Reisen ohne Elfenbeinballon (5) - Kleine Elegie

Lyrischer Prosatext

von  autoralexanderschwarz

Weil uns die Felder jenseits der Stadt zu frei erscheinen,
bauen wir uns ein Gefängnis aus Worten, in dem wir uns verkriechen,
wir denken uns Zugbrücken, die wir entschlossen nach oben ziehen,
Wächter mit Tatarenbart, die mit grimmigem Gesicht patrouillieren,
tiefe Gräben, die wir mit zähflüssiger Einsamkeit füllen;
den Sonnenschein verbergen wir hinter düsteren Mauern,
die wir mit metaphorischen Dornen umranken.

Wir haben uns selbst gefangen, sitzen in den Weiten der Felder,
doch der Wind spielt nicht mehr mit unseren Haaren;

„hätten wir genug Zeit gehabt“, denken wir,
„hätten wir Kleeblätter und Wildblumen gesammelt,
aber so halten wir es wie der blonde Eckbert
und sammeln nur die Überreste unserer Feinde
in einem Weidenkörbchen:
lächerliche Diskurse,
verblasste Metaphern,
traurige Idiosynkrasien.“

Dann haben wir einen Rückfall in vorprosaische Zeiten.
Wir fühlen uns unwohl und erbrechen
durch Mund und Nase
eine kleine Elegie,
die spritzend und doch kraftvoll
auf den Zellenboden schlägt:

Erster Schwall:

„Was bleibt dir noch für das du blutest,
  für das du weinst und schreist und flehst,
  für das du ohne jedes Zögern
  durch jedes Höllenfeuer gehst?“

Und dann: der zweite Schwall:

„Wo ist das Blut in deiner Tinte,
  wo all das Leben, all die Kraft,
  wohin verschwand die Energie,
  wie starb sie, diese Leidenschaft?“

Wir putzen uns die Nase und seufzen einmal so laut,
wie wir noch nie zuvor geseufzt haben.

„Kalliope“, flüstern wir sehnsuchtsvoll in den Wind,
und tatsächlich erscheint uns die weiseste aller Musen.

„Du suchst deine Hybris“, fragt Kalliope spöttisch,
nachdem sie sich zunächst über unsere kleine Elegie lustig gemacht hat,
„so schnell wirst du sie nicht wiederfinden,
sie liegt ganz verstreut und
ein weiter Weg noch vor dir und
auf diesem auch das tiefste Tal,
das sich Demut nennt:
durch dieses Tal wirst du kriechen müssen,
du musst erst Schaf werden,
wenn du wieder wie ein Wolf heulen möchtest.
Als Erstes musst du lernen zu blöken,
so wie die anderen Schafe blöken.“

Mit diesen Worten verschwindet sie.
Wir sind allein und auch unser Gefängnis ist verschwunden.
Wir fühlen uns unwohl, die Felder erscheinen uns zu frei.
Versuchsweise blöken wir in den Wind.

*
Wir werden Vergangenheit, wechseln ins Präteritum
und zunächst kam es uns seltsam vor.
Wir blökten im Schreberhausprosagartenstil
und schrieben über Heilige und Huren,
Indianer, Zauberer, Schurken und Banditen,
wir dachten uns Namen und Landschaften aus,
wir füllten Seite um Seite mit Nichtigkeiten,
wir schrieben so lange, bis uns schlecht wurde
und wir eine zweite kleine Elegie unterdrücken mussten.

Stattdessen gönnten wir uns
ab und zu
einen tiefen verträumten Seufzer
und gelegentlich
einen In-die-Luft-Faustschlag.

*
Auf dem Weg ins Tal überholten wir so manchen Sisyphos
und auch unseren eigenen Schatten
glaubten wir im Vorbeigehn zu entdecken,
wir beeilten uns und hofften,
dass es dort unten noch genug Steine für uns alle gibt.
Wir blökten wie ein Schaf.
Wir suchten die Nähe der Herde.
Wir blökten.


Anmerkung von autoralexanderschwarz:

Der obenstehende Text ist Teil der Textsammlung „Reisen im Elfenbeinballon“, die im Athena-Verlag erschienen ist.  Reisen im Elfenbeinballon

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Kommentare zu diesem Text


 Isaban (07.03.18)
Hallo autoralexanderschwarz,

Schwall 1 und 2 gefallen mir. Bei Schwall 2 V4 könnte ich mir ebentuell ein "wie" anstelle des "wo" vorstellen.

LG Isaban

 autoralexanderschwarz meinte dazu am 07.03.18:
Ungeachtet all dessen, was man dagegen einwenden könnte, hast du letztendlich recht. Das "wie" ist schöner.
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