Lebenszeichen

Roman zum Thema Suche

von  Mutter

Vorsichtig ging sie zurück, von wo sie gekommen war, aber sie konnte nur wenige Schritt weit sehen. Als sie einen Moment stehen blieb, umhüllte sie sofort das weiche Weiß. Sie hatte keine Chance, Bragos zu finden. Da sie nicht wusste, in welche Richtung er gegangen war, würde sie wie er unter dem Schnee begraben werden. Turan hatte vermutlich recht - aber Savena ebenfalls. Bragos würde die Nacht hier draußen nicht überlegen.
Während sie dastand und eine schmerzhafte Wehmut in sich aufsteigen fühlte, sah sie plötzlich ein schwaches Licht vor sich. Stetig wurde es größer und kurz darauf erkannte sie Ingiano.
Sich unsicher leicht auf und ab bewegend, schwebte er vor ihr in der Luft, und sein goldenes Licht ließ die Schneeflocken, die ihn berührten, verdampfen. Mit einem Lächeln streckte sie die Arme aus, und er kam sofort näher, bis ihre Arme komplett von seinem Licht umgeben waren.
‚Kannst du mich zu Bragos führen?‘ fragte sie, und konnte Ingianos positive Antwort spüren. Sofort schwebte der kleine Ball weiter, und, ihren Überschwang bremsend, folgte sie ihm vorsichtig. Er mochte ihr die Richtung zeigen, und sie zu Bragos führen, aber ihre Füße setzen konnte er nicht, und sie hatte wenig Lust, bei diesem Rettungsversuch sinnlos abzustürzen.

Auf dem Plateau angekommen, auf dem die anderen von den Bergbewohnern angegriffen worden waren, bedeutete ihr Ingiano, nach unten zu klettern. Sie ließ sich über den Rand herab und tastete sich vorsichtig tiefer. Der scharfe Wind zerrte an ihr, und mehr als einmal musste sie sich heftig festklammern, um nicht in die Tiefe zu stürzen. Obwohl die Anstrengung sie warm hielt, konnte sie ab und zu den eisigen Biss des Windes spüren. In solchen Momenten blieb Ingiano dicht bei und sie konnte seine sanfte Wärme fühlen.
Als sie endlich den Vorsprung erreicht hatte, auf dem sie mit Lerik gewartet hatte, fiel ihr erst auf, wie dunkel es geworden war. Ingianos Licht ließ sie es kaum merken, aber das hieß, dass es für Bragos sehr gefährlich wurde.
Entschlossen folgte sie ihrem Vertrauten auf dem Pfad, den sie mittags genommen hatte, aber nach ein paar Schritten nahm ihr leuchtender Führer eine andere Abzweigung. Savena beschleunigte etwas ihr Tempo, als der Weg breiter wurde. Sie musste noch einen Abschnitt in der Wand kletternd überbrücken, bevor sie sich zurück auf dem Pfad befand, und kurz darauf von Ingiano zu einem Schneehaufen direkt an der schwarzen Felswand geführt wurde.
Ahnend, was sie dort finden würde, kniete sie nieder und schüttelte und klopfte den Schnee von dem lethargischen Bragos. Am Ende seiner Kräfte, völlig unterkühlt, bemerkte er nicht, dass es Savena war, die ihn gefunden hatte.
Unfähig, eine Reaktion bei ihm hervorzurufen, konnte sie fühlen, wie ihre Augen feucht wurden. Savena wischte sich zornig mit ihren Fäustlingen über das Gesicht. Sie schrie ihn an, schüttelte ihn, bekam aber nicht mehr als ein müdes Stöhnen als Antwort.
Sie bemerkte Ingiano, der die zwei beobachtete und, einer plötzlichen Eingebung folgend, konzentrierte sich auf ihn. Ihr Vertrauter schien sie zu verstehen und näherte sich Bragos. Sein Leuchten wurde schwächer, als es sich ausbreitete und den Bewusstlosen einhüllte. Nach einem Moment konnte Savena Ingiano nicht mehr wahrnehmen, und bemerkte stattdessen, dass Bragos einen goldenen Glanz abzugeben schien. Kurz darauf schlug er die Augen auf und sah verwirrt zu Savena auf.
Sie erklärte ihm, wie sie ihn gefunden hatte. Vorsichtig griff mit ihrer Magie nach ihm, um die Stellen seines Körpers wie Lippen, Zehen und Finger, die die Kälte beschädigt hatte, zu heilen. Bragos wollte sich wehren, aber sie ließ keinen Widerstand zu.
‚Wenn nicht um deiner selbst willen, dann für mich. Wie willst du mich beschützen - mit abgefrorenen Zehen und einer halben Hand?‘
Bragos murmelte etwas und ließ sie gewähren. Ingiano hatte sich von dem Mann gelöst und hüllte sie nun beide in sein warmes Licht ein.
‚Ich denke, wir sollten uns auf den Rückweg machen. Hier draußen kann es nur schlimmer werden.‘
Sie wollte sich abwenden, als sie Bragos‘ Hand auf ihrem Arm spürte.
‚Es tut mir leid, Herrin. Ich hätte darauf vertrauen sollen, dass Ihr den Weg zurück findet. Stattdessen habe ich mich hier draußen töricht verlaufen, und Ihr musstet mich retten. Verzeiht mir.‘
Savena lachte und zog Bragos mit sich mit. ‚Schon gut. Ich hatte Glück, dass Ingiano zurückgekommen ist. Ohne ihn hätte ich dich nicht gefunden und Turan hätte morgen bei Tagesanbruch zwei Schneehaufen auf seinem Weg gefunden.‘

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