Schlafenszeit

Kurzgeschichte zum Thema Sehnsucht

von  polytoxyc

Wie gut, dass ich morgen nicht aufstehen muss..., dachte sie sich und lehnte sich zufrieden in die Kissen ihres großen Bettes zurück. Es war lange her, dass ein Lächeln ihr Gesicht zieren konnte. Heute war es endlich wieder soweit. Mit ruhiger Bewegung legte sie ihren Füllfederhalter auf den Nachttisch rechts von ihrem Bett und betrachtete den Block mit dem schönsten Briefpapier, das sie je besessen hatte. Das creme-farbene Amalfi-Papier, mit hauchfeinem Silberrand, sah im Schein des Kerzenlichtes wirklich wundervoll aus. Sie hatte sich schon lange vorgenommen, ihrer Mutter zu schreiben, konnte sich aber nie überwinden. Nun, nach all der stressigen Zeit, die hinter ihr liegt, gab es doch endlich einen trifftigen Grund. Mal wieder von Hand zu schreiben verschaffte ihr ein ungewöhnliches Gefühl der Befriedigung. Und hätte sie wirkliche Freunde gehabt, dann würde sie ihnen mit Sicherheit auch noch geschrieben haben. Mit ihrem alten Füllfederhalter auf dem tollen Briefpapier, das jahrelang tief in einer Schublade verstaubte und nur auf eine passende Gelegenheit wartete.
Die letzten Monate waren wirklich hart für sie. Den Tag als ihr Dennis nach all den gemeinsamen Jahren ins Gesicht sagte „Es ist aus, ich kann das einfach nichtmehr“ würde sie nie vergessen können. Soviel hatten sie schon zusammen durchgestanden und jetzt das?! Oft hatten sie gestritten. Noch öfter haben sie sich wieder zusammengefunden. Warum können bloß Menschen, die sich so sehr lieben, manchmal einfach nicht miteinander reden? Die Vergewaltigung war auch nicht nur für sie schlimm. Es hat lange gedauert, bis er sie wieder berühren konnte ohne dabei Tränen in den Augen zu haben. Aber all das hatten sie zusammen durchgestanden. Und nun warf er all die Jahre mit einem einzigen Satz weg. Ein weit ausgeholter Schlag mit einem Vorschlaghammer auf ihren Hinterkopf hätte sie nicht härter treffen können. Dennoch war sie nicht böse auf ihn. Die Zeit heilt alle Wunden. Und nun wo sie zur späten Stunde in ihrem Bett lag, konnte sie beim Gedanken an ihn wieder lächeln. Wenn auch mit einer Träne im Augenwinkel. Nachdem sie bei ihm ausgezogen und die Stadt verlassen hatte, wurde alles schneller als erwartet besser. Jeder Schmerz vergeht mit der Zeit, so auch Herzschmerz. Und sie lernte die Floskel „Aus den Augen, aus dem Sinn“ wirklich schätzen.
Ihr neuer Job in Hamburg gefiel ihr eigentlich auch sehr gut. Die Tätigkeiten im Büro forderten sie richtig, so dass sie sich auch garkeinen freien Kopf hatte um weiter Gedanken an Dennis zu verschwenden. Sie musste zwar all ihre Bekanntschaften mit dem Umzug zurücklassen, aber knüpfte schnell Kontakt zu ihren Arbeitskollegen. Trotz ihrer ruhigen und sehr introvertierten Art fand sie sich diesmal schnell ein und war bei ihren Kollegen recht beliebt. So hatte sie nette Unterhaltungen, wenigstens im Büro. Wenigstens in den kurzen Pausen, die sie dort machten. Eigentlich war es der ideale Arbeitsplatz, wäre da nicht ihr Chef gewesen. In der ersten Zeit war er noch sehr freundlich zu ihr, fast unheimlich freundlich. Sie konnte garnicht fassen, dass sie endlich mal Glück in ihrem Leben haben sollte. Er griff ihr ständig unter die Arme und stand ihr bei Fragen immer zur Verfügung. Wenn er ihr etwas auf dem Bildschirm erklärte und sich über sie beugte um ihr die Handgriffe und Shortcuts auf ihrer Tastatur zu zeigen, kam er ihr zwar sehr nah, aber es war erträglich. Auch wenn sein Rasierwasser und der leichte Moschusduft äußerst unangenehme Erinnerungen in ihr weckte, widerte sie es nicht an. Noch nicht. Der Ekel kam erst, als er anfing ihr diese Blicke zuzuwerfen und ihr den Spitznamen „Mäuschen“ gab. Manchmal konnte sie seine Blicke durch die große Glastür des Büros regelrecht auf ihrer Haut spüren. Der Gedanke wie seine lüsternen Blicke über ihren Körper glitten und die kohärente Sicherheit, dass er sich dabei wieder ungeniert über die Lippen lecken würde, lösten eine unglaubliche Übelkeit in ihr aus. Es blieb nicht bei dem einen Mal, dass sie aus dem Büro rennen musste um sich zu übergeben. Als sie dann gestern Abend alleine im Büro waren und er sie auf den Schreibtisch drückte überkam sie wieder diese markerschütternde Übelkeit. Als sie würgend dalag und er seine behaarte Hand mit den Altersflecken unter ihren Rock schob, wusste sie, dass sie niewieder dort auf der Arbeit erscheinen würde. Morgen brauchte sie endlich nichtmehr aufstehen und sich dorthinquälen.
Trotz des Ekels, der ihren Körper kurz schüttelte und die samtene Bettdecke von ihrem Nachthemd rutschen liess, ging es ihr erstaunlich gut. Alle Formalitäten waren erledigt.
Nun war es endlich Zeit sich zurückzulehnen und das erste Mal seit ihrer Kindheit wieder zur Ruhe zu finden. Sie deckte sich wieder zu und strich mit dem Handrücken über den weissen Samtbezug mit den Rosen darauf. Er war so weich. Sie hatte sich immer gewünscht eine so weiche und zarte Haut zu haben. Fast unberührt, so unschuldig. Seufzend lehnte sie sich in das große Kissen und genoß den Augenblick. Die schöne Bettwäsche, die wohlig-warme Wärmflasche und das schummerige Kerzenlicht der Duftkerze beruhigte sie ungemein. Der Kieferduft, den die Kerze verströmte, erinnerte sie an ihre unbeschwerte Kindheit in dem kleinen Dorf, in dem sie aufgewachsen war und das sie nie hätte verlassen sollen. Das ganze Ambiente versetzte sie regelrecht in Trance und sie träumte. Sie wünschte sich in dem alten Wald zu sein, in dem sie als Kinder immer spielten. Sie stellte sich vor, ihr Bett stände mitten zwischen den Kiefern. Ja ich werde morgen endlich wieder dorthin zurück gehen, dachte sie sich, und dann werde ich da auch nichtmehr weggehen. Sie war froh, den ganzen Mist endlich hinter sich lassen zu können. Eins gab es aber noch zu erledigen.
Sie drehte sich langsam zur Seite, öffnete die schwere Eichenschublade ihres Nachttisches und griff wie gewohnt nach der braunen Schatulle, die sie schon so lange begleitete. Ein leichtes Kribbeln durchfuhr ihre Fingerspitzen, als sie sich mit geübten Griffen alles, das sie vorhin schon vorbereitete, zurechtlegte. Der leichte Adrenalinstoß holte sie ein wenig aus ihrer Trance, was schade war, aber nicht genug um sie aus ihren Träumen zu reissen. Die fünfache Überdosis. Das wird reichen. Es MUSS reichen. Sie legte die Brille noch schnell in das Etui auf dem Nachttisch und setzte die Spritze an ihren Arm. Als sie die Flüssigkeit in ihren Arm drückte, hielt sie den Atem an. Die Hitze, die durch ihre Venen schoss, entlockte ihr ein letztes Seufzen. Sie wollte noch die Kerze auspusten, konnte sich aber nichtmehr aufrichten. Ausserdem war es schöner, wenn es weiter nach Kiefern riechen würde. Als ihre Augenlieder langsam und zuckend zufielen schoss ihr noch ein finaler Gedanke durch den Kopf.
Wie gut, dass ich morgen nicht aufstehen muss...


Anmerkung von polytoxyc:

Gewidmet den wunderbaren Menschen, die den Freitod wählten und uns zurückliessen.

Die Erde dreht sich auch ohne Euch weiter.
Aber mit weniger Lächeln.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (04.01.20)
Zum Teil etwas arg detailverliebt, dann wieder eins ehr hastiges Erzähltempo, der Text hat keinen vernünftigen Rhythmus. Handwerklich recht sauber, aber das Wort "garkeinen" gibt es nicht.
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