Leben be-ver-hindern!

Text zum Thema Behinderung

von  Feuervogel

Stell dir vor, du erwachst in deinem Bett und kannst dich nicht bewegen. Du wartest bis jemand kommt, der dir hilft dein Bett zu verlassen, jemand der dich in deinen Rollstuhl setzt und dich ins Bad begleitet. Dort wirst du geduscht oder gebadet. Jemand berührt deine Brüste und deine Genitalien. Er wäscht dir die Haare, vielleicht hektisch, vielleicht ruppig. Er macht schnell, denn es warten noch andere darauf gewaschen zu werden. Genießen kannst du dies nicht. Dann wirst du angezogen. Heute streift dir jemand den roten und nicht den grünen Pulli über.
Stell dir vor, zum Frühstück gibt es heute Käsebrot, du aber willst heute mal eines mit Marmelade. Doch du musst essen was auf den Tisch kommt.
Stell dir vor du bist traurig, vielleicht weil du einsam bist, oder weil du jemanden vermisst, oder dich jemand verletzt hat. Du fängst an zu weinen, doch zum Trost nimmt dich niemand in den Arm, sondern weil du so unruhig wirkst bekommst du deine Bedarfsmedikation.
Stell dir vor, du hast in der Stadt im Schaufenster einen rosa Plüschhasen gesehen, und den möchtest du haben. Aber es wird dir gesagt, du hast doch schon so viele Plüschtiere, den brauchst du doch gar nicht. Geld hättest du, aber du darfst es nicht so ausgeben wie du es möchtest.
Stell dir vor, du möchtest Torte essen am Nachmittag und es kommt jemand der dir sagt, heute sei doch nicht Sonntag.
Stell dir vor, du willst nicht in die Kirche oder in die Stadt oder auf einen Ausflug, doch du musst mit, denn alle anderen von deiner Wohngruppe müssen auch mit. Du kannst nicht einfach im Zimmer bleiben.
Stell dir vor, du möchtest abends ausgehen, vielleicht mal ins Kino oder in eine Kneipe, aber genau heute geht es nicht, denn da ist niemand der dich begleiten kann.
Stell dir vor, du sitzt auf dem Sofa den ganzen Vormittag und schaukelst so vor dich hin. Niemand setzt sich zu dir, niemand redet mit dir, denn die Zeit ist knapp.
Stell dir vor, du kannst nicht lesen, doch du weißt in all den Büchern stehen so viele Geschichten, die du kennenlernen möchtest, aber da gibt es niemand der sich für dich Zeit nehmen kann um dir vorzulesen.
Stell dir vor, du möchtest deine Ruhe haben, doch den ganzen Tag dudelt das Radio oder es sind immer Menschen um dich herum, die deine Grenzen überschreiten. Wirst du agressiv, wundern sich alle, aber niemand versteht warum du so bist.
Stell dir vor, du willst selbstbestimmt leben und es kommt jemand der dir ständig sagt, wie du dich verhalten sollst. Der weiß immer besser, was gut für dich ist und gestattet dir nicht eigene Erfahrungen zu machen. Dies würde eben beinhalten, dass du Fehler machst, aber die machen andere die es besser können müssten als du doch auch.
Stell dir vor, du müsstest immer fragen wenn es um irgendwelche Entscheidungen geht, denn dir traut niemand zu, dass du auch einmal etwas ohne andere Hilfe richtig machen kannst.
Stell dir vor, alle denken du bist unselbständig, doch du möchtest ziegen was du kannst und was in dir steckt, aber das interessiert niemanden, denn das was immer galt für dich, gilt auch noch morgen.
Dein Leben wird bestimmt von anderen und so wirst du dich nie entfalten, nie zeigen können wer du wirklich bist, dich nicht weiterentwickeln.
So wirst du bleiben der oder die du immer warst, wirst dich in dir selbst verstecken und der Welt verloren gehen. Du möchtest zeigen wer du bist, aber das interessiert niemanden wirklich, da ist niemand der an dich glaubt, niemand der für dich kämpft. Im Gegenteil, dann wenn du aufbegehrst, dann wenn du auf deine Rechte pochst, dann wenn du laut wirst, oder manches boykottierst, dann musst du einmal mehr zum Arzt oder das Leben der Selbstbestimmung wird gestrichen und du wirst niemals frei sein, der zu sein der du bist.
Stell dir das einmal vor, und dann sage dir, so wie ich selbst leben möchte, so wie ich selbst behandelt werden möchte, so wie ich mich zum Ausdruck bringen möchte, diese Rechte, die ich für mich einfordere, all diese Rechte gestehe ich auch denen zu, die ich betreue.

Behandle die Menschen, die dir anvertraut wurden, so wie du selbst behandelt werden möchtest und die Welt kann ein kleines bisschen heller und heiler werden.

Michaela Möller

Anmerkung von Feuervogel:

Für Alle die in der Behindertenhilfe arbeiten!
Besonders aber für die, die Ihnen ausgeliefert sind!

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Kommentare zu diesem Text

unicum (58)
(23.11.09)
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Buntspechti (22)
(23.11.09)
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ambienta (52)
(25.11.09)
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Skandia (43)
(01.12.09)
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 Feuervogel meinte dazu am 01.12.09:
Danke Skandia,
der Text fiel mir ein, da ich selbst in der Behindertenhilfe arbeite und sehen muss wie unflexibel oft die "Mitarbeiter" sind wenn es um die Selbstbestimmung eines Menschen mit Behindeung geht. Erwachsene Menschen die im persönlichen Budget leben, kann man einfach nicht gängeln wie Kindergartenkinder, sonst muss man sie im Heim auf einer Wohngruppe belassen..und selbst da sollte viel mehr Freiheit und Selbstbestimmung herrschen. Ich bin froh, dass an neuen Strukturen gearbeitet wird. Aber alte Wege verlassen ist nicht einfach! LG Ela

 franky (27.03.10)
Hi liebe Ela,
Wenn jemand nur noch mit den Augen einen PC steuern kann und er schreibt nicht Lobeshymnen über die Pflegenden, dann wird das Gerät einfach abgestellt und als zu mühsam in den letzten Winkel geschoben. Unglaublich aber Wahr!
Du legst den Finger in eine brennende Wunde.

Herzliche Grüße
und gute Wünsche für das Wochenende um eine Stunde kürzer

von

Franky:))
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