Novemberregen

Kurzgeschichte zum Thema Selbsthass/verletzung/mord

von  süßerMacho

November. Kalter Regen prasselt nieder. Heulender Wind treibt ihn durch die Nacht.
Die Stadt schläft. Die Straßen und Brücken sind verlassen. Nur eine Gestalt steht auf der Brücke. Einsam und verlassen. Einsam und verlassen steht sie im Regen. Kalten Regen.
Novemberregen.
Die Gestalt sieht hinunter.
Eine ordentliche Höhe, aber würde es reichen, ist es wirklich hoch genug? Er hatte von welchen gehört, die es nicht geschafft haben. Sie waren schwer behindert, saßen im Rollstuhl oder waren geistig behindert. Für Sebastian eine grauenhafte Vorstellung. Allerdings noch grauenvoller als die Verletzungen war für Sebastian die Tatsache, dass er nach einem Scheitern auf Gedeih und Verderb auf fremde Hilfe angewiesen wäre. „ Für alles was du machen willst muss dir jemand helfen, wirklich für alles!“ hat ihm einmal jemand gesagt der gescheitert war „Das willst du nicht, glaub mir Kumpel!“ Sebastian wollte auf keinen Fall zur Last fallen und seine Schwester hatte ohnehin schon genug um die Ohren.  Seine Schwester…
Wie würde sie es überhaupt verkraften? Sie war immer recht sensibel und leicht zu verletzen. Er hatte sie immer beschützt. Das heißt er hatte es immer versucht. Doch schlussendlich ist er gescheitert, denn sie hat diesen Bastard Joseph geheiratet. Und sie hatten schon drei Kinder.
Schon wie er ihn das erste Mal sah mochte er ihn nicht. Er konnte nicht genau sagen wieso und weshalb er wusste nur, dass er schlecht war für Anna. Ihre Eltern wussten es nicht, sie waren nur geblendet von Josephs Talent sich einzuschleimen und glücklich, dass Anna jemanden gefunden hatte. Er hatte sie gewarnt, doch sie wollten nicht hören.
Sie hatten ihm gesagt Anna ist glücklich und alles andere ist egal. Er hatte ihnen auch geraten die Heirat zu verbieten, schon allein wegen dem Altersunterschied, aber sie haben erwidert, dass
sei  doch kein Grund. Auch hatte er gesagt Anna und Joseph sollten noch ein oder zwei Jahre warten. Aber sie haben gesagt sie würden wissen, dass Anna und Joseph
sich lieben und deswegen war warten völlig überflüssig und er solle sich lieber für Anna freuen statt sich Gedanken zu machen. Sich freuen… Kaltes Wasser läuft  ihn in den Nacken, lässt ihn zittern.
Er erinnert sich noch wie gestern an diesen schicksalhaften Abend. Nachdem Sebastian abermals seine Eltern gewarnt hat, verlor sein Vater die Nerven.
„ Ich bin stolz auf meinen zukünftigen Schwiegersohn, was ich von meinen eigenen Sohn nicht behaupten kann!“ schrie der Vater so laut er konnte. Sebastian rang nach Worten fand aber keine. Sein Vater wusste auch nicht was er noch sagen könnte. Die Ruhe wurde nur durch das Schluchzen der Mutter unterbrochen. Nach einer Minute hatte sich Sebastian wieder gefangen, ging weg, knallte die Tür hinter sich zu und rannte davon.
„Davonrennen“, denkt Sebastian. Er ist zu oft davon gerannt. Wenn es ein Problem gab, ist er davon gerannt. Er schüttelt den Kopf und wischt sich die Tränen aus den Augen. Er wünscht sich er wäre standhafter gewesen, vor allem in dieser Sache mit seinen Eltern. Er hätte mit ihnen danach reden sollen statt sie zu ignorieren. „Bei Annas Hochzeit hab ich sie das letzte Mal gesehen.“, schluchzt er. „Sie wollten mit mir reden!“, Sebastian schlägt mit der Faust auf das  Geländer. „Und was hab ich gemacht?“, fragt er sich selbst vorwurfsvoll. „Weggeschaut habe ich. Wegschaut!“
Er schlägt mit der Faust auf das Geländer . „Wenn ich damals geahnt hätte.“
Aber er hat es nun mal nicht geahnt. „Was dann passiert ist!“ Wenn…. Ja wenn… ihm fiel plötzlich ein Sprichwort, nein vielmehr ein dummer Spruch, ein: Wenn der Hund  nicht geschissen hätte, dann hätte er den Hasen erwischt. „Ja, ja. Wenn, wenn.“., sinniert  er. „Wenn, wenn … dann wäre manches in meinem Leben anders verlaufen.“ Aber das ist jetzt egal. „Hätte ich, nur dieses eine mal nachgeben können, und ihnen verzeihen können.“, flüstert er und zieht seine laufende Nase hoch. Aber im selben Moment kommt ihm ein Motto seines ehemaligen Arbeitskollegen, er wurde ja entlassen, in den Sinn:“ Es ist doch völlig scheißegal was hätte sein können! Was tatsächlich ist, darauf kommt es an.“ Und nichts anderes! Aber wie konnte er damals denn ahnen, dass sie kurz nach der Hochzeit bei einem Autounfall ums Leben kommen?
Er schlägt mit der Faust auf das nasse Geländer. Das Wasser spritzt. Seine Tränen vermischten sich mit dem Regen und er sieht alles nur noch verschwommnen, denn er hatte ja auch viel geweint in letzter Zeit und wenig geschlafen. Ganz zu schweigen, dass er seine Brille abgesetzt hat und betrunken ist. Alles im allen, nimmt er die Welt nur noch als großes verschwommenes etwas war.
Seine Brille wieder so eine Sache. Schon als kleines Kind musste er eine tragen, weil er ja so schlechte Augen hat. Was wurde er deswegen gehänselt .Brillenschlange war noch das netteste. Einmal haben  diese blöden Jungen aus seiner Klasse, er glaubte es war die zweite oder dritte Klasse die Brille weggenommen und sie herumgeworfen. Als ob er daran Schuld wäre. Ohne Brille, so ist Sebastian fest überzeugt, wäre sein Leben zwar nicht wesentlich anders verlaufen, ein Versager war er auch so, aber dafür um einiges leichter. Jahrelang war er die Brillenschlange gewesen. Niemand wollte mit ihm spielen. Irgendwann war es dann nicht mehr so schlimm aber egal. Wie gern wäre einer von denen ohne gewesen. Denen ohne Brille. Die, die gut aussehen und gut sehen. Mit Brille ist man automatisch hässlich, und ohne schön. Findet Sebastian. Es kommt natürlich auch noch hinzu, dass er besonders hässliches Modell trug wie er fand. Die dicken Gläser waren ein Grund. Als er sein erstes Geld verdient hatte kaufte  er die modernste und auch teuerste Brille. So eine ohne Ränder, die man auf den ersten Blick gar nicht erkennt. Aber genervt hat es ihn immer noch. Aber das ist jetzt auch egal. Er wirft die Brille von der Brücke. Er sieht den Aufschlag nicht, der Regen ist zu dicht, hört den Aufschlag nicht, der Wind ist zu laut.
Seine Arbeit hat er wie schon gesagt auch verloren. Die Sache mit seinen Eltern hat ihn so fertig gemacht, dass er nicht mehr richtig arbeiten konnte. Der Chef war großzügig und hat am Anfang Verständnis gezeigt. Dafür war Sebastian auch sehr dankbar und hat geglaubt wenigstens einer mag ihn. Aber nach vier Monaten war auch diese Großzügigkeit vorüber. Sie setzten sich zu einem ernsten Gespräch zusammen und sein Chef machte ihm klar wenn er sich sofort am Riemen reißen würde, hätte er gar keine andere Wahl, als ihn zu entlassen. Sebastian schaffte es nicht und wurde entlassen. Er hat seinen Chef verstanden, er hätte an seiner Stelle wahrscheinlich auch so gehandelt. Aber nach vier Monaten? War das die Zeit die man trauern darf? Vier Monate Trauer und neben der Spur und danach zack, wieder volle Kraft voraus?  Ihm war es eigentlich egal, er hatte die Arbeit sowieso nicht gemocht. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht nach einer neuen Arbeit zu suchen, man hätte ihn ohnehin nicht eingestellt in seinem Zustand. Nachdem er die Arbeit verloren hatte ist er schnell einsam geworden. Keine Freunde, keine Frau, zu seiner Familie hatte er den Kontakt abgebrochen. Sebastian begann über sein Leben nach zu denken und kam zu dem Schluss es sei sinnlos. Was ihn in Depressionen stürzte, die immer stärker wurden. Er versuchte seine Probleme in Alkohol zu ertränken, aber diese Bastarde konnten schwimmen. Anfangs hat er nicht viel vertragen, aber das änderte sich schnell. Irgendwann kam er auf die Idee mit dem Selbstmord. Es erschien ihm als einzige Möglichkeit. Er hat sich viel mit dem Thema beschäftig, Zeit hatte er ja. Selbstmord war nicht immer verpönt gewesen, in der Antike war es die letzte Möglichkeit seine Ehre wieder herzustellen. Sebastian hat nur das Pech nicht in derAntike zu leben. Er weiß auch, dass er zu den 10% von Selbstmördern gehören würde, die sich in den Tod stürzen, sollte er denn Erfolg haben. Ihm fällt ein, dass Camus auch gegen Selbstmord war. „Ach, scheiß doch auf Camus.“, denkt er. Er weiß noch so einiges über Selbstmord, aber in seinen Zustand wíll es inm nicht mehr einfallen. Seine Kleider sind mittlerweile pitschnass. Er ist bis auf die Knochen durchgefroren.
Letzte Woche ist ihm das Geld ausgegangen und er wurde aus der Wohnung geworfen. Eine Woche ist er durch die Stadt umher geirrt, irgendwo hat er noch Schnaps aufgetrieben, für Essen war er schon zu süchtig nach dem Zeug. Niemand hat ihm geholfen, obwohl doch bald Advent käme. Durch das umher irren hatte er Gewicht und Kraft verloren. Vielleicht würde er sonst nicht hier stehen. Er weiß niemand wird um ihn weinen. Er schluchzt bei diesem Gedanken. Der Regen fällt unaufhörlich weiter, nur durch einzelne Windböen unterbrochen.
Sebastian rafft sich für die letzte Aktion seines Lebens auf. Er beginnt auf das Geländer zu steigen. Es ist nicht leicht, alles dunkel und nass. Er schafft es schließlich. Für einen kurzen Moment schwankt er auf dem Geländer. Hätte ihn jemand gesehen, er hätte ihn für einen wagemutigen Zirkusartisten gehalten. Zweifel steigen in ihm hoch, soll er es wirklich tun?
Die Entscheidung wird ihm abgenommen, er rutscht aus. Er fällt, mit dem Gesicht voraus sieht er den Aufprall auf sich zu kommen. Der Sturz dauert nicht lang. Der Aufprall ist hart. Reglos liegt er auf dem Boden.
Der Regen prasselt auf ihn nieder. Wind spielt mit seinem Haar. Die Stadt schläft. Die Straßen und Brücken sind verlassen Nur eine Gestalt liegt auf der Straße. Einsam und verlassen. Einsam und verlassen liegt sie im Regen. Kalten Regen. Novemberregen.


Anmerkung von süßerMacho:

Sollte mal Teil eines Romans werden, jetzt zur Kurzgeschichte degradiert.

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Kommentare zu diesem Text

Stella (18)
(20.07.08)
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 süßerMacho meinte dazu am 21.07.08:
Danke fürs lesen und kommentieren.
Freut mich dass,dir die Verbindung von Anfang und Ende gefällt.Ich war mir nicht ganz sicher damit. Deshalb hab ich auch immer den Regen in die Geschichte gebracht, dass Anfang und Schluss nicht völlig losgelöst vom Rest sind.
Das mit dem Selbstmitleid: ich glaube auch es gehört schon eine gute Portion Selbstmitleid dazu um sich umzubringen. (Aber natürlich kann es auch andere Gründe geben)
Das Sprachliche: Ich hab den Text noch mal, überarbeitet und einige Korrekturen vorgenommen und hoffe jetzt alles richtig gestellt zu haben. Genitiv? Wos is´n des? ))
Und von solchen Kleinigkeiten wie Grammatikfehlern lass ich mir die Lust am Schreiben sicher nicht nehmen. Und von Grammatikfanatikern schon gar nicht
Schönen Gruß
(Antwort korrigiert am 21.07.2008)
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