Murhan: Die Aufgabe des Kriegers

Kurzgeschichte zum Thema Ende

von  Elisabeth

Dieser Text ist Teil der Serie  Die Tarib

Aus der sumpfigen Ebene steigt der Nebel auf, obwohl die Sonne noch nicht einmal zu sehen ist. Eine ungesunde Gegend, ein ungesundes Klima, niemand, der bei Sinnen ist, führt mitten in der Regenzeit Krieg. Jetzt sind die Alarmgongs aus der Stadt zu hören, offenbar haben die Tetraosi erst mit dem beginnenden Morgen festgestellt, daß ein feindliches Heer vor ihren Mauern steht.

Ich werde endlich in meinen letzten Kampf für den König von Letran ziehen. Dann kann ich meine geliebte Firat zurück in unsere Heimat führen, und wir werden uns im Zelt unseres Fürsten unser Eheversprechen geben, wie es sich gehört. Und Nefut, mein Sohn, mein Erstgeborener, dem ich schon vor zwei Jahren die Stirnlocke schor, wird endlich in die Gemeinschaft der Männer der Darashy aufgenommen werden.

Es wird Zeit. Ich bin zu alt, um für andere Männer in den Krieg zu ziehen, und ich hatte mir schon im letzten Winter geschworen, nur noch eine Axt zu schwingen, um Brennholz für das Schmiedefeuer zu zerkleinern. Und doch stehe ich hier, sehe hinüber zu der hoch aufragenden Stadtmauer, hinter der sich unsere Gegner verschanzen, als Diener eines fremden Königs, der sich meine Ergebenheit mit Gold und dem Versprechen erkaufte, mir Schutz vor denen, die mich verfolgen, zu geben. Ich hätte schon damals, nach dem Tode von Nefuts Mutter, zurückkehren sollen in die Zelte der Darashy, anstatt weiter nach Norden zu ziehen, eine weitere Anstellung als Söldner anzunehmen. Ich bin des Kampfes müde, dabei hat er für heute noch gar nicht begonnen.

Der Klang der Gongs verändert sich, sie rufen zum Sammeln. Haben sie tatsächlich genügend Männer in ihrer Stadt, um den Ausfall zu wagen? Wäre ich innerhalb der Mauern, würde ich dort bleiben und warten, bis die Tiere meiner Gegner verenden, weil sie bis zum Bauch in den Schlamm eingesunken sind und sich nicht mehr befreien können. Sie haben einen jungen, unerfahrenen König heißt es, einen Heißsporn, der sich beweisen will, einen, dem der Ratschlag eines weiseren Mannes fehlt. Ein leichtes Opfer. Also werde ich diese Schlacht für meinen Herrn gewinnen und diese Stadt noch heute für den König von Letran einnehmen, denn eine Belagerung ist ausgeschlossen.

Verflucht sei die Stunde, in der ich zusagte, das Heer der Letrani vor die Mauern Tetraos' zu führen, nur damit ich meinen Fürsten besuchen konnte... Nein, danken will ich den guten Göttern, denn sonst hätte ich Firat doch niemals als unverheiratete Frau kennengelernt, das Licht meiner Augen, Mutter meines Zweitgeborenen. Trägst du ihn schon unter deinem Herzen, Geliebte, unseren gemeinsamen Sohn? Ich werde nie wieder einen meiner Söhne in der Fremde aufwachsen lassen, fern der Stämme, unter Wilden und sittenlosen Barbaren, auch wenn mich Nefut immer wieder einmal erstaunt mit seinen Kenntnissen der Schriften. Und doch ist in ihm etwas, was mir Angst macht, eine Finsternis, eine Leere, Gedankenlosigkeit was die Gefühle anderer betrifft. Er kennt die Gebote, aber er versteht nicht, was ihren Geist ausmacht, versteht nicht, was einen Stamm zusammenhält.

Die Gongs verstummen, Geran, mein Zweiter, strafft die Schultern, sein Schuppenpanzer klirrt leise bei dieser ruckartigen Bewegung. Seine Hand ruht nun auf dem Knauf seines Schwertes.

Ich streiche über den Griff meines eigenen Schwertes, so vertraut die glatte Oberfläche. Heute soll es das letzte Mal sein, daß ich diese Klinge ziehe. Heute soll für mich ein Ende sein mit den Kriegen, die nicht die der Darashy sind. "Laßt sie herauskommen!" rufe ich den Männern noch einmal zu. "Wartet, bis sich ihre Formation in der Ebene auflöst! Haltet Abstand von dem Torweg, bergab haben sie den Vorteil!"

Dunkle und helle Gesichter, junge und alte Männer sehen mich an, nicken, greifen ihre Schwerter und Speere fester. Die Reiter sind heute zu Fuß, und ich sehe, wie unbehaglich ihnen das ist, doch auch ich stehe mit bloßen Füßen hier im Schlamm, der meine Zehen bedeckt, weiter im Zentrum der Ebene sinkt man ein bis zu den Knöcheln.

Das Tor öffnet sich langsam. Da kommen die Verteidiger, ebenfalls zu Fuß. Sie kennen ihr Land, wissen, daß die Pferde in der Ebene verloren wären. Voran geht ihr König, in einem weißen, wehenden Mantel. Ein junger Mann, voll der Hoffnung. Ich höre, wie er seine Männer anspornt, aber ich bemerke auch das verhaltene Zittern in seiner Stimme, eine Rauhheit, die seine Unsicherheit bemäntelt, seinen Schrecken über den Feind, so dicht vor seinen Toren und doch nicht dicht genug, um ihn einfach überrennen zu können. Hier nützt dir keine Formation, junger König, nur die Erfahrung, und die fehlt dir. Kaum älter als mein Sohn scheint er zu sein, knabenhafter Bartflaum auf den Wangen. Wer wird heute den Sieg davontragen, jugendlicher Heldenmut oder die Erfahrung eines alt gewordenen Kriegers?

Der König zieht sein Schwert, er stürmt voran, seine Edlen folgen ihm, seine Soldaten, seine Wachen und die Bürger seiner Stadt. Die Sonne steigt über den Horizont, und das Gleißen der Rüstungen blendet uns.

*



Sind sie erst einmal hier, unterhalb der Stadtbefestigung, werden uns die Reflexionen der Sonne nicht mehr blenden, also lassen wir sie kommen, die Ebene erreichen, dicht an der Straße hinauf zum Stadttor noch steinig und fest, doch weiter entfernt zunehmend feucht und schlammig, überall der feuchte Lehm, der sich mit festem Griff um die Knöchel eines unvorsichtigen Mannes schließt und ihn ins Verderben reißt, wenn er im Kampf nicht auf der Hut ist.

Der junge König stürmt weiter voran, sein Gefolge besteht aus ebenso jungen Männern. Ist denn keiner darunter, der ein wirklicher Gegner ist? Ist denn keiner darunter, der das Ziehen meines Schwertes rechtfertigt?

Wir warten. Und wirklich, kaum erreichen die Einheiten der Tetraosi die Ebene, zerstreuen sie sich, suchen sich passende Gegner unter meinen Einheiten. Hätten sie den Zusammenhalt gewahrt, hätten sie vielleicht eine Chance gehabt, nun können wir sie an den Fuß ihrer Festung zurückdrängen und sie zwischen unserem Heer und ihrer eigenen Stadt zermalmen.

Der König sieht sich um nach einem würdigen Gegner, gegen Angriffe meiner Leichtbewaffneten, die ihre Schleudern kreisen lassen, schirmen ihn seine Getreuen mit ihren Schilden ab. Nehmt ihn in eure Obhut, euren jungen König, möchte ich ihnen zurufen, kehrt zurück in eure Stadt, sonst wird er keinen Tag älter werden, denn er wagt sich an das Spiel der Männer.

Aber der junge König ist gar nicht so voreilig, stelle ich fest. Der Weg hinauf in die Stadt ist blockiert. Als der Dunst sich langsam auflöst, erkenne ich noch mehr Truppen vor dem Tor der Stadt, viel mehr, als zu erwarten waren. Immerhin werden von dort oben keine Bogenschützen schießen, die Sichtverhältnisse sind zu schlecht, um auf die Entfernung Freund von Feind zu unterscheiden. Sie wußten, daß wir kommen, sie haben sich vorbereitet. Bist du also doch ein würdiger Gegner für mich, junger König? Willst du dem Städtezerstörer die Stirn bieten?

Geran sieht mich fragend an, ich lassen ihn gehen, zu seinen Leuten, den Männern aus Berresh, die mir seit acht Jahren die Treue halten. Im stillen wünsche ich den Segen Tyrimas auf ihn, dann ziehe ich mein Schwert.

Einen Moment halte ich die Klinge ruhig, spüre ihr Gewicht, sechs Tar Eisen in meiner Hand, dann in beiden, und ich laufe durch den zähen Schlamm, der meine Füße festzuhalten sucht. Nicht lange wird die Sonne heute die Feuchtigkeit zurück in den Himmel ziehen, die Wolken haben sich mit dem beginnenden Morgen nicht aufgelöst. Bald wird es wieder regnen. Vorher muß die Stadt genommen sein, sonst ist auch der Weg hinauf zum Tor zu schlammig, um ihn mit einem Heer geordnet zu bewältigen.

Einer der Getreuen des jungen Königs springt mir mit erhobenem Schild in den Weg, doch ich unterlaufe ihn, steche in den Unterleib seines Trägers, sehe das Erstaunen in dessen Augen, als er versteht, was ihm passierte. Und ich zerre bereits meine Klinge wieder frei. Einer meiner Leibwächter schlägt dem auf die Knie sinkenden Mann den Kopf ab, nun ist er kein Gegner mehr, also kümmere ich mich um den nächsten.

Angsterfüllt heben die Tetraosi den Blick zu meinem blutigen Schwert. "Die Schlangenklinge!" höre ich sie erschrocken rufen. "Es ist Murhan selbst! Rettet den König!"

Wie Hühner, die den Schakal sehen, ohne Verstand in ihrer Panik, stehen die Getreuen sich selbst im Weg, und wir schlachten sie ab, quälen uns durch den vom Blut noch feuchter werdenden Untergrund. Nur ihr König bleibt gefaßt. Er bleibt stehen, er sammelt sich, er wird gegen mich kämpfen, so furchtlos wie es ein Mensch angesichts der Geschichten, die meine Feinde über mich verbreiten, vermag.

Der Rest seiner Getreuen schart sich um ihn, wie die Küken um die Glucke, versucht, ihn mit ängstlichen Stimmen von seinem Vorhaben abzubringen.

Ich gebiete meinen Leibwächtern zurückzubleiben, nähere mich dem König ein paar Schritte. Ich bin bereit, mit ihm einen Zweikampf auszufechten, während unsere Heere sich um uns herum bekämpfen. Es ist nicht auszumachen, wer zur Zeit die Oberhand hat, auf die Entfernung kann man bei der diesigen Luft nicht viel erkennen.

Der junge König hält sein Schwert in der Hand, es zittert leicht, und er packt es fester. "Für meinen ungeborenen Sohn und meine Ahnen werde ich dir standhalten", sagt er so leise, daß es außer mir wohl nur seine Getreuen hören. Auch er ist also ein Vater, auch er kämpft diesen Kampf für die Zukunft seines Kindes. Sein Schwert ist so viel kürzer als meines, er wird es schwer haben, mir standzuhalten.

Ich komme noch zwei Schritte näher, jetzt kann ich ihn mit meinem Schwert erreichen, doch er ist auf der Hut, wehrt meinen Angriff ab. Auch wenn er jung ist, so hat er wohl doch einen fähigen Lehrer gehabt. Er ist stark und widersteht dem Druck, mit dem ich ihm das Schwert aus der Hand zwingen will, zieht plötzlich seine Klinge weg und macht selbst einen Vorstoß, so daß ich für einen Moment ins Straucheln gerate. Ich falle auf ein Knie, muß mich mit einer Hand abstützen, und er könnte meine Glieder abschlagen, doch er hält inne, als könne er nicht glauben, mich so schutzlos zu sehen, als fürchte er, es sei ein Trick, aber ich bin außer Atem, der Kampf gegen seine Getreuen und gegen den Schlamm hat mich schon jetzt erschöpft.

Um ihn sein Zögern nicht bedauern zu lassen, stoße ich das Schwert einhändig nach vorne, gegen seine Beine, doch er springt behende nach hinten, bringt seinen Schild zwischen uns, so daß ich Zeit habe, mich zu erheben. Ich werde diesen Kampf zu Ende bringen, egal was es mich kostet. Und für die Rückkehr meiner Söhne in unsere Heimat werde ich ihn gewinnen.

Nun wagt er einen Vorstoß, schnell, kraftvoll, aber ich ahne, wohin die Klinge geführt wird und weiche aus. Und noch einmal stößt er mit seiner ganzen Kraft ins Leere. Dann hält er inne, atmet schon schwerer, die Brust eingezwängt in einen prächtig ziselierten Panzer, auf dem Kopf den schweren Helm seiner Ahnen. Ich sehe die Schweißperlen an seiner Nase glitzern. Wie oft machen sich die Nordstädtler lustig über die Kampfweise der Oshey, ihren Verzicht auf Panzer und Schild. Doch in dieser feuchtigkeitsgesättigten Luft bin wohl ich derjenige, der es leichter hat in unserem Kampf.

Ich gestatte dem König nicht, die Pause so lange auszudehnen, daß er wieder zu Atem kommen kann, doch erneut bringt er seinen Schild zwischen uns. Im letzten Augenblick verhindere ich, daß meine Klinge sich in den Metallrand beißt und festsitzt. Der König hebt den Schild nie ganz, er vertraut auf seine Schnelligkeit, will sich nicht die Sicht nehmen, um nicht den Moment zu verpassen, in dem er meine Deckung unterlaufen kann, und doch gelingt es ihm bisher nicht. Immer kann ich seinen Vorstoß rechtzeitig parieren.

Sein Atem geht keuchend, und mir schmerzt die Brust, doch wieder greife ich an, gleite ab von dem glitzernden Metall seines Helmes, dann hält sein Schwert den weiteren Weg meiner Klinge auf. Wie ich wird er kämpfen, bis einer von uns in der Fürsorge für seine Söhne versagt. Wieder weicht er zurück von mir, nun springt er nicht mehr, aber noch immer hebt er dabei herausfordernd das Kinn, entblößt so seine ungeschützte Kehle über dem niedrig gehaltenen Schild.

Also warte ich, lasse ihn wieder herankommen, nehme seinen Schlag mit meinem Schwert entgegen, doch diesmal hole ich nicht aus mit meiner Waffe, als er zurückweicht in den Schutz seines Schildes, sondern lasse mich mit meinem ganzen Gewicht in den Stoß nach vorne fallen.

Und die Spitze meines Schwertes zieht eine hässliche, rote Spur über seinen Hals.

Zu spät reißt er den Schild nach oben, dann merkt er plötzlich, daß sein Blut aus der großen Wunde an seinem Hals sprudelt, den weißen Mantel rot färbt.

Er sackt in sich zusammen, hebt noch einmal das Schwert, um nach mir zu schlagen. Aber auf Knien reicht er nicht mehr an mich heran, ein gemächlicher Schritt nach hinten bringt mich in Sicherheit.

*



Die Getreuen des jungen Königs erkennen, daß ihr Herr getroffen ist, sie eilen heran, ich weiche einen weiteren Schritt zurück, kralle meine Zehen in den warmen Schlamm, um nicht vor Erschöpfung das Gleichgewicht zu verlieren. Wenn ich jetzt Schwäche zeige, werden sie sich wie Hyänen auf mich stürzen.

"Ihr dürft seinen Körper in eure Stadt bringen", rufe ich ihnen entgegen, erschrecke über die Heiserkeit meiner Stimme. Der junge König ist tot, die Schlacht damit entschieden und Tetraos den Truppen der Letrani ausgeliefert.

Fahrig reinige ich mein Schwert, lasse es in seiner Scheide verschwinden. Meine Hände zittern, zu unwirklich ist das plötzliche Ende dieses Lebens für den Kampf. Ich sehne mich nach Firat, nach ihrer beruhigenden Stimme, ihrem weichen Leib, den zu umfangen mich an das Leben erinnert, das ein Mann schenken kann, auch wenn er anderen zuvor das Leben nahm.

Meine Arbeit ist getan, ich winke meinen Leibwächtern, mir zu den Zelten des Wesirs der Letrani zu folgen. Es ist nicht die Aufgabe des Kriegers, Verhandlungen zu führen.

* * *




Anmerkung von Elisabeth:

Diese Geschichte habe ich 2008 geschrieben.

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