Aus dem Leben eines eklatanten Haters

Kurzgeschichte zum Thema Abgrund

von  S4SCH4

Ich hatte einst einen Grund.

Einen Grund zu hassen.

Nun ist mein Hass,

der Grund.

So oder so ähnlich, leitete, der als H.J. bekannte Blogger, auf seiner eigenen Webseite, postulierend seine alltäglichen Zänkereien ein. Die Seite selbst ist mittlerweile vom Netz. Nun, ich könnte die Zeitmaschine des Internets bemühen, um den genauen Wortlaut wiederzugeben, doch geben wir uns, für den Augenblick, mit meinen Erinnerungen zufrieden. Ich bin faul. Ich habe etwas zu erzählen.                       
H.J. wuchs in einer Kleinstadt auf. Ich kenne ihn aus der Schulzeit. Und aus dieser Zeit ist mir eine Geschichte besonders in Erinnerung geblieben. Wohl, weil sie das Leben meines Kameraden sehr gut charakterisiert. H.J. hatte eine Zeit lang, eine etwa handgroße Platikfigur vom „kleinen Arschloch“ auf seinem Schreibtisch stehen. Es war sein damaliger Lieblingsfilm. Zeitlich befinden wir uns also am Ende der 90er Jahre. Das neue Millennium kündigte sich an und wir wurden volljährig. Bei einem Saufgelage, wie es in unserer Jugend häufig stattfand, das in seinem Haus abgehalten wurde (seine Eltern waren auf Reise nach Mauritius), nahm jemand von den Homies, die Plastikfigur des kleinen A., übergoss sie mit Brennspiritus (den hatten wir zum Grillen benutzt) und zündete die Figur auf seinem Schreibtisch, an Ort und Stelle befindlich, an. Es loderte kurz auf und die Flamme zog ein reges Treiben nach sich, einige verließen aufgeregt das Zimmer, einige spähten neugierig hinein. So bald auch H.J. Nach wenigen Augenblicken, in denen er sich die Situation wohl gewahr gemacht hatte, fing er an wild zu gestikulieren, was wahrscheinlich auf Wasserholen hindeutete, denn überdies lief er in Richtung Bad, und schrie dabei: „mein kleines Arschloch brennt!“       
Alle, bis auf H.J., lachten laut.         
Das alles mag nun über zwanzig Jahre her sein. Zwanzig Jahre, und mehr als die Hälfte davon habe ich ihn nicht mehr gesehen. Nur von ihm gelesen. Von seinen politischen Ansichten verstand ich nichts, seine Tiraden gegen berühmte Personen, solche die im öffentlichen Leben zu Hause waren, waren mir aber…, nennen wir es „populär“. Im Allgemeinen konnte man über diese Tweets und Blogbeiträge sagen: Einerseits bedienten sie den Geschmack der sich echauffierenden Masse, anderseits waren sie so derbe sarkastisch und unterschwellig komisch, dass man es schwer hatte, ihn einen reinen Hater zu nennen. Vor allem, wenn man ihn länger kannte. H.J. war verheiratet gewesen, nicht lange, aber umso länger zog sich seine Scheidung hin. Man mochte gar annehmen, die Scheidung und das was daraus resultierte, wäre der eigentliche Grund, der eigentliche Sinn seiner Heirat gewesen, denn nur die Auseinandersetzung stellte sich lange Zeit in den Vordergrund und verdrängte alles andere. Jenes anfangs bemühte Zitat, kommt, so nehme ich an, aus der Hochphase seines Rosenkrieges mit der Ex-Gemahlin F. Und in der Tat, er wandelte sich in dieser Zeit drastisch, wie man unschwer an seinen Texten aus dieser Zeit erkennen konnte. Sarkasmus und Komik waren fort. Zurück blieb großer Unmut.       
Im Rückblick lässt sich viel über ihn sagen, doch F nahm ihm allem Anschein nach, jene seiner Fertigkeiten die ihm von einer „üblichen“ Hasskultur  noch entfernt hatten, wohl als Teil einer Scheidungsabfindung ab. Man sah sie, also F., nie wieder, sagte einer seiner engeren Freunde der letzten Jahre, auf der Beerdigung von H.J. am letzten Montag. Mir bleibt die Reise in die Zeit meiner Jugend und das von ihm geplante Ableben seiner selbst, mit einem bitteren Nachgeschmack in Erinnerung. „Ach H.J.“, denke ich mir, „da hat das kleine A. wohl nie aufgehört zu brennen…“

 




Anmerkung von S4SCH4:

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