der stern

Kurzprosa

von  Zeder

am nachmittag serviert er kaffee. wo anton heute ist, fragt er den alten, der am fenstertisch sitzt (immer am fenstertisch). tot sei er, antwortet dieser. - tot? - gefallen. - gefallen? wann? - vor über sechzig jahren schon. war viel zu begeistert vom krieg, es ging schnell für ihn, er hat den sturz nicht erlebt.
er wendet sich ab und murmelt weiter in die tasse gebeugt und die jahre liegen ihm verstaubt und sicher verschnürt auf dem greisenrücken. später wird er einen cognac bestellen, wenig später noch einen und wenn es dunkel ist wird er sagen: ach, schon so spät!, sich geduckt aus der tür drücken und beim läuten leicht zusammen zucken. - bis morgen dann! - ja, ja.

abends malt er sie. mit dünnen, unsicheren strichen formt er mund und nase und schämt sich, weil beides misslungen ist. er reißt das blatt heraus und beginnt von neuem und irgendwann malt er nur noch ihre augen, und sie blicken auf ihn, nur auf ihn, bis er schläft, und dann träumt er von den augen, nur von den augen und es scheint ihm stundenlang. er kann kaum erwarten, dass sommer ist und sie auf ihrem balkon sitzen wird: luise. oder esther? vielleicht deborah. manchmal lilith.
den winter verbringt er mit briefe schreiben, wenn er abends allein im zimmer sitzt und man durch das fenster nur den lauen, wohlig gelben kreis sieht, den die laterne in den schnee schneidet. er merkt dann, wie viel er eigentlich zu sagen hätte und sieht sich tastend in der welt verbleibend, aber er kann eigentlich nicht finden, dass er traurig ist, nein, das nicht. alleine vielleicht, und sehnsüchtig. wenn man immer nur an sich selbst gerät, dann formt man sich schmerzhaft, formt man sich scharf und ungenau, wie ein bild, das man niemals einem anderen zeigt und deshalb nie zufrieden damit wird, bis man es zerreißt. man muss sich selbst ventil werden und die wut, die der mensch braucht, die richtet sich falsch und die liebe, die der mensch braucht, greift ins eigene herz und verglüht daran - nur mit glück kann man die liebe in die welt lenken und geben lernen, aber man sieht in keinen augen, was nehmen ist. man ist sich größter freund und größter feind und wenn man zerbricht in dieser welt, dann nur an sich selbst, anders nie.

ob er schon gegessen hat. - ja, ja.
es ist warm heute, ein erster warmer tag im jahr. der wind ist warm, die sonne scheint ein wenig und schon als er aufwacht, weiß er: er wird luise sehen, oder esther, oder deborah. nachmittags schlüpft er in die schuhe. - also, hast du schon gegessen, junge? - ja, mutter. und er murmelt etwas von spazieren gehen und schließt die tür hinter sich.
er trägt ein klopfen in der brust, auf das es der ganzen winter wartete und über das er schrieb, endlose briefe schrieb, die unter seinem schmalen bett verstauben, ohne dass die worte auf den blättern entfaltet wurden, in die augen strömten, in die sie gehören. er trägt ein klopfen in der brust und klopft nun takte mit seinen holzsohlen dazu, als er die straße hinab läuft, um die linke ecke biegt, noch ein stück geradeaus, an dem supermarkt vorbei und an dem kleinen café und da oben: da schaut ja ihr kopf schon aus dem fenster und sieht in die birke hinab, da träumt ja der blick schon von sommer, da wehen die haare in geschlossenen räumen, so wie es sein sollte, da lächelt ein mädchen, wie die welt lächeln würde, wie gott lächeln würde, so wie es sein sollte: luise.
nachts rücken scheinwerfer auf ihn zu und schneiden einen kegel in die dunkelheit. - geh nach hause, junge. sagt einer. er rührt sich nicht. zwei türen knallen, - junge? geh nach hause, du hast hier nichts zu suchen. dann - wo wohnst du?
und er nimmt am rande den wagen wahr in dem er sitzt, das klingeln an der tür, die mutter, die tobt, der bruder, der heult, die decke, die die wärme für ihn hält, als er schlafen soll.

- du kannst mich ruhig vater nennen, junge. sagt der fremde am tisch. die mutter strahlt und legt ihm die hand auf die schulter. - heinrich ist architekt, sagt sie und spricht das aus, als ob jetzt alles gut werden würde, als ob jetzt alles zurückkommen würde, was ihnen genommen wurde. und heinrich streckt bei diesen worte seinen brust hervor und zwinkert der mutter zu. - wir werden uns gut verstehen, der junge und ich. und die mutter hält stillend den bruder im arm und hängt sich mit dem anderen an heinrich, der prächtig strahlt, wie eine adonisfigur, der retter, der held, so wie es ab jetzt immer sein wird. - es ist nun alles besser, wird die mutter murmeln, morgen noch und in zwei jahren vielleicht, aber es wird leiser werden und in drei jahren wird sie zusammen zucken, wenn man sie anspricht und sich im haus verstecken um ihre wunden zu lecken. - nenn mich nicht vater! - ja, ja.
- darf ich schon schlafen gehen, mutter? - er ist so schüchtern, heinrich. mein lieber junge.
wie sie noch strahlen.

die glocke läutet einmal.
- bring cognac, junge. die stimme knallt heute herrisch durch den raum. - natürlich. wie geht es anton? - wie es anton geht? wie immer. ist ein alter knabe. der krieg hat ihn mitgenommen, er spricht nicht mehr viel, aber er lebt. das können nicht mehr viele von damals sagen, junge. fürchterliche zeit. hat seelen zerrissen, diese zeit. prost, anton.
und das glas hebt sich in den leeren raum und der alte lacht und kippt den cognac runter. - noch einen, junge. auf dich, anton.

manchmal nimmt er morgens, wenn er das haus verlässt, einen von den briefen mit, die er schrieb, in der hoffnung, dass er ihn irgendwie doch in den briefkasten werfen könnte. und er stellt sich vor, sie würde dort am balkon stehen und die zeilen überfliegen, sich dabei eine braune strähne aus dem gesicht streichen und immer bei dem wort "liebling" würde sie ihr lächeln formen und nach dem lesen wird sie plötzlich auf ihn herab sehen, ihn unter all den menschen, die da laufen, finden und erkennen. da weiß er: sie muss einmal meine frau werden.
aber immer, wenn seine augen den glänzenden briefkasten erreichen, wendet er und geht nochmal die straße auf und ab und wenn er dann wieder vor ihm steht und ihn schon fast berührt, dann sieht er plötzlich all den dreck unter seinen nägeln, die poren seiner haut, die so dämonisch erscheinen, die dreckige farbe seiner hose, der schmutz an seinen schuhen und er schämt sich dann so sehr, dass er nach hause rennt und duscht und duscht, bis die mutter vor der tür steht und schreit. und nun ist es manchmal auch heinrich, der da schreit und hinter seinen worten steckt dann: das ist mein geld, das du da in den abfluss treibst, dreckiger junge.
dreckig, ja. ich will mit, ich will mit da hinunter.

nun ist der fenstertisch leer, schon seit wochen. sie fingen nach ein paar tagen an sich zu fragen, wo der alte steckt und da merkten sie, dass er seit jahren kommt, aber niemand weiß, wie er heißt und wo er wohnt. und sie dachten: vielleicht haben sie ihn eingesperrt, ihn und seinen anton. es wäre ja besser.
dann lasen sie es in der zeitung.
wenn man zerbricht in dieser welt, dann nur an sich selbst, denkt der junge. und auf dem grabstein liest er, dass der alte anton hieß. auf dich, anton, sagt er.
und irgendwo am horizont leuchtet ein stern, als er sich dreht. luise.

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Kommentare zu diesem Text

Elvarryn (36)
(15.03.09)
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 Zeder meinte dazu am 15.03.09:
danke. die dialoge sind aber sehr sorgfältig unsorgfältig behandelt worden. das muss schon so sein.
(Antwort korrigiert am 15.03.2009)

 star antwortete darauf am 15.03.09:
ja ja, immer diese unzähmbare jugend ... ts ts..
ich mag's auch, das Text, wobei wie gesagt noch nicht alles erfassst und ganz schön lang für mich
lgstar
Elvarryn (36) schrieb daraufhin am 15.03.09:
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 Zeder äußerte darauf am 15.03.09:
ich hab schon verstanden, dass es dir um die form ging ;)
aber mir geht es ja auch um die form. und zwar geht es mir darum, dass die dialoge verwischen müssen, wie die personen, wie die welten da im text. kann natürlich deine argumentation verstehen. danke dafür.
Elvarryn (36) ergänzte dazu am 15.03.09:
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 star meinte dazu am 15.03.09:
na besprecht das mal ihr beiden ... ich mach mir mucke an und suche mir 'n Gedicht ....lgstar

 Zeder meinte dazu am 15.03.09:
hihi. haben wir doch schon!
ach - dabei passt doch der name des textes so schön zu dir, lieber star. aber danke dir fürs vorbei schaun, herr poet, und fürs lesen, obschon der immensen länge des textes ;)
lg
neinneigung (33)
(15.03.09)
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 Zeder meinte dazu am 15.03.09:
du, ich danke dir. es rührt und ehrt mich und ich bin dir immer gerne eine frucht, jederzeit, überall.

ps: das kam mir irgendwie bekannt vor... ;)
neinneigung (33) meinte dazu am 15.03.09:
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Data-LAB (37)
(05.05.09)
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