Ein Wiedersehen nach langen Jahren

Plötzlich umarmte sie ihn ohne Worte und das lange anhaltend. Er ließ es mit sich geschehen und hielt still, dachte dass sie gleich weinen würde. Doch sie hatte sich im Griff.
Wörter fanden sie beide nicht, aber sie schauten sich an. So sahen sie also jetzt aus. Es war nicht selbstverständlich sich nach den vielen Jahren anzufassen. Nichts war mehr selbstverständlich. Erst ganz langsam begannen sie sich wie in einem Film zu bewegen. Sie fragte ob er etwas trinken möchte.
„Ja gerne“, antwortete er.
Im Kühlschrank fand sie was sie selbst gern trank – naturtrüben Apfelsaft aus ökologisch angebauten Äpfeln gepresst. Er war nicht begeistert, konnte nie verstehen was Menschen an Apfelsaft gut finden. Ein Bier wäre ihm lieber gewesen - oder wenigstens ein Kaffee. Aber er unterdrückte seinen Wunsch, wollte sie nicht verletzen. So tranken sie beide Apfelsaft. Dazu gab es Vollkornbrot-Happen mit Butter und selbstgemachter Erdbeer-Marmelade. Auch nicht sein Ding. Ihm wären lieber Brote mit Salami belegt. Er beschloss nachher noch in die Stammkneipe zu seinen Kumpels zu gehen.
Der Verlauf des Treffens erschien ihm ähnlich wie ein Film, der in Zeitlupe abgespielt wird, so eine Art Hilfskonstrukt, das sich bewegte. Genauer fassen konnte er es nicht. Außer vielleicht noch so etwas wie das Zusammenspiel von menschlichem Grundwesen und Augenblicken oder Fähigkeiten und Unfähigkeiten in ihrer Kommunikation. In Erinnerung an früher könnte er es auch als Selbstverständlichkeit sehen, wobei diese wiederum leicht ins Missverständliche abglitt, sodass er danach überhaupt nichts mehr verstand.
Beim Blick auf die Uhr meinte er, dass er nun gehen müsse weil er noch eine Verabredung mit einem Freund habe. Sie hielt ihre Tränen zurück, da ihr inzwischen klar war, dass sich sein Wesen nicht geändert hatte.