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Kurzgeschichte zum Thema Liebe, lieben

von  RainerMScholz

Um den Kontakt zu Ellena nicht abreißen zu lassen – mittlerweile hatte sie meinen kompletten Freundeskreis durch, bis auf Klaus, der mir das bis heute zum Vorwurf macht, meinen kompletten Freundeskreis, einen Allgäuer Dachdecker, mit dem ich mich sogar erfolglos prügelte, den Schlagzeuger von Tankard, einen Rausschmeißer aus meiner anderen Stammkneipe „Speak Easy“ in Sachsenhausen, und das sind nur die, von denen ich weiß -, um den Kontakt nicht abreißen zu lassen, zog ich der Clique, der sie sich jetzt angeschlossen hatte, hinterher, oder die Clique hatte sich ihr angeschlossen, wie auch immer. Die Hälfte von denen kannte ich natürlich, was wahrscheinlich soviel heißt, wie: die hatten sie auch alle durch. Vielmehr sie hatte alle durch. Wir soffen und gingen auf Parties und das war auch schon alles, was ich mit denen gemein hatte. Ständig hatte ich dieses nervöse Zucken im Leistenbereich und in der hinteren Ecke meines Stammhirns, das mir sagte, dass Ellena mich irgendwie hereingelegt hatte mit dieser Susanne, die sich jetzt aus mir nicht ganz unerfindlichen Gründen in die Hose machte, wenn sie mich nur von Weitem sah. Wenn auch Ellenas vermeintliche Beweggründe für ein Komplott zur Trennung von Anne sich mir nicht ganz erschlossen, da sie ja weiter herumvögelte, während ich in die Röhre guckte. Vielleicht hätte ich das alles auch akzeptieren können – ich hätte es akzeptiert -, wenn sich daraus eine abermalige Verbindung mit ihr hätte ableiten lassen, wenn ich sie wiederhaben könnte, meine Ellena, oh Ellena.
Ich lernte Claudia kennen. Ich lag mit dem Kopf auf dem Tresen des „Speak Easy“ – im „Elfer“ hatte ich Hausverbot auf Lebenszeit -  und hob ihn nur, um ein weiteres Getränk bei Clarissa zu bestellen, die hinter der Theke bediente und im übrigen auch ziemlich klasse aussah, als Claudia plötzlich wie aus heiterem Himmel neben mir stand. Ich versuchte ein Lächeln und bildete mir ein, dass sie zurücklächelte, also riss ich mich zusammen. Es waren ihre dunklen Augen und ihr dunkles Haar, ihr Mund, ihr Lachen, es ist vor allem der Klang ihrer Stimme. Wenn sie spricht, egal was, dann fühle ich mich daheim. Es liegt eine gewisse Melodie in ihr, eine Ahnung von Vertrautsein, ein Versprechen des Ankommens, des Nachhausekommens. Das taten wir dann auch.
Nichtsdestotrotz vermochte ich es nicht so schnell mit alten Gewohnheiten zu brechen, und so suchte ich weiter die bekannten Orte auf in der geheimen Hoffnung Ellena zu treffen. Bei einer dieser mehr oder weniger zufälligen Begebenheiten lernte Ellena Claudia kennen: Sie waren wie Tag und Nacht, Licht und Schatten. Klar, dass wir nicht lange blieben, zumal Claudia das Ambiente des Vereinsheims des TSV Niedwiesen nicht sonderlich zusagte. Da schien auch irgendetwas mit Ellena und der A-Jugend des TSV zu laufen, was ich nicht ganz durchblickte, und mittlerweile fehlte mir auch ein wenig die Langmut dazu.
Ellena schickte Alexandra. Ich kannte Alex von früher. Sehr viel früher. Da war einmal etwas gewesen, was sich meiner Erinnerung nur bruchstückhaft erschloss. Doch nun – Claudia war unter der Woche in Karlsruhe - in dieser schummrigen Sportlerkneipe, in der ich im Grunde nichts verloren hatte, hinten in einer verschwiegenen Sofaecke und mit dem ganzen Alkohol wieder einmal, den ich mich nicht erinnere bestellt zu haben – jedenfalls küssten Alex und ich uns, und zwar heftig und anhaltend. Alle waren da: Jörg, Jochen, Olaf, Olli, Zaster und Möller und Bärbel, und irgendwo im Hintergrund auch Ellena. Und vielleicht tat ich es nur, um es ihr zu beweisen. Und vielleicht tat Ellena alles, um es mir zu beweisen. Dass ich am Ende ganz genau so bin wie sie, bindungsunfähig, treulos, und sehr promiskuitiv. Im Grunde einsam von Geburt an, allein, vereinzelt und nichts und niemand verpflichtet. Egozentrisch mit Kalkül. Total frei. Bis zum Exzess. Ellena hat sie mir geschickt, und ich nahm sie mit. Doch als ich vor meiner grünen verblichenen Sperrmüllcouch zum Sound von „Orgasmatron“ von Motörhead vergeblich versuchte Alex Büstenhalter zu öffnen, sah ich verschwommen auch die Banalität einer Zukunft, die ich damit verbringe, wechselnden Frauen an diversen Brüsten herumzugrabschen und immer so weiter und weiter und weiter. Und ich sah Claudia. Und sonst sah ich nichts.
Alex ging dann sehr bald. Sie schien ebenfalls verstanden zu haben, und vielleicht hatte Ellena sie doch nicht geschickt. Ich werde es nie erfahren. Heute ist es auch gleichgültig. Ich traf nie wieder eine Alex oder eine Susanne. Oder eine Karin oder Michaela, und auch keine Anne mehr. Dafür habe ich mein Herz sprechen hören und ich bilde mir manchmal ein, ich habe die Hoffnung, auch ihr Herz, Claudias Herz sprechen hören zu können. Und dann ziehen wir die Decke über unsere Köpfe, drehen das Licht ab und sind unsere eigene Welt.





© Rainer M. Scholz

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