dem, was sie niemals in ein konventionelles Raster platzieren könnte und daher je nach Kontext den Status, wie man sagt, den sie füreinander hatten, welttauglich macht durch Plattitüden und Banalitäten, die sich in Wörtern finden, die in einer Taxonomie von „Fremde“ bis „Seelengefährte“ reichen würde. Was verstand die Welt schon von ihrem Sein, Miteinander-Sein, Ohne-sich-aber-mit-dem-anderen-Sein. Durch den anderen, für den anderen.

Geh nur! Final klingt die Stimme ihrer Augen für seine Ohren. Auf seiner Stirn zeichnen sich ein letztes Mal zarte Furchen ab, die Schützengräben liegen brach ob des Stillstandes der Situation, in der sie sich befinden, die sich noch nie gewaltiger nach Wandel anfühlte als in dem Moment ihrer redundanten Rede und seines zärtlichen Zögerns.

Geh nur, geh.

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Kommentare zu diesem Text

EliasRafael (50)
(05.09.12)
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 Diablesse meinte dazu am 06.09.12:
ich danke!
Ascheregen (30)
(06.02.13)
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 Diablesse antwortete darauf am 10.02.13:
Ich dachte da eher an Santiago.

Du
KoKa (44)
(22.03.13)
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 Diablesse schrieb daraufhin am 23.03.13:
uh, das freut mich (: danke!
Ascheregen (30)
(10.02.16)
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