Der Burger Laden der verlorenen Seelen

Text zum Thema Bahnhof

von  Milta_Svartvis

Morgens, halb vier in Deutschland.
Großstadt, Hauptbahnhof.

Der Boden dieses Burger Ladens könnte mal wieder ein Date mit einem Mopp vertragen.    Und sei es nur ein One Night Stand.
Hektischer Betrieb, oder kommt das von der Übermüdung der Anwesenden? Manche suchen Nahrung, manche ein Mittel um Zeit tot zu schlagen bis ihr Zug kommt. Wieder andere suchen nur die Nähe anderer Menschen.

Der junge Filialleiter im schicken weißen Hemd,  Bürsten - Haarschnitt, tätowierte Unterarme, macht einen auf mega - motiviert und energisch. Man sieht ihm trotzdem an, dass er die Stelle bald hinschmeißt, weil er nicht im Job-Limbo hängen bleiben will.   Lieber träumt er vom dicken Auto und dem teuren Loft. Aber noch macht ihm die Arbeit Spaß. Mitten in der Nacht Anleitung mit Entertainment aus dem YouTube Lehrbuch zu  verwechseln, und das mitten in der Nacht. Mit fünfundzwanzig kann man das machen.
Im Gegensatz zu Igor, dem russischen Burger - Scheucher, ich schätze ihn auf Mitte Dreißig, Glatze, dem man unter der gelassenen Fassade die Desillusionierung ansieht. Keine Ahnung, ob er wirklich Igor heißt. Vielleicht heißt er auch Vladimir. Oder Sergej. Egal. 

Irgendwie heißen die doch alle gleich. Jedenfalls wirkt Igor auf mich so, als hätte er sich bereits mit seinem Schicksal abgefunden. Wahrscheinlich ist Burger braten in Deutsch- land immer noch besser als Kugeln fressen für Putin an der Front.

Die junge, dunkelhäutige Filial - Schönheit mit dem Unterarm - Tattoo in Sanskrit lässt ständig die Pommes anbrennen, da sie nur Augen für den Chef hat. Sehr zum Verdruss ihres dunkel- haarigen Kollegen, Paolo, seinem Namens- schild zufolge. Er hält sich für eine Stimmungskanone, wenn er mit leeren Burger - Schachteln in den Händen herum klappert. Tja, rate mal, Paolo: bist du nicht. Du gehst den meisten auf die Nerven und merkst es nicht mal.

Ganz hinten rechts sitzt eine junge Frau über einem Buch. In einer Hand wedelt sie nervös einen Kuli hin und her. Studentin vielleicht. Braunes Wuschelhaar, Kopfhörer und grauer Strick Pullover. Ja, eindeutig eine Studentin. Studentinnen tragen alle Strickpullis.
Kippt sich eine Tablette in die Big Size Cola. Aufputschmittel, um länger lernen zu können? Antidepressiva, damit sie nicht irgendwann in einer Wanne ihr Leben beendet?
Vielleicht auch nur eine Migräne - Tablette. Vollkommen harmlos.

Arabische junge Männer mit Handys am Ohr und einem Coffee-To-Go in der Hand gehen ständig rein und raus und haben sicher sehr wichtige Business Sachen zu besprechen.
Am Tisch zu meiner linken sitzen drei jugend - liche Hip Hopper an einem Tisch und starren schweigsam in ihre Handys. Am Tisch zu meiner rechten sitzen drei ältere Hip Hopper  und starren schweigsam in ihre Handys. Vergangenheit und Zukunft einer degenerativen Krankheit vereint unterm Schein greller Fast Food Reklamen. Wenn die Hip Hopper, alt und jung, nicht gerade in ihre Telefone glotzen, schauen sie boss - mäßig und schlecht gelaunt aus der Wäsche. Naja. Würde ich den ganzen Tag in Amstaff Klamotten rumlaufen, würde ich auch schlecht drauf sein. Alpha Männchen müssen offenbar böse gucken.
Stärke zeigen und so.
Hinter mir unterhalten sich zwei eher normal aussehende Typen, so schätzungsweise knapp vierzig, im übelsten Digga - Slang über die wesentlichen  Eigenschaften einer ordentlichen Schlägerei. Digga. Digga, Digga. Ich wünschte, ich könnte es überhören, aber dafür sitzen die beiden viel zu nahe. Warum, frage ich mich, finden es Leute in diesem Alter cool, wie die letzten Spacken zu reden? Ist das eine Art Behinderung oder sowas? Ich weiß es nicht.
Familie auf halb zehn. Eltern, Teenager Sohn, kleine Tochter. Gelangweilt in die Handys starrend auf den Vierer - Sitzen am Fenster. Niemand spricht miteinander.
Die Zombiefizierung der Gesellschaft schreitet ungehindert voran.

"Einmal die sechs und ein Vegan Cappuccino!"

Direkt neben mir sitzt ein älterer Mann mit einem buschigem Bart im karierten Hemd, drei Plastiktüten links und rechts, und schläft auf der Bank ein. Obdachlos? Keine Ahnung. Leicht verwahrlost. Offenbar kümmert's keinem, wie's ihm geht. Genauso gut könnte er schon tot  sein und an diesem Tisch verwesen. Gut für's Personal hier, denke ich. Dann müssen sie das Fleisch nur noch zubereiten.
Der Filialleiter verjagt jetzt schon zum dritten Mal einen Kerl, der verzweifelt in den Mülltonnen vorm Eingang nach Essen sucht.

Liegt es an mir oder warum sehe ich nur Elend um mich herum?

Nur das Paar im Partnerlook - hochgesteckte Haare, Brillen, schätzungsweise in den 30ern, direkt neben der Klotür sitzend - unterhält sich fröhlich und lebhaft. Sie wirken hier Fehl am Platz.
Davon abgesehen rennen hier zahllose Menschen ein und aus, um mal eben schnell ihr Poison - To - Go abzuholen.
Vier Uhr. In einer Viertelstunde geht mein Zug nach Hause. Zeit, dieses triste Beinhaus  kaputter Träume zu verlassen.

© Milta Svartvis 2023


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