Aglaia

Text

von  Akzidenz

Unterrichtung zur Musik;
Über die salierische/pieridische Natur der Musikanten




Der mir wohl gesündlichste Verbleib meiner ruhelosen Phantasien (und ihre zuträglichste Stätte), habe Ich meinen Tagträumen zuerkannt. Durch sie sind jene Missartungen meines hinterm Walde liegenden Grenzlandes zu einer so klarsichtigen Natur aus den barocken Schlössern und den bürgerlichen Salons herausgetreten, dass sie sich sogar der schädlichen Träume, die uns im Schlafe widerfahren, eines so weniger schwindelerregenden Vermögens der Seele zu brüsten verstehen. Denn sich dem schutzlosen Spiele zu entziehen, dem Konfinium, das in uns Gast wird und nicht mehr gehen will - ohne Nachtschaden oder schlimmerwerdende Marasmen davonzutragen - das ist überhaupt die ganze Annehmlichkeit der Rêverie.


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Vor einem Tafelklavier im Vestibül, dreißig Ellen vielleicht entfernt,
gekleidet in Seide und von schweren Vorhängen gestreift, erschien
mir da der große Vikar mit einem Bakel aus Schilf und in erhabenen Schleiern,
die er sich nach Gutsherrenart schon am Türbogen hat abnehmen lassen, und mir
dabei einen erzieherischen Blick von selbstredender Grundwahrheit zuwarf.

Seine Kleidung, ein liturgischer Streit. Eine spiegelnde Vermutung aus Amtstracht, Quasten, überragenden Insignien, tollen Knöpfen und Sophismen, deren Bedeutung er im Tragen - und nur im Tragen - kannte. Das hat mich so sehr beeindruckt, als ob Ich er gewesen wäre. Er hätte sich inzwischen im Interieur dieser Gemäuer verfangen, hätte sich zwischen dem Bouquet und den Spitzamphoren versteinert und wäre nie wieder aufgestanden, sich seinem Besuch herabzulassen: denn er war die Residenz und die Residenz auf seiner Seite.

Ich habe mir keine Zeit der Welt für jene Eklektik, jenes Rankwerk ausmalen können, die dieses Haus besser beschrieben hätte als meine gotische Versuchung, mich dann und wann noch darin wohl zu fühlen; es wird bei Nacht ein solches Schaudern gegeben haben, dass Ich mir jede düstre Gestalt, die meine Einbildung im Halbdunkel des roten Vorhangs, zwischen den Säulen, jenseits der Koren phantasiert hätte, in meine wunden Arme hätte rufen wollen, um ihr zu sagen, es ist nichts. Wäre da etwas, dann wäre es - das ist der Wunsch - auch schon passiert.

Musik war immer Landschaft für mich. Wenn wir das schwindelige Unbilden an der Semiotik - denn was sie zeigt, das verheimlicht sie gleichfalls - in jenem Widerspiele zwischen hohen Herrschern und furchtsamen Dienern, verschlossenen Türen und offenen Gesichtern, Mahnmalen und Flaggen für wirkungslos erklärten, wäre jeder Kultur damit ein Einbruch getan. Ein Einbruch in das Herz, das Gewölb und in die Wand ihres Vergehens. Denn sie besäße gar keinen Umgang mehr, der sie der Gegenwart entziehen könnte- keine Vorneigung, die sich uns auftun würde, und keinen König, den wir nicht verstünden; wir wären gleichsam unbeeindruckt und ohne Furcht vor diesen Dingen, die das Anthemienfries unter der Decke, das helle Dolomit im Boden, die Gebärde am Empfang, den Mitmenschen, den Besitz auf seinen schwarzen Stühlen mit der Herkunft tausendjahrealter Ehen zierte, deren Schlafzimmer Ich nicht betreten und deren Schränke Ich nicht offnen dürfte. Es liefe darin die Gefahr zusammen, die jede Ehre zu verhüten sucht und jede Tatsache entzweit; dass wir in unseren Namen verlieren.

Ich war ganz vornehm, meinen Anblick siezend. Dieser Anblick gehörte zu denjenigen Unterkühlungen der Lüge, sich Grund einer herberen Belustigung, einer sprachlichen Derbheit, einer sozialen Reserviertheit kleinzuhlaten, weil sie irgendwann das Vorrecht ließ, zu überragen. Sie verlangt auf zweifelhaften Wahrheiten, ein Daseinsrecht von tieferer Verletzlichkeit beflissen zu wissen - vielleicht der Vernunft, vielleicht der Vergünstigung. Das Inbild aller Charakterstärke, aller Härte, allen Rückgrats, geht mit der abseitigen Idee einher, alles dies habe eine Reife ansich, die keiner Erziehung unterlegen hätte und somit grundlos und gefreit da wäre. Das ist (aber) auch „das Schlimme“ an Gott: er hatte nie eine Jugend.

Und so freudlos seine Frühe war, so tentakelhaft sein ganzes Spiel,
sein Fingersatz, den er nie probte, die Amphoren, die er nie gekauft,
und den Diener, den er nie anwarb, so virtuos hat er gespielt Klavier.


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Man hat über Tantalus, der sich Missetat und Frevel gegenüber der Götter und des jüngsten Sohnes schuldig gemacht hatte, geschrieben, er sei, nachdem er des Raubes der Ambrosia, der Verstümmelung des Sohnes Pelops von den Göttern entlarvt wurde, im Orkus so lange seiner Sehnsüchte erlegen gewesen, dass wir jenes Maleficium noch am andern Ende der Hölle würden entsteigen sehen, wo wir uns Gottes Namen und Kräfte anleiern, wonach das kenoma, das Apeiron, die endlose Strafe des Unerreichbaren erreichen würde. Denn so ward der Tantalus auch bezichtigt - mit den göttlichen Siegen seiner Frühe, der Früchte und des sauren Quells, des Felsen, der ihn überschwebt- und in jedem trostlosen Momente auf ihn herabzufallen drohte, wann die Ewigkeit ihr Ende fände. Wir müssten uns den Teufel herbeirufen, uns über jene Zeit die Uhr zu formen, die das Unermessliche zu ermessen vermöchte, jenen Äon, der der Tantalus dastand, im Bracke verwurzelt und das Nichts ihn erschauernd, weder das Astwerk, das zu seinem Haupte, noch den Quell, der ihm zu Füßen, und nie den Fels erreicht zu haben, der seinen ganzen Tod besiegelt hätte  -- Jenes göttliches Daimonion ist es in den tantalidischen Künsten, dasjenige mir am Anblick schlechter Kunst und des Vikars erhellet ist; Tantalus ist der Felsen selbst, er mischt im Kessel Leibesfrüchte. Dampf steigt auf und Essig in uns. Und Glossolalien er am Stein erweckt - Tantalus der Weise! spricht - Welch Gedicht! Tantalus der Dichter, der verstummte!

[..] Das Gemäuer wandt sich ganz dem Jagdgrund,
einem Tempelschlaf des Tempels selbst.
Und ein Strahl so schwer wie Eisen bat mich zum Palladium,
das gülden glänzende Gewicht des Raumes, die Tochter und die Schlange,
das höchste Instrument des Meisters, die Charis und die Hydra,
das Mädchen des Königs, das mein Beinkleid so verlachte,
dessen Stolz in Mutters Nähmaschine so verstarb wie Kyparissus' Hirsch,
und deren Anhänger so grauenhaft waren, dass es mich, aus dem Dämmerschlaf gerissen, ungeschickt nach hinten warf, Ich mir kindlich noch den Kopf anschlug,
zum Gespött der Klasse wurde, und das Blut über Euterpes Böden
noch bis zu meinem Schulabschluss gerochen hatte wie der Teufel.

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