spiele fleisch

Erzählung

von  beneelim

Sein Bein hängt lässig über die Bettkante, die Decke knäult sich darüber. Mit einem Auge schielt er zum Fenster hinaus, und er spürt ein Lächeln über seine Lippen steigen. Der Glimmer eines angenehmen Frühlingsabends liegt am Himmel, eine fotogene kleine Bildgeschichte in Purpur und Gelb und Kornblumenblau. Er liebt es, er schnauft wie ein Bär, sein Brustkorb hebt sich, senkt sich.

Er setzt sich behaglich auf, die Füße versenkt er in den gestreiften Pantoffeln. Kratzt sich am Hinterkopf, gähnt, ein Klassiker, denkt er, ich bin berechenbar geworden, alles rundherum, wie vom Grundschullehrer ausgedacht, und er sieht sich um: fichtenhölzerner Kleiderschrank, monumental, mit verspiegelter Schiebetür und einer fünfseitigen Bauanleitung, ja, ja, wir leben schon. Noch. Ein Perserteppich, Sarahs Großmutter hat ihn ihr vermacht und er ist ein hässliches, schweres Teil; schwer von fauligen Farben, von Moorstimmungen und dem Duft eines im Siechtum verwelkten Menschen, dessen Bett einmal daraufgestanden hat. Ein dumpfer Puls beginnt in seiner Magengrube zu schlagen: Sippenhaftung.

Ihre Stimme. Ruhig, sanft. Aber kein Traum, der mehr den Worten seinen Pelz überstreift.
„Wie spät ist es? Schon Abend?“
„Hm. Bald.“
Und die heimwerkerisch restaurierte Kommode, geschliffen, gebeizt, aufgeraut und zweifach lackiert. Protzt im letzten Licht dieses Tages. Er klopft sich zweimal leicht auf den Oberschenkel, die Härchen darauf sträuben sich, er streckt sich, gähnt. Sarah. Sarah. Ein kühler Hauch, eine Illusion von Atem, wie Wassertropfen an seinem Genick.
Er steht auf, das Fenster ist gekippt. Er schnauft, seine Hand gleitet unter den Gummi seiner Shorts, Finger krümmen sich leicht, schaben rhythmisch die noch in Schlaf geweichte Haut. Unter den Nägeln sammeln sich mikroskopisch kleine Partikel seiner Vergangenheit. Die andere Hand fasst den Fenstergriff, Muskeln spannen sich, Knöchel drängen sich blass gegen die trockene Haut auf dem Handrücken, kurz, schnell - ein Ruck.
Was war noch? Sarah. Sarah.

„Schatz, was sollte das vorhin?“
„Was?“ Er brummt, fühlt sich erwischt, gibt sich desinteressiert.
„Egal. Nicht so wichtig. Sollen wir heute noch in die Stadt? Der Abend wird mild. Ich hätte Lust...“
„Ich hab das nicht so gemeint...“
„Schon gut. Mach dir keinen Kopf.“
„Wirklich, Sarah. Du weißt...“
„Es ist gut. Es ist okay.“
Ihre Stimme, ein durchgereifter Pfirsich an Worten, an Phrasen, den sie von der Lippe an sein Ohr reicht. Andere, ganz Andere, würden verstummen, würden zufrieden seufzen. Wären verliebt, aufs Neue, Hals über Kopf, wie man sagt. Andere. Würden sie nicht kennen. Nicht am Schlummerhügel inmitten eines Ozeans der Vielleichtwindröschen das Alleswirdgutlied geschwiegen haben, oder gesummt, nicht das Leben verblassen sehen haben, während die Karawane der kostbaren Jahre sich zum Horizont aufmacht.
Aber. Es gab da noch etwas. Sarah. Wer soll dir weh tun wollen?

„Hör mal, ich wollte nicht...“
„Schatz.“ Sie perlt ein neckischen Lachen hervor. „Es macht nichts. Glaub’s mir.“
„Okay.“ Er zittert, setzt sich schüchtern an die Bettkante. Streift unbeholfen das Leintuch zurecht.
„Ich könnte dir nie weh tun. Das wollte ich niemals. Hörst du?“
„Schhh. Es ist gut.“
Scherben gleiten ihm auf der Zunge hin und her.
„Du sagst das immer. Wie geht das? Warum? Warum?“
„Komm her. Lass uns noch ein bisschen liegen bleiben. Wir haben Zeit.“
„Ja? Ja. Okay..“

Da schlüpft er aus den Pantoffeln, ihm ist kalt geworden. Unter die Decke, er tastet nach ihr, Sarah, ihre Haut, er zieht sie an sich heran, Sarah, er legt ihr sacht einen Kuss an die Wange. Das Blut an ihrem Mundwinkel ist trocken, ihre Lider über dem starren Blick nur halb geschlossen, Sarah, ihre Brüste kalt, schwer auf den Rippen, die durch die bläulich weiße Haut schimmern, und er senkt sein Gesicht auf ihre Schulter, die Nase stößt leise den Atem gegen ihren Hals. Sarah, Sarah. Eine purpurne Blüte, zehnblättrig links und rechts ihrer Luftröhre, wie der Gruß eines Mohnfeldes - er lächelt, ohne den Blick gehoben zu haben - eine abgefallene Magnolie; das Gesicht, der Schädel weit mit dem Kinn gegen das Schlüsselbein gedreht. Ihr Haar hängt in goldblonden, verklumpten Schreien über die Stirn.

Und seine Hand wie betend in ihren Schoß gelegt, er freut sich am Tanz der letzten Sonnenstrahlen, wie sie ihm die Augen schwer machen, wie sie warm ihren Schritt in seinem Haar versenken, und er weiß nicht mehr, was da gewesen ist.

Gut so, hätte Sarah gesagt.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (11.05.20)
Das ein oder andere blumige Adjektiv würde ich streichen, der Text wirkt dann weniger überfrachtet. Dies nur als Vorschlag.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram