Weihnachtsfrieren

Gedanke

von  monalisa

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Weihnachtsfrieren

Jetzt bin ich schon Mitte Fünfzig und habe viele wunderschöne, harmonische Weihnachtsfeste erlebt, habe liebevoll Geschenke zusammengetragen, genäht, gestrickt, gebastelt, Kekse gebacken, das Haus geschmückt, die Nachbarn zu einer Adventfeier eingeladen … kurz: alles, was man halt so macht, um sich auf das Fest der Liebe einzustimmen. Die Weihnachts-Christkindl-Adventsmärkte hab ich immer schon eher gemieden, der Bratwurst-Sauerkraut-Alkohol-Punsch-Dunst verursacht mir Übelkeit  -  aber sonst?

Immer schwerer fällt es mir nun, das Kommen des Heilands, des Erlösers zu feiern, weil mir die Welt unerlöster denn je erscheint: Kriege, Flüchtlinge, korrupte Regierungen, Hungernde und Verhungernde, soweit das Auge reicht. Die Kluft zwischen Arm und Reich größer denn je.
Die Vorhänge zuzuziehen und bei Zimttee Halleluja-Engelschören zu lauschen, hilft mir nicht mehr, lässt die Stimmen in meinem Kopf nicht verstummen. Ich kann nicht wirklich genießen, was ich soviel mehr habe als die meisten Menschen. Mein Postkasten quillt – wie vermutlich auch Ihrer – über von rührseligen Spendenaufrufsbriefen. Ein kleiner Obulus da, etwas finanzielle Zuwendung dort und weiter zum Caritas-Punschstand, alles für den guten Zweck.

Halbherzig spüre ich zwar, dass ich mehr tun müsste, dass ich meinen ganzen Wohlstand auf Kosten der Ärmsten der  Armen genieße, die Güter dieser Welt ungerecht verteilt sind, und ich ganz einfach Glück habe, in diesem Teil der Erde geboren zu sein; aber was mache ich nun?
Das ganze globale Elend auf meine Schultern zu packen, lähmt mich. Ich stehe hart am Abgrund, direkt vor der Kluft, die die Sonnen- von der Schattenseite trennt, und wage den Absprung nicht, schaffe nicht all das zurückzulassen, was mich scheinbar absichert und bindet, was gewohnt, vertraut und schrecklich komfortabel ist, ohne es wirklich ausschöpfen zu können.

All das geht mir durch den Kopf, während ich die 60 Weihnachtkarten bastle, wie jedes Jahr, und um Worte ringe, die ich mit Freunden und Bekannten teilen möchte. Unerlöst, wie ich bin, mit meiner inneren Zerrissenheit, fällt es nicht leicht, anderen jenen Frieden zu wünschen, den man zwar immer noch, aber mit so wenig Hoffnung auf Umsetzung, ersehnt.

Ich lade auch heuer wieder die Nachbarn ein, weil 'durchs Reden die Leut z'ammkommen' und eine gute Nachbarschaft ein Anfang ist. Ich beschenke meine Familie und meine Freunde vor allem mit Zeit, mit meiner Aufmerksamkeit, mit Zuhören und ganz da Sein und versuche alles andere für den Moment auszublenden. Für meine Tochter, die ca. 1500 km entfernt Weihnachten feiert, habe ich einen Pullover mit vielen warmen Sehnsuchtsgedanken gestrickt.



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Kommentare zu diesem Text

Fabi (50)
(11.12.13)
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 monalisa meinte dazu am 12.12.13:
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Dankeschön, Fabi, für deine Rückmeldung :)
Liebe Grüße,
mona

 EkkehartMittelberg (11.12.13)
Ein grundehrlicher Text, der eigene Inkonsequenz aufzeigt, ohne die Schuld nur bei anderen zu suchen.
LG
Ekki

 monalisa antwortete darauf am 12.12.13:
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Um 'Schuld' gehts mir hier gar nicht (wie du richtig bemerkst), um den Versuch halbwegs ehrlich zu sein, um den Zwiespalt, der von diesem Fest der Liebe ausgeht darzustellen ... und das Eingeständnis der eigenen Unvollkommenheit.

Vielen Dank für deinen Kommi,
liebe Grüße,
mona
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