Der Bücherwurm (oder die Frage der dritten Art)

Kurzgeschichte zum Thema Reflexion

von  S4SCH4

„Lass mal fünf g´rade sein, “ Er streckte seine gespreizte Hand aus und hielt sie mir entgegen. Fünf Finger zählte ich, alle gerade ausgestreckt, doch die Sache hatte ein „Gschmäckle.“ Seine Geste mutete wie ein „Halt!“ an, wie ein „Stopp! Nicht weiter!“ und doch war das, was er meinte ja etwas Anderes. Er forderte ja gerade dazu auf, etwas nicht so genau zu nehmen und weiterzumachen. Was das war, war leicht zu erahnen…wir ordneten Bücher, alphabetisch. Ich war bei einem Buch an der dritten Stelle, also beim dritten Buchstaben eines Buchtitels angekommen und wollte mich vergewissern, auch diese Einordnung richtig zu machen; infolgedessen murmelte ich darum einige Buchstaben durcheinander, behielt diesen im Gedächtnis  und las jenen ab und zählte dazu noch mit den Fingern nach. Meinem Kollegen war wohl sauer aufgestoßen, dass ich derart umtriebig mit Sprache und Gestik, die Ordnung zu halten gedachte, was ihn zu dem eingangs erwähnten Sprichwort leitete.       

Nahm man es nun genau, war die dargelegte Symbiose aus „Stopp“ und „Weitermachen“ genau das, was beabsichtigt war und doch nagte sie an mir. Ich war drauf und dran die Bücher aus der Hand zu legen und mir eine Pause zu gönnen, als er abermals das Wort an mich richtete: „Wir sind hier zwar nicht zum lapidaren Vergnügen, aber ich denke es reicht, wenn wir die Ordnung so grob einhalten. Wenn Du die ersten beiden Buchstaben des Buchtitels richtig hast, sollte das reichen, immerhin haben wir ja auch nicht den ganzen Tag Zeit für das Sortieren.“ Ich nickte. Es erschien mir genauso Widersprüchlich wie jene symbiotische Gehabe meines Kollegen, nur das ich den Widerwillen selbst trug. Außerdem drehte sich nunmehr alles um diese dritten Buchstaben; sie waren mir an eine erste Stelle gerückt, prioritär, konnte man sagen, als etwas Strittiges und Ungeklärtes. Ich hatte ein Recht meine Sortierung vorzunehmen und mein Kollege hatte Recht mit seiner Argumentation in Bezug auf die Zeit. Schnell wurde mit klar: es fehlt jemand Drittes!

Als ich meinen Kollegen daraufhin fragte, ob wir nicht jemand dazu holen sollten, jemand der das Sortieren üblicherweise macht, oder sich zumindest auskennt, fing er erst an zu lachen: „Ja, klar, ich habe drei Brüder, die helfen bestimmt alle mit (hah!)…aber im Ernst: hast Du irgendwelche Probleme mit der Arbeit?“ Sprachlosigkeit machte sich bei mir breit. Ich lud abermals, durch Scham oder Scheue, das Päckchen der Fragen und Verzagtheit auf mich, es war ja auch kein Problem an sich, sondern ein Problem eines Problems (das nicht anerkannt wurde, oder werden sollte), wie mir schien. Ich war ehrlich angepisst und schlug auf das Bücherregal vor mir. Es klirrte laut. Ich schaute mich um und war allein in meinem Antiquariat. Mein dort für üblich stehender Spiegel lag in Scherben verteilt um mich herum.  



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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (26.03.24, 13:16)
Ja,
das Sortieren von Büchern kann schon arg peinigen.
Zumal das Alphabet nach einiger Zeit völlig zu entfallen droht - oder ein fremder Unhold "sein" Buch gar umgekehrt (!) ins Regal gestellt hat.
Es ist so ähnlich wie mit dem Spätkapitalismus: Das ganze System muss weg. Und zwar sofort.

Werbewirksam gestaltet sich hierfür die Sortierung nach Farben. :) Durch die angenehme Beruhigung der Sinne entfällt zudem das Gemetzel mit dem Spiegelbild ...

die8.Ex-Fachbereichsbibliothekshilfskraft

 S4SCH4 meinte dazu am 26.03.24 um 13:56:
Hallo ACHTer,
nach Farben sortieren ist sehr gut; da bin ich konsumbewusst.
Danke für deinen Zuspruch.

lg


P.S.
Ein System das sich selbst abschafft (um sich neu beschaffen zu lassen) ist mir ein Greuel.

 Mondscheinsonate antwortete darauf am 08.04.24 um 12:58:
Ich ordne nach Autoren und Epoche... dann ist wieder alles kreuz und quer, danach lasse ich es wieder jahrelang, danach wieder von vorne.
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