Paulus wechselt die Schiffe

Tragödie zum Thema Abschied

von  loslosch

Endlich nun sah er die große Werft in dem Sonnenland
Lykien, hinter dem offenen Hafen von Myra.
Dutzende Schiffe in ungehobeltem Rohzustand,
Dockarbeiter, in Pausen bespielend die Lyra.

Schwerelos lag feinster Weizenstaub in der Luft.
Männer standen bald knietief in Körnerhaufen,
Atmeten ein von des frischen Getreides Duft.
Fluchten den Göttern, kamen beim Schaufeln ins Schnaufen,
Schaufelten schnaufend, gerieten raufend in Zorn.
Denkend an Artemis, die entblößte, bei sich,
Schaute er weiter auf diesen Speicher fürs Korn,
Schämte sich jenes Inbildes jämmerlich.                                                                                                                                                           
Götzen in Ephesus´ Tempel sie beteten an,
Lustvolle Menschen allhier an Kleinasiens Küste.
Nazarener, was hast du denn jenen getan?
Keine Verleugner; es fehlten ja ihnen Gelüste
Auf deine Botschaft - dem Götterhimmel so fern.
Selig, o selig die Sanftesten in dem Gemüte;
Dieses Beispiel zu geben probte er gern.
Ihm aber mangelte etwas an menschlicher Güte.

Geborener Streiter: Vermochte erst Ruhe zu geben,
Wenn sich des Tages Kreislauf neigte dem Ende
Mit seinem Zeugen und Sterben, ja tierhaften Leben.
Missionar, eng in Fesseln, an seiner Wende
Irdischen Seins, eskortiert von Miliz, via Rom.
Dort Kaiser Nero, der Wüter, das Ziel aller Endlichkeit;
Spürend dies schon seit dem ersten Start in Sidon.
Dazu die immer präsente römische Höflichkeit.

Schloss nun die Lider; da war so ein Glühen gelbrot.
Stieg in den wartenden Segler im nächtlichen Hafen,
Lodernde Kuppeln vor Augen - wie sicherer Tod.
Nickte Zenturio zu und legte sich schlafen.

Anm.: Nach einem freien Text von Durs Grünbein,
          SZ vom 11./12.1.2009; hier neu in Wechselreimen 
          (Daktylus, Pentameter) und symmetrischer
          Strophenlänge.

Zum Vergleich (Originalfassung Durs Grünbein):



Das letzte, was er von Lykien, dem Sonnenland, sah,
War hinterm Hafen von Myra die große Werft,
Dutzende Schiffe in ungehobeltem Zustand,
Und das erstaunlich große Getreidelager.

In der Luft lag der duftende Weizenstaub.
Männer standen knietief in den Körnerhaufen
Und fluchten den Göttern, während sie schaufelten,
Schnaufend schaufelten, in den Pausen wild raufend,
Daß es nur so stiebte bis übers Dach des Granariums.

Er dachte an Artemis, die obszöne, vielbrüstige,
Die sie oben in Ephesus im Tempel anbeten mußten,
Und er schämte sich des Gedankens wie auch
Des kindischen Sinns dieser Leute und schüttelte sich.

Es ging ihnen gut hier, vielleicht allzu gut,
Den Menschen in den Küstenstädten Kleinasiens.
Das scherzte, flachste noch bei der härtesten Arbeit.

Was aber wußten sie von ihm, der da kommen wird?
Von ihm, der schon da war; und keiner trat vor,
Der ihm beistand? - Nur Jünger, Verleugner.
Wußten sie, wie das ist, auf eigenen Füßen zu stehn?

Leicht war die Luft hier, und das Leichte gefiel ihm
Wie alles, was unter der Sonne gedieh, Halm und Vieh.
Selig sind die Sanftmütigen, hörte er sich oft sagen.
Doch er selbst war noch längst nicht so weit.

Der geborene Streiter: er konnte nicht Ruhe geben,
Eh nicht der Tag unterbrochen war und der Kreislauf
Blinden Zeugens und Sterbens, tierhafter Fruchtbarkeit.
Darum ging er in Fesseln, ein Missionar, eskortiert
Von Miliz, die ihn nach Rom überführte zum Kaiser.

Nero hieß dieser, Nero. Er hatte von ihm gehört.
Man war freundlich zu ihm. Die römische Höflichkeit,
Er bekam sie zu spüren bei jedem Landgang seit Sidon.

Wenn er die Augen schloss, war da ein Glühen, gelbrot
Hinter den Lidern, ein Sonnenton, Honigton.
Er sah lodernde Kuppeln, sah Lawinen von Gold.
Dann bestieg er den Segler aus Alexandria, nickte
Dem Hauptmann der Kohorte zu und legte sich schlafen.

                                - . - . -


Anmerkung von loslosch:

Originaltext Durs Grünbein. Nur so ist ein kritischer Vergleich möglich.

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Kommentare zu diesem Text

Elvarryn (36)
(25.01.09)
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 loslosch meinte dazu am 25.01.09:
Danke. Die "andere Erzählform" gibt es ja schon (Durs Grünbein: freie Form).Sie steht unter meinem Text. Die wollte ich mal toppen... Am Original stört übrigens auch das allzu ambitionierte "granarium" (lat. für Kornspeicher). Umgekehrt ersetzte ich "Hauptmann" (Schlusszeile von Grünbein) durch Zenturio (steht im Duden!). loslosch

 loslosch antwortete darauf am 07.05.09:
Danke dem Gruß-August.

 Bergmann (05.09.10)
Mal finde ich loslosch besser, mal Grünbein. Eine beachtliche Verreimung! LG, Uli

 loslosch schrieb daraufhin am 05.09.10:
Das ist immer noch nicht völlig inversionsfrei. Die Bearbeitung rückte meinen Text nach oben. Warum bearbeitet? Ich las Deine Buchempfehlungen auf Deiner Profilseite, war überrascht vom Hinweis auf Durs Grünbein, rannte zu meinem Oldy und befreite ihn von Inversionen. :) Lothar

 Bergmann äußerte darauf am 05.09.10:
Darüber bitte mündlich mehr.
U.
Graeculus (69)
(11.06.14)
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 loslosch ergänzte dazu am 11.06.14:
siehe unter "genre" (alle texte loslosch): gedichte, lehrgedichte, naturgedichte. ein anderer schwerpunkt waren palindrome. zu finden unter lehrstücke, experimentelle texte. mir gefällt "Palindromische Dialektik".
Janna (66)
(25.09.16)
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 loslosch meinte dazu am 25.09.16:
er hat aber, wie mir im april 2009 auffiel, überall die kv-gäste begrüßt. sein kommi ging glatt an der problematik vorbei. kein wunder, wenn er täglich seinen anmutungshof hielt.
Janna (66) meinte dazu am 25.09.16:
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