Der Clown

Verserzählung zum Thema Verlorenheit

von  Saira

Also ehrlich, ich kann nicht klagen,

es hätte schlimmer kommen können,

das Leben und so.

 

Vor 45 Jahren

wurde ich geboren,

doch als mein Vater mich sah,

erkannte er des Postmanns lange Nase.

 

So übergab er mich diesem,

zusammen mit meiner Mutter,

auf dessen nächster Tour.

 

Das wiederum störte die Ehefrau

meines Nasenvaters sehr

und sie rannte schimpfend hinter uns her.

 

Während der Flucht ging ich verloren,

kann ja passieren,

so in der Aufregung und Eile.

 

Ich lag in meiner vollen Windel,

an Grashalmen nagend,

als mich eine alte Frau fand.

 

Im Fundbüro war man leicht überfordert,

doch wieder stand das Glück mir bei,

denn von einem Zirkus geordert,

wurde ich zum Nasenclown.

 

Es war eine schöne Zeit,

denn ich brachte Menschen zum Lachen,

bis ich begriff, dass sie mich auslachten,

weil ich anders aussah.

 

Ich will nicht klagen,

ehrlich nicht,

denn es gab viele Tiere,

die mir ihre Zuneigung schenkten.

 

Ich hatte zu essen,

Kleidung,

ein Bett

und Menschen,

die mich dressierten.

 

Ich brauchte keine Peitsche,

war ja folgsam,

also ehrlich,

es ging mir doch gut.

 

Irgendwann lachte niemand mehr über mich

und ich musste gehen,

mit einem Säckle über der Schulter.

 

Darin befand sich mein Lohn

für all die Jahre,

in Form von einem Laib Brot,

einer Salami und einer Flasche Wasser.

 

Vor Rührung weinte ich Tränen,

als ich ging.

Jetzt stehe ich an einer Weggabelung

und überlege,
welche Richtung ich einschlagen sollte.

 

Rechts ist das Meer,

links der Abgrund,

ein Zurück gibt es nicht mehr.

 

Egal, ich habe die Wahl,

rechts oder links,

das ist mehr, als ich je hatte.

 

 

 

 

 

 

©by Sigrun Al-Badri/2014 aus meinem Buch “Schmetterlingserwachen”

 




Anmerkung von Saira:

Heute früh hatte ich meinen Text als Verserzählung eingegeben und er stand auch so im KV. Dann wurde wie aus Zauberhand eine Ballade daraus. Irgendwie unheimlich ... Ich versuch es nochmal :)

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Kommentare zu diesem Text


 Maroon (24.07.23, 11:36)
Das ist der Moment, ausgetretene Pfade zu verlassen und sich seitwärts in die Wälder / Berge / wasauchimmer zu schlagen ... ;)

Ungewöhnlicher Text. Die Stelle im Fundbüro gefällt mir am besten ...

 Saira meinte dazu am 24.07.23 um 17:22:
Hallo Maroon,

ja, es ist eine Chance.

Ich freue mich über deine Beurteilung!

Danke und liebe Grüße
Sigrun
Taina (39)
(24.07.23, 11:43)
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 Saira antwortete darauf am 24.07.23 um 17:27:
Stimmt, der innere Wert des (späteren) Clowns wurde nie erkannt und dennoch blieb er bescheiden und dankbar.

Danke Taina für deine Gedanken!

Liebe Grüße
Sigi
Taina (39) schrieb daraufhin am 24.07.23 um 17:51:
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 Didi.Costaire (24.07.23, 14:42)
Hallo Sigrun,

das ist ja ein brutaler Kampf des Lebensmutes gegen das Schicksal. Mitfühlsam geschildert.

Beste Grüße,
Dirk

 Saira äußerte darauf am 24.07.23 um 17:31:
Hallo Dirk,

ich denke, es gibt Menschen, die in ihrem Leben ähnlich schwer kämpfen müssen.

Ich danke dir fürs "Mitfühlsam geschildert"!

Liebe Grüße
Sigrun
Teolein (70)
(24.07.23, 14:52)
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 Saira ergänzte dazu am 24.07.23 um 17:35:
Nun bin ich nicht der Clown, Teo, aber ich mag ihn sehr!

Mach dir um mich bitte keine Sorgen.

Liebe Grüße
Sigi

 Redux (24.07.23, 17:27)
Der Text ist weißgott seltsam, manchmal verstörend, aber er ist wohltuend anders und lebt von einer seltenen Lockerheit. 
Die zieht sich so konsequent durch das beschriebene Leben,  das ich schon fast vermute, dass es egal ist, wohin er geht,  die Entscheidung wird die richtige sein.

 Saira meinte dazu am 24.07.23 um 17:38:
Hallo Herbert,

ich freue mich über deine Gedanken zu meinem Clown und ganz besonders hierüber:


Der Text ist weißgott seltsam, manchmal verstörend, aber er ist wohltuend anders und lebt von einer seltenen Lockerheit.

Ich danke dir!

Liebe Grüße
Sigrun

 Rosalinde meinte dazu am 24.07.23 um 17:55:
Der Fehler meiner Vorschreiber verwundert mich doch etwas, denn sie lesen diesen Text nicht als fiktiven Text, sondern als die Lebensgeschichte der Autorin. Das verbietet sich aber für jeden ernstzunehmen Autor, und wir sind ja hier alle Autoren.

Rosalinde

 Redux meinte dazu am 24.07.23 um 18:14:
Liebe Rosalinde, ich habe sie ( die Lebensgeschichte) keinesfalls als irgendetwas Autobiographisches der Autorin empfunden oder gedeutet.
Und wenn ich schreibe, dass es egal ist, wohin er geht, dann hätte ich sinnvollerweise schreiben sollen, wohin es geht ( das ist keine versteckte Anmerkung zu Pennywise, dem Clown aus " Es" von Stephen King: unbedingt lesen!)
sondern ich hätte die Geschichte als solches, geschlechtslos, ansprechen sollen....
Also meinen Kommentar möchtest du bitte aussparen mit deiner Kritik.

 Redux meinte dazu am 24.07.23 um 18:20:
Und nachdem ich die Kommentare der " Vorschreiber " las, konnte ich deinen Kritikpunkt nicht so ganz nachhalten, weil keine(r) explizit die Lebensgeschichte Sairas ansprach, allenthalben Teolein in ironisch-witziger Art und Weise.
Meines Erachtens ein wenig an den Haaren herbeigezogen.

Antwort geändert am 24.07.2023 um 18:22 Uhr

 Saira meinte dazu am 24.07.23 um 18:49:
@Rosalinde
 
Hallo Rosalinde,
 
Redux hat dir bereits in Bezug auf deine Kritik geantwortet. Ich möchte mich hier seinen Ausführungen anschließen.
 
Allerdings verstehe ich natürlich, was du grundsätzlich meinst.
 
LG
Saira

 EkkehartMittelberg (24.07.23, 21:10)
Lebe Sigi,
Clowns sind ein besonders poetisches Thema, das du sehr fantasievoll behandelst.
Herzliche Grüße
Ekki

 Saira meinte dazu am 25.07.23 um 08:23:
Lieber Ekki,

der lachende Clown, der hinter seiner Maske traurig ist ...

Danke für dein schönes Lob!

Herzliche Grüße
Sigi

 AchterZwerg (25.07.23, 06:50)
Liebe Sigi,
du beschreibst jemanden, der sich fügt, niemals aneckt und immer tut, was von ihm erwartet wird. Will man dies positiv werten, ließe es sich als "weich abfedern" deuten.
Erst am Ende seines Wegs bleibt ihm die Wahl, sich füt eine andere Strategie zu entscheiden.

Gerade unter Spaßmachern finden sich solche niedergedrückten Naturen - mit starkem Lebenswillen. Das alles hast du gut beschrieben. :)

Heidrun

 Saira meinte dazu am 25.07.23 um 08:29:
Liebe Heidrun,

mit deiner Beschreibung meines Clowns reflektiert du ganz wunderbar diesen eigentlich starken Menschen :) 

Ich danke dir!

Liebe Grüße
Sigi

 TassoTuwas (27.07.23, 11:14)
Liebe Sigi,

oft merkt man erst viel später, wie lebenswert das Leben ist.
Gehört man dann noch zum "jungen Mittelalter", hat alles was noch kommt etwas Versönliches.

Herzliche Grüße
TT

 Saira meinte dazu am 27.07.23 um 12:50:
Lieber Tasso,

deine Gedanken enthalten viel Wahrheit!
 
Man sagt ja, es sei nie zu spät, einen Neuanfang zu wagen.
 
Herzliche Grüße
Sigi
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