Der grüne Planet

Kurzgeschichte zum Thema Angst

von  Elisabeth

Keuchend stützte er sich auf einen Felsvorsprung. Noch war von seinen Verfolgern nichts zu sehen, aber er hörte ihr Schleifen über den Stein und das Klacken, das ihre hungrig aufeinanderschlagenden Zähne verursachten. Sein Blick wanderte nach oben. Er hatte fast die Spitze des Felsbrockens erreicht, der wie ein zufällig hingeworfener riesiger Stein in der endlosen grünen Landschaft wirkte.

Weiter als bis zur Spitze konnte er seinen Verfolgern nicht entfliehen. Dort würden sie ihn schnappen und mit ihren scharfen Zähnen zerreißen, so wie sie es mit seinem Bruder gemacht hatten. Es war sinnlos, weiter zu fliehen, dumm, auf eine Rettung zu hoffen, aber dennoch...

Die Verschnaufpause war viel zu kurz gewesen, trotzdem kletterte er weiter. Vielleicht konnte er sie irgendwie austricksen. Sie waren hungrig und weit in der Überzahl, aber nicht intelligent. Allein ihr hervorragender Geruchssinn wies ihnen den Weg.

Er hatte die Spitze erreicht, nun war er ihnen ausgeliefert. Kurz erhaschte er einen Blick auf seine Verfolger, die ihre Tentakeln nach ihm ausstreckten. Sie wuchsen ihm entgegen, sie überwucherten den Felsbrocken... nein! Feuer würde sie vertreiben!

Mit fliegenden Händen suchte er in den Taschen seines Overalls nach seinem Mini-Schneidbrenner, aber der lag noch in der abgestürzten Flugkapsel. Er hatte ihn auf dem Pilotensitz liegengelassen, als er versucht hatte, die Steuerung zu reparieren. Also kein Feuer.

Nicht einmal ein Messer fand sich in seinen Taschen, nur eine halbleere Konzentratpackung. Die würde er nun nicht mehr brauchen.

Über ihm wölbte sich der smaragdgrüne Himmel. Aus den Untersuchungen, die er mit seinem Bruder durchgeführt hatte, wußte er, daß die ungewöhnliche Färbung von einer Vielzahl einzelliger Flugalgen in den oberen Schichten der Atmosphäre hervorgerufen wurde. Der Grüne Planet, so hatten sie ihn genannt. 'Schön ist es hier', dachte er plötzlich und ließ seinen Blick über die weite grüne Ebene unter sich streifen. Hinter dem Horizont war der Urwald - unter ihm waren die Killerpflanzen. Er wurde sich wieder der alptraumhaften Gefahr bewußt, als er hinter sich erneut ein scharfes Klacken hörte.

Erschrocken drehte er sich um. Ein grüner, fleischiger Tentakel, wie eine Schlange mit schuppenartigen Blättern bewachsen, schnappte mit seinen mörderischen Zähnen nach ihm. Weitere Tentakel erreichten die Spitze des Felsens und ein nackter Sproß einer der Pflanzen klammerte sich um seinen Knöchel. Ein heftiger Biß in seine Kehle ließ ihn das Bewußtsein verlieren.


*


Schweißgebadet wachte Andreas auf und rieb sich das Gesicht. Mit heftigem Kopfschütteln versuchte er, das Nachklingen seines Alptraumes zu verdrängen. Mit etwas zittrigen Beinen ging er ins Bad und hielt seinen schmerzenden Kopf unter den kalten Wasserstrahl der Dusche. Sein Bruder hatte nicht übertrieben, als er sagte, das Zeug würde 'voll reinhaun'. Andreas schwor sich im Stillen, daß das sein letzter Trip gewesen sein sollte.

Nachdem er wieder einigermaßen klar denken konnte, ging er in die Küche, um sich einen starken Kaffee zu machen. Im Vorübergehen nahm er einen Apfel aus der Obstschale im Flur - und bemerkte gar nicht dessen bösartiges Grinsen und die blitzenden Zähne...


* * *



Anmerkung von Elisabeth:

Diese Geschichte habe ich 1985 geschrieben.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (19.10.23, 10:31)
Etwas albern-bemühter Schluss, aber der erste Teil scheint mir einen gelungene Persiflage auf die alten Science-Fiction-Groschenromane zu sein?

 Elisabeth meinte dazu am 20.10.23 um 21:21:
Hallo Dieter_Rotmund,

ganz herzlichen Dank für Deinen Kommentar.

Habe ich richtig gelesen? Hat sich da ein Lob in Deinen Kommentar eingeschlichen? Herzlichen Dank dafür, daß Du meine Persiflage auf Science Fiction Groschenromane für gelungen hältst. Das freut mich außerordentlich.

Tja, das Ende... 

Ja, ich gebe Dir recht, das Ende ist irgendwie unorganisch (no pun intended). Aber inhaltlich finde ich es gut. Da ich beim Herauskramen dieser alten Kamelle noch immer nicht auf eine bessere Formulierung für das Ende gekommen bin, habe ich es halt so gelassen. Vielleicht fällt mir durch Deine Anregung ja bald was ein. Dann ändere ich den Text. Wenn Du möchtest, halte ich Dich darüber auch auf dem Laufenden (oder macht das hier auf kv die Automatik?).

Danke für Deine aufmerksame Lektüre,

liebe Grüße von Elisabeth / Bettina
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