Blätterregen 7

Erzählung

von  minze


Wenn wir uns jetzt treffen, kommt sehr oft das Gespräch auf die Einschulung Joschas. Ich will manchmal dazu etwas sagen, aber Oma verkürzt es mit den Worten Das wird etwas, der in der Schule. Das wird eine Arbeit für die Lehrerin. Sie hat es so gesagt, als er zur Tagesmutter ging und in den Kindergarten. Sie fragt mich danach, ob die anderen es viel Arbeit finden. Ich erinnere mich an die Kindheit meiner Mutter, daran, dass sie meinem Onkel die Haare geschnitten hat und die Wand zur Küche durchbohrt, genauso wie die gepolsterten Stühle. Ich denke auch an meinen Bruder, daran, wie ich mir in meiner Kindheit und Jugend nicht vorstellen konnte, wie er sich in den Griff kriegen kann, wie er unauffällig irgendwo seinen Platz finden wird.

Ich versuche vor allem daran zu denken, wie Oma als Mutter war und ich kann mir auch denken, wie sie als Kind war. Dann freue ich mich, dass wir frech sind. Wir alle Frauen.



Was ich denke, soll mich ablenken, soll etwas dynamischer etwas Gutes dabei mitnehmen, wenn ich eigentlich erstarre, wenn ich nicht weiß, was ich richtig sagen soll. Denn sie sagt es als Vorwurf.

Vor andern. Und so kann ich nicht vor und zurück, also sage ich nur, dass Joscha sich freut und ich erinnere mich nicht daran, wie ich es sage, aber er hat dann schon mal das mit dem Kindergarten geschafft oder so. Es ist falsch, die nächsten Generationen zu beschämen über die schwierigen Kinder, die schwierige Erziehung, die schwierige Rolle und ich glaube, sie bedauert sich doch selbst, alles, was für sie schwierig war, einmal, als wir zu zweit sind und ich mich doch einlasse, kommt sie gleich damit, dass es damals eine gegeben hätte. Weißt du, dann gab's eine auf den Hintern. Und ich bin trotzig und fühl mich stark – nur weil ich sage, dass ich das nicht mache. In diesem Moment ist sie da, wo es sie vielleicht hinzieht, wenn es sie verzweifelt macht, dass Joscha nicht hört und laut ist. Sie ist unbeholfen und sagt, dass es halt so war. Wir kommen nicht so weiter, aber ich glaube in diesem Gespräch, dass es auch kein weiter braucht, sondern, dass sie das immer wieder feststellt und sich daran aufhält und dass Joscha ein Anlass ist, das anzusehen.


Vor zehn Tagen hatten beide Großeltern Magen-Darm und meine Mutter hat die Familienchatgruppe aktiviert, die Fotos haben Opa wie immer gezeigt, er ist eigentlich schleichend schon lange schwach, auch so, dass er oft nicht mehr essen will und nichts hält, doch bei Oma sind es Schübe, ich habe den Eindruck, Achtjahresschübe, die ihren Körper auszehren und die Gesichtszüge anspannen. Daher fällt es so ins Gewicht, zu ihnen zu fahren anlässlich Opas Geburtstag, weil es wieder ein wichtiger Moment ist, bevor es weiter geht, weiter besser oder weiter schlechter, ein neuer Schlag oder wieder eine Normalisierung nach zehn harten Tagen kaum etwas bei sich halten. Ich muss über den Schwarzwald fahren, weil die Autobahn zu ist und entscheide mich auch bewusst dazu, es hagelt und stürmt und ich weiß, es ist noch einmal durch die Heimat Opas und ich versuche mir dieses Mal die Orte einzuprägen, von denen er mir immer wieder erzählt hat – wo welche Verwandtschaft ist und wo er welche Lehre gemacht hat und wo der Zug losging. Meine Kinder sind still und aufmerksam, sie wissen, dass es Chancen auf Schnee gibt, selbst jetzt. Es ist gut getimt, dass wir gestern die Scheibenwischblätter gewechselt haben, sie sprangen mir schon seit zwei Wochen fast ab und ich habe es geschoben, jetzt brauche ich die Winterreifen und hardcore den Scheibenwischer. Ich spüre so einen Drive aus Aufregung, wieder Aufregung, nochmal meine Großeltern zu sehen, das schlechte Gewissen, sie zu selten zu sehen, die Angst vor den reißenden Bächen und Hagel, je höher ich komme, die Ungewissheit, ob es bescheuert ist, bei dem Wetter nach Navigation zu fahren und nicht nach den immerhin breiteren, weiteren Straßen durch Steigen und Täler. Aber auch Bock, mich der Angst zu stellen, zu spüren, wie das Automatikauto reagiert auf die Steigung, den ständigen Wasserfluss.

Die Kinder finden den Schwarzwald toll, weil wir hier Ausflüge machen, sie schauen nach Bären und Edelsteinen und Schnee, ich will gerne, dass sie einschlafen, ich will sicher sein, dass sie nach ihrem Begriff aufgeregt sind und nicht meine Angst spüren und meine Lust auf die Angst. Eine weitere Kombination meiner Aufregung ist der Gedanke, für meinen Opa noch einmal diese Strecke zu fahren und insofern ist die Navigation richtig, weil ich an all seinen Orten vorbeifahre, nur vier Kilometer weg liegen sie, die Ortsschilder bestätigen mir alles und jedes ist ein gebunkertes richtig in mir.



Opa nimmt es auf, dass ich die Strecke gefahren bin, er fragt, ob ich auch durch Freudenstadt bin und ich glaube, für den Moment, ist es einer seiner besten Geburtstagsgeschenke und eigentlich auch schon auf der Fahrt, als ich es jedes Mal den Kindern mitteile, hier war Uropa als Kind, dort war Uropa als Kind. Die Route ist auch das einzige Gespräch mit ihm, er lacht, wie Joscha reinquatscht und rhythmisch irgendwas singt, es freut ihn einfach. Erst nach anderthalb Stunden mache ich ein Hörspiel für Joscha an, Mara sitzt bei Oma auf dem Bett. Sie wirkte auf mich so, als wäre der Besuch für sie anstrengend.



Als zwischendrin ein Cousin meiner Mutter kommt, dessen geschiedene Frau noch in seinem Haus wohnt, ist sie energisch. Aber davor und danach sehe ich Schmerzen und aushalten müssen. Wie ich es auf den Fotos gesehen habe. Oma sagt zu Ingmar, dass er erst eine neue Freundin und Frieden finde, wenn die Frau weg sei. Sie habe Zeit genug gehabt, ich glaube, es sind jetzt drei Jahre. Eine Nachbarin meiner Großeltern sagt genau richtig. Ingmar hat sein wenigen Wochen eine neue Freundin, er erzählt sowas sehr schnell meiner Oma, er ruft sie regelmäßig an.


Als Ingmar geht, komme ich mit Mara zu Omas Bett, Joscha zerreißt neben dem Hörspiel das Geschenkpapier, was ihm Opa reicht. Jetzt will Oma von der neuen Pflegerin erzählen. Sie ist die Beste. Ihr ist nichts zu viel. Ich habe mit Mama noch vor wenigen Tagen über die Möglichkeit gesprochen, dass es jetzt schnell gehen könne und ich bin beruhigt, dass in diesem Falle die neue Pflegerin die Beste sei. Wirklich sage ich. Oksana spricht auch deutsch, weißt du. Sie hat mir gesagt, dass viele von den Frauen gut backen können, gut kochen. Aber sie machen nur das Nötigste. Ich bin gegenüber meiner Mutter ehrlich, wenn sie über die Pflegerinnen spricht, was nach meiner Ansicht ihr Job sei et cetera. Spreche ich mit Oma, dann will ich, dass sie sich wohl fühlt, dass es sich als ein Ganzes anfühlt, sie lernt auch von Frau zu Frau mehr Distanz, weniger oder changierende Erwartungen und ich glaube, dass Oksana viel weniger als Denisa da ist. Das erste Mal finde ich das Zimmer mit einer Art persönlichem Stil hergerichtet. Es sind verschiedene Stickdeckchen drin, das sehe ich, weil Mara darauf ihre Puppen auslegt und mich ruft. Vielleicht ist es auch dynamisch, was Oma von den Frauen will und bekommt und nicht bekommt und erleidet – alles nimmt sie hin und alles muss klappen, das betont sie selbst. Jetzt ist es gut. Oksana hatte auch Magen-Darm, da haben meine Mutter und mein Onkel Einiges gemacht, sie haben Oksana wirklich bitten müssen, sich auch zu schonen.



Sie hat ein Gesicht und eine Frisur, die es mir unmöglich machen, ihr Alter zu schätzen. Mara ist auch wieder sehr eng. Sie ist so oft eng mit ihnen. Ich glaube, sie sehen etwas, was sie zurücklassen mussten zu Hause, eine unbeschränkte Liebe und Körperlichkeit mit den Nichten, mit den Enkelinnen, die ihnen so sehr fehlen und Mara antwortet voll und ganz darauf.



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