Carcer

Text

von  Akzidenz

Förmlich lassen sich noch die Fluenten dieser rächenden Gemäuer spüren,
zwischen denen einst nur Gärten ruhten. Ich stelle mir die Kerker vor, die vor mehr als hundert Jahren unter diese Ökosphäre verbannt wurden; es werden sich wohl immer noch ein paar Nematoden, einige vielzellige Gestalten von Aaltierchen und Parasiten unter diesen wundersamen Gefilden befinden, weil hier einst die Guanchen, die unter dem reißerischen Despotismus Perazas zu Grunde gingen, in enge Erdlöcher gesperrt wurden; aus ihren Überresten müssen sich die paar Salzmieren an der Spitze, die Halophyten in den Ecken des Mauerwerks gebildet haben. Es ließ sich eine Unterwelt im Kerne dieses Orts vermuten. Ein Besuch in den Ruinen zeigt uns die Studien des Geistes auf: ein Philotechnos, reich berauscht vom nymphenhaften Schöngeist seiner viel zu liederlichen Meträsse, sorgte unserem Allgemeinwohl wegen, für ein spannendes Exzerpt aus Lovelocks Gaia, und es schien mir süffisant, dazwischen Demut anzusinnen: zu oft hat man mich wissen lassen, dass das Leben auch an diesem Ort keiner tieferen Andacht Vorschub leistet, und man die habituative Kraft jener irdischen Gewohnheiten bei Leibe nicht scheint abzulegen, nur weil man seine Füße auf das Metakosmion gesetzt hat. Dieser Zitierende schaffte es sogar sanftmütig zu erscheinen, nachdem man ihn gehört hatte, und es ließ sich nicht vermeiden, hernach in eine Ruhe einzukehren, die nur etwas wie Memento, eine Anrede auf Qualitäten, ein Beileid, eine Mahnung an verborgene Sinne affiziert hätte. Es war eine Heimlichkeit, für die nur Unbekannte offen genug stehen; sie mahnen ein Geheimnis in der Mitte ihres Herzens, das nur ein Fremder, El Salvador, der Heiland zu entschleiern fähig.    Man kann den Charakter dieser Gastschaft abschreiben: sie stehen in den Stellen, von denen Altkanarier zu Olims Zeiten wohl einen Gott behauptet hätten, erkannt waren, wider jede Grämlichkeit heimlicher, berechtigter Besuche. Hinter den Speltzäunen, die vermutlich schon seit Urzeiten, die Gräber  und Geheimnisse hüten, waren wir Gärtner wider Willen; wer ließe sich dafür beduseln, verstimmen, ehe er nicht verstünde, wo hier ihr Reiz, ihre Venustas hergegeistert ist? Die Hexenmeister solcher Orte lassen sich in ihren Besuchern rechnen; so doketisch streift ihr Blick bisweilen noch einander wundernehmend, fragend, was wir anfangen hiermit? Und jeden Menschen reizt es dafür. Man sieht es an diesen dolomitischen Schauplätzen, die den Kult seit Jahren nicht verloren haben, vom Lokalkolorit des amerikanischen Regionalismus bis in die verdorbenen Kerker La Gomeras, die wir besichtigen, weil ihr Brodem nie verduftet ist, und ihre Mauern in das Festland schreien; man stelle sich die Orte vor, sie sind immer nur befüllt mit Menschen, die den Grund dafür zu kennen scheinen.

An jenem Morgen war mir anders. Ein Unding, wie das Ausstrahlen dieses Ortes in einem Wort zu sagen wäre. Die Natur scheint mir von Tag zu Tag etwas anderes zu bedeuten. Sie fächert die Figur des Kaufmannes zu einem stinkenden Herbarium, und vielleicht, da erweckt sie auch in rechter Höhe, den Blutdürstigen, den Häscher, den Vatermord in großen Kindern. Was sage Ich dafür? Das Meer sei nicht ganz so leer? Leer mit Menschen und Ambronen, eine Vielzahl, die mir das Gespräch vermiest. Was nennen sie doch vielerlei darüber, was beschaut: diese Aura, dieses Fluidum,die Atmosphäre, welche in Wahrheit nicht so lange dauert, wie der Gott, der in ihnen angefangen, und jedes, das sie aussprachen, gewissermaßen die kabbalistischen Lehren überdauert hätte. Man kennt das Bild des travestieren Erdmondes aus Le Voyage dans la Lune; jedoch! William Adolphe Bouguereau, das war ein Künstler! Dieses Mannes Werke sind proleptisch, Urbilder längst verdeckter Apotheosen, die Quellen in mir drin, Auferstehungen, Verzücktheiten, Pieriden, amöne Liebesgöttinen, Nymphen, Musen, attische Sagen, hellenistische Würde. Sie wurden in das Herz gemalt. Ich bin mir sicher, sie seither im Selbstbewegten ein Vorwissen ergründet zu haben zu wissen, welches in periculo, im Mutterleib verpflanzt ist; eine psychosomatische Bedingung jeder trächtigen und runden Frau, dieses V o r g e b u r t l i c h e. Es ist eine Frage der Scotisten, die Antinomie des Individuum est ineffabile , warum die Trautheit eines Traumes jedwedigen selbstischen, unveräußerlichen, intrasubjektiven Sentimenten vorauszugehen scheint, und er in jeder Menschenseele allenfalls denselben Kummer bergen muss. Warum stellt sich alles Nahtlose dieser Welt für derartig schleierhaft heraus? Ist es nicht, dass jedes Gesehene, wenn auch nicht Replizierbare, nur ihre Abkunft, ihre Atmung über die Instrumentierung eines Dinges loslässt, wie der Versuch, ein orchestrales Werk zu pfeifen? Man ist so sehr im Schaden darum, dass die Gewissheit über das Verborgene nicht wenigstens einzudeutschen, wenigstens einzukünsteln wäre, ja nicht wenigstens in aller Welt etwas bedeuten könne, dass man nichts davon mehr anhören mag. Es fehlt der exoterische Gradus in der Melancholie. Ein höchliches Dasein im Getümmel, das sich irgendwann mit der Weisheit lukrierte, woher die schönen Orte kommen mögen, an die wir uns nicht recht erinnern. Aus keinem wegweisenden Grunde könnte Ich jenem Geruche der Strandkiefer nachsagen, was er all dem Nerv entboten hätte, für welchen wir den olfaktorischen werden nennen wollen. Meine klastischen Freunde, unnahe des Quarzes. Meine Pseudoosmie. Wie wollen sie Worte riechen lernen, als wenn sie nicht im Geiste übrig, göttlich oder blutvoll wären? und anderwärts, im Herz verankert: und dass es Zweck mit allem hat, seit der Niederkunft auf Erden selbst; und es ist jene Äquilibration, jene Begrifflichkeit darin, die wir uns kraft der Worte ansehen lassen, eine weithin gastfreie dafür, was sie vom Begriffe scheiden. Diese Semiotik, die Worte und die Orte, Grund derer wir uns ansehen lassen, zartfühliger werden: es ist Eurybia, die weithin Gewaltige vom schönen sommergrünen Morgen, deren Göttin, deren Wunder, nur der Gleichsinn ihres Herkommens ist. Und Ich wusste, an jenem Morgen war der Stamm vorüber, der wie ein Findling in den Wiesen da lag.

Und läge die Straße nicht dazwischen, könnte man nicht sehen, was die Natur so zu bestreiten scheint; der Dieselbus bemühte sich, nicht auf dieser aufzufallen: ein Geröll vom Berge lag auf ihr, zuseiten der phönizische Lorbeer - ein Holotypus, den wir mit der Straße aufzufinden warteten. Und man wusste, trotz dieser Expedition, dass ein Menschenleben zwischen diesen Bergen vieles unbeantwortet lassen würde. Ein wenig unten, der Abyssus, das Tal, in dem die Menschen ihre Naturalien von den Sonnenstrahlen erziehen lassen. Es schien geradezu pervers, in diesen gomerianischen Gefilden mit einem Automobil zu verkehren. Ich stelle mir den Wanderer vor, der meinen Verkehr bezweifelt . .

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