Das Gespräch auf der Fähre von Travemünde nach Malmö

Szene

von  uwesch

Dieser Text ist Teil der Serie  BEGEGNUNGEN (Kurze Prosa)

Wilhelm standen noch zwei der sieben Stunden Fährfahrt bevor. Er stellte sich an die Reling nahe dem Bug und ließ den Wind seine Haare zerzausen. Das Gehirn war wie in Watte gepackt, weil die Gedanken an sein Zuhause wild im Kopf herum stolperten - ein heilloses Durcheinander. Die kreischenden Möwen konnte er deshalb nur bedingt wahrnehmen. Die See lag relativ ruhig vor dem Schiff an diesem frühen Morgen.
Plötzlich sprach ihn ein Mann an, der sich neben ihn stellte. Er erzählte, dass er ein Freund dieser Bugwellen an Schiffen sei, weil sie die Wasseroberfläche zerschneiden, ohne das Nass zu verletzen.
Ist der krank? dachte Wilhelm und wollte sich zunächst abrupt abwenden und damit klar machen, dass er seine Ruhe haben möchte. Doch der Mann ließ nicht locker und sagte, dass er Arvid heißt, Schwede sei und mit einer deutschen Frau verheiratet ist. Noch etwas widerwillig ließ sich Wilhelm auf ihn ein und stellte fest:
„Sie sprechen als Schwede ein astreines Deutsch.“

Im Verlauf des Gesprächs meinte Arvid:
„Ich halte die Schweden für äußerst frei, im Gegensatz zu euch Deutschen.“
„Ja, meinen Sie?“ entgegnete Wilhelm, „ich bin grundsätzlich der Ansicht, dass, wenn jemand Sklave einer Leidenschaft ist, sich nicht frei nennen kann. Vielleicht haben Sie aber Recht, denn die Schweden scheinen mir im Gegensatz zu uns Deutschen weniger Leidenschaft für ihren durchorganisierten Wohlfahrtsstaat aufzubringen. Ich bin Journalist und möchte mir ein genaueres Bild von den Realitäten in Ihrem Land machen.“

Die beiden erzählten sich ihre Lebensgeschichten und betrachteten den jeweils anderen immer wieder mit großen Augen. Die Zeit verging wie im Fluge, bis die Fähre in den Hafen von Malmö einfuhr. Wilhelm verabschiedete sich mit den Worten: „Es hat mir Spaß gemacht, Ihnen zuzuhören. Die letzte Phase der langen Überfahrt hat sich verkürzt angefühlt. Außerdem finde ich Ihre Einstellung zum Leben interessant.“
Arvid meinte: „Sie sind sehr freundlich“, ich verrate Ihnen etwas: „Ein uninteressantes Leben gibt es nicht.“

Beim Vertäuen der Fähre strömte unsichtbarer Jazz aus Lautsprechern am Empfangsgebäude - wie frische Luft aus Boxen. Wilhelm hatte das Gefühl, ein Gespräch gehabt zu haben, das half sich daran zu erinnern wer er ist - ohne zu große Angst haben zu müssen, dass er sich in einer sich stetig verändernden Welt verliert.

 



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Kommentare zu diesem Text


 harzgebirgler (12.10.23, 17:07)
kommt ein gespräch erst mal in gang
wirken zwei stunden kaum mehr lang. :D lg vom harzer

 uwesch meinte dazu am 12.10.23 um 17:23:
Kommt ein bissel auf die Wetterlage an. Sturm und Regen fördern in vielen Fällen Übelkeit - auf Deutsch es wird gekotzt. Ich kenne mich da leider gut aus   als im Norden an der Wasserkante Aufgewachsener.
Dank Dir für Deine Empfehlungen und LG Uwe
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