Zwei Einwürfe zur Theodizee-Diskussion

Erörterung zum Thema Gott

von  Kleist

1. Ein beliebtes Argument, das zur Rechtfertigung eines guten, allwissenden, allmächtigen Gottes angesichts offenbar ungerechtfertigten Leides in der Welt vorgebracht wird, lautet etwa folgendermaßen:


Gott will das Leid nicht, aber er wollte die Menschen frei, was notwendig mit sich bringt, dass sie auch frei sind, einander Leid zuzufügen.


In einer erweiterten Version wird die gesamte Welt als beseelt vorgestellt, so dass sich selbst Naturkatastrophen, Krankheiten und Unfälle durch den freien Willen verschiedener Geister erklären lassen. Kurz:


Gott wollte die Welt leidfrei (zumindest für diejenigen, die es – wie auch immer – verdienen), aber er wollte die Menschen (bzw. alle Wesen) auch frei, hatte also keine andere Wahl, als das Leid zuzulassen – welches nicht durch ihn, sondern durch das freie Handeln von Geschöpfen verursacht wird.


Mein Einwurf hierzu: Wenn Gott kein ungerechtfertigtes Leid will, ihm aber aus Gründen nichts übrig bleibt, als eine Welt zu schaffen, in der es solches gibt, kann er nicht allmächtig sein. Die Gründe, die ihn abhalten, die Welt frei von ungerechtfertigtem Leid zu schaffen, wären dann mächtiger als er.


Oft wird in diesem Zusammenhang argumentiert, Gott sei zwar allmächtig, könne jedoch keine logischen Unmöglichkeiten, wie etwa einen dreieckigen Kreis, erschaffen. Wenn dem so ist, kann allerdings Gott nicht die mächtigste Kraft des Universums sein, da dann das Prinzip der Logik, das ihn davon abhält, logische Unmöglichkeiten zu produzieren, mächtiger wäre als er.


2. Nun zu meiner persönlichen Auflösung des Theodizeeproblems. Zugrunde liegt die Auffassung, dass sich Gott in jedem Wesen und jedem sonstigen Phänomen der Welt gleichermaßen manifestiert. Gott ist jeder einzelne Mensch, jedes Tier, jede Pflanze, jede sonstige Erscheinungsform der Natur.


Wenn also irgendwo irgendein Wesen, eine Naturgewalt oder was-auch-immer irgendeinem anderen Wesen Leid zufügt, dann ist es immer nur Gott, der sich dieses Leid selbst zufügt. Und das „darf“ er ja irgendwie – oder?


3. Diesen beiden Argumenten liegen natürlich unterschiedliche Gottesideen zugrunde: Wo in der ersten Gott als ein quasi die Welt von außen beherrschender König vorgestellt wird (was zumindest in der absoluten Form nicht zu funktionieren scheint), wohnt Gott in der zweiten Argumentation in der gesamten Schöpfung, und ist von den existierenden Einzelwesen nicht zu trennen.


Diese Sicht auf „Gott“ könnte man zum Beispiel mit einem Monismus, Pantheismus oder Panentheismus verbinden.



Anmerkung von Kleist:

Geschrieben Anno 2022/2023.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter Wal (07.06.23, 10:41)
 Die lurianische Vorstellung von Tzimtzum gefällt mir, wenn man sich mit Theodizee-Fragen beschäftigt.

 Augustus (07.06.23, 12:37)
Wenn man nach den Leiden fragt, warum sie von Gott zugelassen werden, muss man gleichzeitig nach den Freuden Fragen, warum sie ebenfalls von Gott zugelassen werden? Sicher, Freuden befördern das geistige Wachstum, aber immer? Schadenfreude eines Tyrannen befördert eben nicht sein geistiges Wachstum, sondern befriedet die tierischen Instinkte. Also könnten Leiden hinzugefügt werden, die dafür Sorge tragen, dass es zum geistigen Wachstum kommt. Ein übermäßiger Druck der Leiden beschert einzigartige Erfahrungen, die die Menschheit insgesamt nach vorn bringen. 
Wer sich der Leiden anderer annimmt, lernt etwas - wer es nicht tut, füttert sein Ego. Daher sind Leiden durchaus voraussetzungsreich um das Ego einzuschränken. Absolute Freuden zu wünschen füttert zwangsläufig den Ego.

Deshalb müssten in einer Welt ohne Leiden, Egoman*innen herumlaufen, in der es sicherlich nicht besser zuginge, als wir uns das so denken.

Kommentar geändert am 07.06.2023 um 12:38 Uhr
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