Psychiatrie-Tagebuch, Teil 9

Tagebuch zum Thema Psyche

von  Koreapeitsche

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Einlieferung umgeknickt hat. Ich werde jetzt noch ein wenig fernsehen und mich danach auf mein  Zimmer begeben. Ich habe mich in den letzten Tagen mit Silke Schönfeld unterhalten. Sie ist jetzt auf einer anderen Station. Ihr wird vorgeworfen, eine Psychose zu haben. Sie erzählte, dass sie von dem verordneten Medikament Lithium wegkommen will. Die Nebenwirkungen sind ihr zu gravierend. Es soll auf der Packungsbeilage stehen, dass es bei ungewollten Schwangerschaften zu Missbildungen  kommen kann, an den Organen und am Herzen. Wir unterhielten uns fast jeden Abend und verstanden uns gut. Sie gab Süßigkeiten aus, schenkte mir ihre Zahnpasta. Ich werde mich irgendwie bei ihr revanchieren. Sie sieht zwar im Gesicht gut aus, ist aber ziemlich fett. Wahrscheinlich ist das der Grund, weshalb sie depressiv ist. Doch hier in der Klinik kommen die gar nicht auf die Idee, auf solche Probleme einzugehen. Das deutete auch Dr. Kruse schon an.
 
 

 
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Mi. 11.3.2009
 
Es ist grausam: draußen scheint die Sonne und wir dürfen nicht raus. Erst ab 14 Uhr dürfen die, die  Ausgang haben, die Station P4 maximal zwei Stunden verlassen. Ich habe heute morgen zum ersten Mal das Valproat bekommen. Es war eine langgezogene ovalförmige Tablette mit einem Spalt in der Mitte. Die Tablette lag nicht für mich auf dem Tablettenwagen bereit. Der Pfleger Kai holte sie kurz entschlossen aus einem Schrank und gab sie mir. Ich hätte sie gestern Abend schon bekommen sollen. Heute Morgen um kurz nach halb elf war Oberarztvisite. Dr. Koch befragte mich zu meinem Befinden und wie ich mit den Medikamenten klarkomme. Ich sagte, ich könne das noch nicht beurteilen, da ich erst heute morgen die erste bekommen hatte, „vor vier Stunden“ sagte ich. Dr. Koch fragte mich auch, wie ich mich fühle, wenn ich „außerhalb der Käseglocke „Klinik“ unterwegs“ bin. Ich antwortete,
 


 
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dass ist für mich nichts Besonderes sei, da ich früher hier in der Nähe zur Schule gegangen bin. Es waren mindestens sechs Personen medizinischen Personals an der Visite beteiligt, auch die Ärzte Kruse und Jakubek, ein Assistenzarzt mit langen Haaren und die Peruanerin. Alle machten einen erschöpften Eindruck, Dr. Kruse kauerte an der Wand. Es ist jetzt sieben vor, vielleicht lassen die mich ja früher raus. Ich habe angefangen „Der Name der Rose“ zu lesen. Es ist sehr spannend.
 
 
 
 
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Do. 12.03.2009
 
Ich kochte heute mit der Ergotherapeutin und Heike Kaminski Japanisch. Es gelang einigermaßen, auch wenn die Petersilie am Kochgemüse etwas fehl am Platze war. Ich aß von dem Essen wieder am meisten, auch wenn noch eine ganze Menge übrig blieb. Ich bin jetzt 24 Tage hier im Zip auf Station P4a. Die Station P4b gibt es derzeit nicht mehr, sie wird umgebaut. Wir haben einen neuen hier, einen Mike. Ich spielte mit einer Freundin von ihm vorhin Jenga, sie ist zwar Besucherin, war aber selbst kurz vor Weihnachten hier. Ich sollte bereits gestern auf eine offene Station verlegt werden. Das haben mir sowohl Dr. Kruse als auch Richter Verführden in Aussicht gestellt. Doch die Station P3 ist überfüllt. Ich weiß nicht, wann und ob ich umquartiert werde. Ich finde es aber nicht so schlimm, weil ich mir - abgesehen von neuen Leuten - keine große
 

 
 
 
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Änderung meines Krankenhausaufenthaltes verspreche. Mit Heike spielte ich vorhin dreimal hintereinander Vier Gewinnt. Ich habe zweimal gewonnen. Beim Kochen regte ich mich über den Müll auf dem Klinikgelände auf, fragte die Ergotherapeutin, weshalb die den nicht einfach einsammeln können. Sie stimmte mir nur halbherzig zu. Ich nannte den Müll in den Gartenanlagen hier symptomatisch. Es gehört auch zu einer Klinik, dass die Gartenanlagen sauber sind. Die Ergotherapeutin sagte, dass regelmäßig gereinigt würde. Das bezweifle ich mittlerweile. Gestern musste ich mich mehrmals übergeben. Es war, nachdem ich zum ersten Mal die „Valproat“-haltige Tablette (genommen hatte), gestern Abend und heute Morgen ein weiteres Mal. Ich hatte noch ein Gespräch mit Fr. Dr. Wilms. Sie vermutete einen grippalen Infekt. Ich erhielt auch
 

 
 
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Paracetamol und Nasentropfen. Es ging mir phasenweise sehr dreckig, bis ich mich schließlich über dem Waschbecken in meinem Zimmer erbrach. Schwesternschülerin Marthe nannte es „Kotzen“. Ich korrigierte sie im Namen der deutschen Sprache (bzw. im Sinne der deutschen Sprache). Es hat jetzt aufgehört zu regnen. Ich werde noch in die ZBW gehen.
 
 
 

 
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Fr. 13.03.2009
 
Als ich eben im Bett lag und etwas las, roch es wieder nach Zigarettenqualm. Wenn die im Keller eine Pause machen und vor der Kellertür rauchen, zieht das hoch in Zimmer 8 in dem ich mich befinde. Es hat deshalb schon mehrmals nach Zigarettenrauch gerochen, aber es war eher angenehm, da es keine wirklichen Rauchschwaden waren. Ich hatte in den letzten Tagen Nachricht von Hr. Flader in meiner Phone-Box. Er hat eine Waschmaschine für mich, bekommt bald auch wieder Computer. Die Waschmaschine hat sein Elektriker noch nicht überprüft. Es hörte sich so an, als würde er temporär mit Computern handeln o.Ä. Heute am späten Nachmittag hatte ich eine kurze und prägnante Visite mit Dr. Kruse und dem langhaarigen Assistenzarzt. Dr. Kruse erzählte etwas von „Krankenbett-Politik“, das
 

 
 
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fand ich seltsam, kritisierte das ansatzweise. Er sagte „aufgrund der Krankenbettpolitik könne er mir doch keine Bleibe auf der anderen Station bereitstellen – vorerst“. Das könne sich aber bald ändern. Es hieß, ich hätte jetzt ganz normal Ausgang wie auf einer offenen Station. Ich müsste mich nur an die Hausordnung halten. Das fand ich wieder unverschämt absurd, denn de facto änderte sich an meinem Status hier nichts. Die Ärzte - speziell Dr. Kruse - schein(en) mich zu veräppeln. Ich fragte, ob ich heute in meine Wohnung dürfte, um den Strom- und Gaszählerstand zu notieren. Er überlegte, ob das zeitlich passt und gab sein Okay. Nach dem Mittag musste ich noch bis 14 Uhr warten, bis ich die Station endlich verlassen durfte. Ich ging in den Forstweg und in die Bülowstraße, als ich am Blücherplatz vorbei ging, sah ich Klaus und seinen Kompagnon Guntram. Sie hatten wohl gerade Mittagspause gemacht.
 



 
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Ich fing nach der kurzen Begrüßung gleich an von meiner Misere zu erzählen. Kurz darauf verabschiedete sich Guntram ins Büro. Ich ging gegenüber Klaus weiter ins Detail, als plötzlich ein Wagen neben ihm einparkte. Ich zog ihn an einem Arm vom Kantstein weg und sagte „Achtung, da kommt ein Auto!“ Klaus sagte daraufhin: „Das ist kein Auto, das ist Sabine.“ Da erkannte ich auch, dass es seine Ehefrau ist. Jetzt gesellte sie sich zu uns, und ich erzählte weiter von meiner Misere, und ich hatte Zweifel, dass ich meine Krise genau auf den Punkt formulierte. Ich sprach vieles an, dass ich zwangsmedikamentiert werde, dass ich beim Gesundheitsamt auf den Tisch gehauen habe, nachdem ich das besagte Vorstellungsgespräch hatte. Schließlich verabschiedete ich mich von beiden und ging hoch zur Bushaltestelle Hardenbergstraße. Ich hoffe, dass ich die drei nicht beunruhigt habe.
 

 
 
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Ich löste ein Kurzstreckenticket für 1,55 €, fuhr bis Dreiecksplatz und ging hoch in meine Wohnung. Ich erledigte ein paar Sachen, schob die Matratze an das defekte Bett, dass sich auf die Seite stellte, räumte den Tisch im Wohnzimmer auf, saugte das Schlafzimmer, reparierte sporadisch den Schrank im Schlafzimmer, sortierte ein paar Lebensmittel aus, wusch etwas ab. Insgesamt war ich gut eine halbe Stunde in meiner Wohnung. Zu allem Ärger hatte ich noch den Brief eines Inkassobüros wegen der letzten oder vorletzten Arcor-Rechnung im Hausflur. Ich packte die Rechnung in meine Jackentasche, schrieb auch noch den Zählerstand beim Strom und Gas auf und machte mich wieder auf den Weg. Ich warf die Zählerstände auf einem Kärtchen bei den Stadtwerken ein, ging ins Peaberries, trank einen normalen und einen koffeinfreien Kaffee, blätterte in der neuesten "Time", ging um
 
 

 
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kurz vor fünf zurück zur Klinik. Die eine Blonde arbeitete im Peaberries hinter dem Tresen. Sie sah sehr sexy aus, lächelte mich diesmal gar nicht an. Als ich wieder zurück war, gab es auch schon Abendbrot. Eben las ich auf der plattdeutschen Seite der KN: „Unnerhohlung op Platt“, spielte vorher mit meinem neuen Zimmernachbarn Udo Kniffel. Hr. Treiber ist ja verlegt worden. Ich fand das so traurig, als er mir erzählte, dass seine Freundin vor ein paar Wochen gestorben ist. Ich glaube, er ist jetzt auf der P3. Heute morgen beim Kneipen traf ich Silke Schönfeld wieder. Sie ist auf der P5. Das ist in dem Gebäude, in dem auch der Kochkurs stattfindet. Morgen wollen wir für Ostern basteln, das am Wochenende darauf stattfindet. Ich fragte die Pflegerin, ob wir mal wieder Tischtennis spielen dürfen. Sie sagte, morgen sei Basteln. Als ich nachhakte, wegen Tischtennis erneut fragte, wurde sie leicht grantig.
 

 
 
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Ich habe übrigens fast keinerlei sexuelles Empfinden mehr. Das liegt wohl an den Tabletten. Ich finde es pervers. Wenn ich nicht so betäubt wäre, würde ich es mir wirklich zu Herzen nehmen. Ich weiß noch nicht, was ich übers Wochenende machen werde. Theoretisch könnte ich wieder ins Peaberries. Ich sollte das Personal mal fragen, was sich an meinem Status hier nun denn geändert hat, nachdem ich zwar immer noch auf der geschlossenen Station bin, aber wie jemand behandelt werden soll, der auf der offenen Station ist. Ich finde es absurd. Ich fühle mich verhöhnt. Ganz plump verdrängen die Verantwortlichen das. Ich telefonierte auch kurz mit Dr. Verführden. Es tat ihm nicht wirklich leid, dass er sein Versprechen, dass ich auf eine offene Station komme, nicht halten konnte. Die Sache stinkt zum Himmel. Ich weiß nicht, was er und Dr. Kruse damit bezwecken wollen. Wahrscheinlich wollen die, dass ich mich wieder aufrege. Den Gefallen tue ich denen nicht. Es ist eine sexuelle Demütigung.
 
 

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