Tante Lu

Gedicht zum Thema Erinnerung

von  Pfeiffer

Wir Kinder gaben keine Ruh':

"Wann fahren wir zu Tante Lu?"

Uns zog's mal wieder raus aufs Land,

Wo sich der Tante Haus befand.


Und fuhr'n wir Tante Lu besuchen,

Gab's stets gedeckten Apfelkuchen

Mit milchig-weißem Zuckerguss:

Für uns was das ein Hochgenuss!


Dazu Kakao, schön süß und kalt,

So wie ihn Kinder lieben halt.

Wir haben oftmals rumgekleckert, 

Doch Tante Lu hat nie gemeckert.


Dann hieß es plötzlich, uns're Tante,

Die sei 'ne jüdische Bekannte.

Sie sei mit uns auch gar nicht blut-

Sverwandt, und das sei gut!


Besuche waren jetzt gestrichen,

Den Fragen wurde ausgewichen.

Ihr Haus, so hieß es, sei verwaist,

Denn Tante Lu sei abgereist.


Man stellte wohl in jenen Tagen

Aus Feigheit viel zu wenig Fragen...

Doch denke ich an Tante Lu,

Schnürt mir's noch heut' die Kehle zu.  


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Kommentare zu diesem Text


 Saira (13.01.24, 18:40)
Lieber Fritz,
 
deine Erinnerung macht traurig.
 
Herzliche Grüße
Sigi

 Teo (13.01.24, 18:42)
Ja, bedrückend, lieber Fritz...

 Quoth (14.01.24, 08:58)
Man vkann nur hoffen, dass sie durch rechtzeitigen Verkauf des Hauses die Reichsfluchtsteuer bezahlen und noch nach Amerika entkommen konnte, dass sie also wirklich abgereist ist.
Sehr gut das verfremdende blut-Sverwandt, wo sich ja die Bioidentitätsfans bereits wieder in Villen treffen ...

 Janna (14.01.24, 09:13)
Ein fröhlich und flott beginnendes Gedicht mit einem Schluss, der Gänsehau erzeugt. Die Tragödie gut umgesetzt!

Liebe Grüße

Janna

 plotzn (14.01.24, 10:15)
Servus Fritz,

bedrückend, aber leider Realität. Solidarität hört schnell auf, wo Repressalien drohen.

Auch dem Leser schnürt es am ende die Kehle zu...

Liebe Grüße
Stefan

 Beislschmidt (14.01.24, 10:36)
Das Gedicht beginnt so heimelig und kuschelig, umso bestürzender ist das Ende. Die Kinderperspektive hast du gut bis zum Schluss eingehalten. Klasse.
Beislgrüße
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