Gefangen in der eigenen Welt - Demenz

Text zum Thema Alter

von  Momo

„Da seid ihr ja“, sagte sie, als sie die Tür öffnete und mich mit einem fremden Blick anschaut. „Haben Sie Blumen auf dem Balkon, die Sie entsorgen möchten“, fragt mein Kollege sie.
Wir haben den Auftrag bekommen, an jeder Appartementtür im Altenwohnheim zu klingeln, die wie Perlen auf einer Schnur an einem langen Gang aufgereiht sind.

Die Frau ist noch gar nicht so alt, höchstens Anfang 70, eher Mitte 60, sie wirkt ein wenig verwirrt. Sie schaut uns an, „nein“, sagt sie brüskiert, „davon weiß ich nichts. Ich weiß von keinen Blumen.“ „Sie haben also keine Blumen“? „Das weiß ich nicht, das macht alles meine Tochter.“ Und zu mir gewandt, mein Kollege war schon weiter gegangen, „aber dahinten“, sie deutet ans Ende des Flures und schaut mich verschwörerisch an, „da gehen immer welche.“
Ich fühle mich für einen Moment hilflos. „Ja“, sage ich, „die Leute gehen spazieren hin und wieder. Es ist alles in Ordnung. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.“ Ich entferne mich und denke, dass sie kein Wort verstanden hat von dem, was wir von ihr wollten.

Und eines weiß ich jetzt ganz sicher nach den paar Tagen im Altenwohnheim, ich möchte einmal, wenn ich alt bin, in keinem Altenheim wohnen, auch wenn es noch so komfortabel geführt wird. Und ich möchte auch nicht so alt werden. Vielleicht hat ‚der liebe Gott’ ja ein Einsehen mit mir.

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Kommentare zu diesem Text

chichi† (80)
(19.08.09)
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 Momo meinte dazu am 19.08.09:
Nach diesem Erlebnis dachte ich darüber nach, wie es sein muss, allein in seinem schönen Appartement zu sitzen in einem riesigen, anonymen Altenwohnheim und nichts mehr zu checken, aber vielleicht ist die Krankheit ja so gnädig, dass man das auch nicht mehr checkt.
Ich hab mal gelesen, dass ein kritischer, Anteil nehmender Geist zwar vor Demenz nicht hundertprozentig schützen kann, aber zumindest vorbeugend wirkt.
Vor einiger Zeit sah ich ein Interview mit der Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich, die ja auch schon recht betagt ist, aber in ihrer dynamischen Ausstrahlung und geistigen Beweglichkeit noch sogar vielen jungen Leuten überlegen ist. Alter muss nicht zwingend etwas mit geistigem Verfall zu tun haben!

Ich denke, die wachsende Zahl an Demenz erkrankter Menschen zeigt, dass es auch eine Krankheit der Gesellschaft und unserer Zeit ist.

Man kann dem Schicksal nicht in die Karten gucken und das ist auch ganz gut so, aber es ist immer das eigene und deshalb genau passend und richtig. Von daher muss man sich nicht zu sehr sorgen vor der Zukunft, meine ich. :)
Danke für deinen Kommentar und Extra, Chichi.

L.G.
Momo
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