Mein Vater (2)

Text zum Thema Gesellschaft/ Soziales

von  Ganna

Viele, viele Jahre später beginne ich zu verstehen, dass alles genauso war, wie es sein musste. Die gesellschaftlichen Verhältnisse, das vorherrschende Wertesystem, die zwei Weltkriege in Europa im 20. Jahrhundert und das patriarchalische hierarchische System mit seiner Verachtung der Weiblichkeit drang bis in die Familien vor, bis in die Seelen der Menschen.
Bestimmte Verhältnisse fördern bestimmte charakterliche Eigenschaften, prägen Menschen durch die Angst, ihr Leben durch Gewalt und Hunger zu verlieren und formen auf eine bestimmte Weise Eigenschaften, die dem Überleben dienen.
Das ist natürlich.

Der Einzelne kann dem entgegen wirken, wenn er anderen Einflüssen ausgesetzt ist, wenn er spürt, dass die eigene Verletzlichkeit mit der des anderen in Resonanz geht, wenn innere Ideale eines friedlichen Zusammenlebens noch nicht durch übergroßen äußeren Schrecken abgetötet wurden oder wenn er sich nach etwas ausrichtet, das er manchmal nur in einer unbestimmten Erinnerung finden kann.
Mein Vater hatte diese inneren Ideale nicht mehr. Er sah jahrelang, wie Menschen sich gegenseitig mordeten und Frauen vergewaltigt wurden. Er wurde selber dazu gezwungen, mit Waffen auf Menschen zu schießen, die er nicht kannte und die ihm nie etwas getan hatten, Menschen, die Väter und Söhne waren wie er, die dieselben Sehnsüchte nach Liebe und Geborgenheit in sich trugen. Wer den Krieg als eine Massenvergewaltigung von Männern begreift, die zum Töten und Sterben gezwungen wurden, kann besser verstehen, dass eben diese Soldaten sich über Frauen und Mädchen hermachten, sie entehrten, beschmutzten und in schlimmster Weise erniedrigten, wobei sie auch deren Sterben hinnahmen.

Das Leben jedes Einzelnen ist mit den Geschehnissen seiner Zeit verflochten. Trifft die Gewalt auf einen schwachen Charakter, dem der Glaube an etwas Höherem fehlt, wird er ihr erliegen und zeitkonform handeln. Das schaltet die eigene Verantwortung nicht aus, erklärt aber den Hintergrund.  Die Schuld meines Vaters, sich an mir vergangen zu haben, ist ein Ergebnis der Zeit und des Krieges.

Wir sehen Schuld allzu oft ausschließlich als das Versagen eines Einzelnen. Damit wird in den Bereich des Privaten gedrängt, was ein gesamtgesellschaftliches Thema sein sollte. Die Schuld zu privatisieren, trägt zu einem weiteren Bestand menschenfeindlicher Verhältnisse bei. Wer die massenhafte Vergewaltigung von Frauen und Kindern in den privaten Bereich verlegt, tut den Tätern wenigstens teilweise Unrecht und stellt sich gegen eine Veränderung der Gesellschaft. Wer also will, dass Mord, Totschlag, Vergewaltigung und Raub aufhören, muss die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern, er muss die Werte ändern, nach denen wir unser Leben ausrichten. Jeden einzelnen Täter zur Verantwortung zu ziehen ist notwendig, darüber hinaus aber muss eine Anlage der gesamten Gesellschaft erfolgen.

Gerichte und Anwälte stehen im Dienst der Gesellschaft, eingefügt in ein System, das um seines Bestehens willen aufrechterhält,  was nicht immer dem Allgemeinwohl dient. Doch hier gilt dasselbe, wie innerhalb des privaten Bereiches, auch krankhafte Systeme, die einen Teil ihrer Mitglieder unglücklich machen, wollen sich selber aufrechterhalten. Sie funktionieren, indem sie jedem seinen Platz zuweisen, der für viele Mitglieder mit Anerkennung und materiellen Gaben verbunden ist. Wer von einem System profitiert, wird es nur schwer in Frage stellen. Das gilt gesamtgesellschaftlich genauso, wie in Familiensystemen.

Es hilft mir, das Verhalten meines Vaters und meiner Mutter in einem Gesamtkontext zu sehen. Plötzlich hebt sich das Geschehen ab von meiner Person. Nicht ich als Person bin es, die davon betroffen ist. Was geschah wäre jedem geschehen, der sich an meinem Platz befunden hätte. Ich war austauschbar. Also war ich nicht schuld, ich war lediglich betroffen und bin es bis heute.

Alle Erscheinungsformen dieser Welt unterliegen gleichen Gesetzmäßigkeiten. Die Schwerkraft wirkt auf Pflanzen, Steine, Tiere und Menschen. Die Wurzeln aus denen wir emporwachsen bestimmen unser Leben. Sie formen uns und spenden Energien, die die Art des Wachstums bestimmen.
Wurzeln können verkümmern, vertrocknen und absterben, wenn man ihnen keine Nahrung mehr zur Verfügung stellt. Faulige Wurzeln können beschnitten werden, um ein Neuwachstum zu fördern, damit sie sich in Bereiche hervorwagen können, die für ein Gedeihen der sichtbaren Teile hilfreicher sind.

Doch sind die Wurzeln nicht allein entscheidend für das Gedeihen. So schlecht die Wurzeln auch sein mögen, alle Triebe wachsen dem Himmel und der Sonne entgegen. Alle Seelen streben auf natürliche Weise dem Licht zu, wie es ihnen die Pflanzen vormachen. Während die körperlichen Anteile im Erdreich halt finden und das jeweilige Wesen mit Energie versorgen, nehmen wir mit dem Licht geistige Energien auf. Die Sonne, Mond und Planeten spenden Energien für jedes Wesen, das sich nach ihnen ausrichtet.
Auf diese Weise können positive Ströme von oben bis an schlechte Wurzeln dringen und sie verändern.
Verstehen hilft zu heilen.


Anmerkung von Ganna:

Dier Text stellt eine Ergänzung zu "Mein Vater" dar und kann nur im Zusammenhang damit verstanden werden.

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