Verabredung

Erzählung

von  minze

Es ist so einfach, mich zu berühren, während ich mit dir telefoniere. Still zu halten, wenn ich komme. Es ist einfacher, als aufs Klo zu gehen, Papier reinzulegen und verhalten zu pinkeln, als was zu kochen, obwohl ich auf laut stellen könnte, aber ich will’s nicht. Ich will die Intimität, ich will unsere Supernähe. Das Atmen, Stocken, das Zögern, das langsam gezogene Müdewerden, Rauchen und Zündeln. Ich könnte das zwischen uns nicht hören, wenn ich dir gegenübersitze, weil mich dann alle visuellen Eindrücke einnehmen wollten, alles Äußerliche wollte mich aktivieren: meine Hände würden fliehen, sie kämen keiner ruhigen Bewegung nach. Sie wollten, dass ich sie wohin lege, dort, wo sie hingehören. Wir würden uns doch ansehen und dem weichen wollen. Kurz und intensiv fleht etwas in mir, wir machten das mal, entgegen einer Scham. Jetzt, wenn wir miteinander sprechen, schließe ich die Augen. Manchmal suche ich mir ein, zwei gewohnte Stellen, etwas, was mich wenig bewegt, aber vertraut ist. Zwei Bretter an der Decke mit den unsauberen Streichbewegungen, die nun manifestiert sind. Vier Kacheln am Ofen, die offene Tür des Küchenbuffets. Ich mag offene Türen, die Bewegung im Haus, das Klappern, meine Vergesslichkeit. Ich erinnere mich gerne an die Freunde, die die Decke gestrichen haben, sie haben die falsche Farbe genommen, dann die Richtung geändert. Ich hatte das Streichwochenende kaum alles unter Kontrolle, weil ich zick zack überall war. Ich schlucke mein Grinsen herunter, aber du kannst es nicht hören, leider, das Schlucken bleibt doch ganz bei einem selbst.


Meine Geschichte dazu scheint nicht in unser Gespräch zu passen, es ist so banal, etwas über das Streichen von Holz zu erzählen. Eigentlich müsste es geschliffen werden, bevor man es bearbeitet. Dann der Untergrund, dann Farbe. Dann nochmal die Farbe. Dazwischen abwarten, was die Zwischenresultate sind, wie der tatsächliche nächste Schritt ist. Ich habe uns nur drei Wochen vor dem Einzug gegeben, um alles zu alles renovieren: Tapeten reißen, spachteln, streichen. Ich war mir unsicher, ob das Büro überhaupt gestrichen wird. Bei den vielen Leuten, die halfen, kam es aber dazu. Wir haben durch den Rausch des Fortschrittes auf jegliches Schleifen verzichtet. Es wäre auch in meinem späten Wochenbett doof gewesen. Ich habe die Farbe mit offenen Fenstern wenig gerochen. Das Arbeiten auf der Leiter ging gut. Ich hatte so Rückenweh in den verkaterten Nächten, eines, was einen in die nächste Bewegung zwingt, was antreibt. Aber die Holzpartikel, die ganz feinen, auf denen dann ja auch irgendeine Lasur drauf ist, welche weiß man nicht so genau - das wäre immens viel mehr gewesen, das Schleifen hätte so viel mit sich getragen. Paul, mein Kollege, stand vor der Wand und sagte: entweder du reißt alle Holzlatten raus und schaust was drunter ist, oder einfach drüber streichen, einfach probieren.


Es ist egal, was du erzählst. Einmal geht es um eine lange Zugfahrt zu einem Freund. Du hast kein Geld, die Kontrolleure schmeißen dich bald raus, dabei hast du dich schon einige hundert Kilometer durchgebracht. Du hattest keine Idee in dem Moment, wo du hinkönntest, wie es weiterginge. Ich will, dass du redest und redest. Du erzählst also von der Kindheit mit diesem Freund, warum du ihn gebraucht hast, ich komm nicht hin, mich als Kind dahin zu bewegen. Die Geschichte reißt mein Fernweh an, dass ich davon im Film bin, ich bin Zuschauer und Zuhörer deines Erlebnisses, geh rein als Fremde, lass mich berühren. Es verführt mich langsam, dass ich einen Kokon daraus webe, mich darin öffne und weich werde. Du gehst auf das Weiche ein, auch wenn es nicht erwartbar ist, dass ich es mir machen will. Vielleicht merkst du es, weil ich flüstere oder die Stimme sich verflüchtigt. Du legst dein Schweigen drüber, dass für mich die Chance, diskret zu bleiben, etwas kleiner wird. Ich mag es. Wenn du flüsterst, bin ich wild, bin ich eigentlich sofort wild. Es scheint mir konträr zu meinem Wesen, dass ich keine Initiative ergreifen mag, ich bleibe schüchtern, aber die Verabredung war, dass wir Freunde sind und deswegen will ich nicht lauter werden. Das Engagement eines Bruches soll beidseitig passieren. Wenn du es fühlst, benenne es nicht. Wichs für dich, einfach so, mach‘s. Manchmal drängt es mich in die Enge, dass ich angefangen habe, vielleicht, und dich in eine Notsituation bringen könnte. Ich will frei sein. Ich will keine Schuld fühlen. Wir könnten frei sein und tun, wonach es uns drängt oder zuvor unser Veto einlegen. Gehen, schweigen und andere Möglichkeiten verlangen. Die Möglichkeiten gehen mit oder versuchen hinterher zu kommen. Wir füllen den Raum des Ungesagten mit Geschichten, kommentieren mit Lachen, hängen andere Geschichten dran. Ich weiß nicht, ob wir viel nachfragen. Viel geht an mir vorbei, weil ich so drauf bin, zu spüren. Das Fallengelassene verkümmert, es fault, kriegt keinen richtigen Atem.


Ich fass dich nicht. Als wir laut und derbe werden, will ich mich beißen. Die anfänglich leisen Worte wollen alles implizieren, alles verlangen. Zumindest rutscht es immer schneller aus uns heraus, erliegt dem Brachialen. Ich fühle einen Taumel, wenn es vorbei ist, wenn ich doch ein Schlucken vernehme und wir auflegen. Ich lege sofort auf, um kein mechanisches Geräusch vom Telefon zu erfahren. Ich kann nur dieses urmenschliche Rauschen ertragen. Wenn es weg ist und die Stille mich ummantelt, fühlt es sich einsam an. Dann streiche ich kreisförmig meine Wangen, meine Schenkel aus, dann lege ich den Finger aufs Pochen, auf meine Scheide, dann will ich mich trösten, dass ich bei mir bin. Ich will hin zu diesem Punkt, der sich zigfach aufmacht, der der Grund ist, der sich weiter laut macht, aus dem ich weiter heraus stöhne. Du wirst mich nicht halten. Ich bekomme ein fahles Gefühl, wenn ich einen Wunsch an dich formulieren will. Weil ich nichts weiter sagen kann, weil alles entsteht in einem Raum, den wir aufladen, aber den wir nicht gemeinsam halten, vorsichtig, mit zärtlichen Händen, mit Händen, die sich tragen können, die auf den anderen zeigen und ihn meinen und ihn halten. So berühren mich deine Zwischenräume und will ich mich hineinfallen lassen, doch offenbare ich nichts, nichts vollkommen, so dringe ich doch nur in mich selbst ein, lasse ab und vertraue dir nichts an. Oder rede ich mich in eine liegende Acht hinein, weil das nicht vereinbart war. Aber nicht einfach nur so, auch wächst meine Angst, dass es dich ekeln könnte, auch wächst meine Angst, du stößt mich weg, auch wächst meine Angst, wir legen auf, auch wächst meine Angst, es dauert lange, bis ich dich wieder höre. Auch wächst meine Angst, es ist wirklich so: nichts als meine Berührung, dass da nichts ist, was uns verbinden könnte. Dass uns verbunden hätte, hätte ich besser zugehört, dass uns aneinanderbindet, ernsthaft zu sein und die Sache mit dem Umzug und dem Streichen zu besprechen.

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Kommentare zu diesem Text


 monalisa (17.10.20)
Diese Verabredung hat ihren besonderen Reiz im Ineinandergreifen verschiedener Ebenen, der Übereinanderschichtung von äußerer Beschreibung (etwa des gestrichenen Holzes) und innerem Erleben (z.B. Heimischwerden im Nestbau und Fernweh) der Gleichzeitigkeit von Einsam- und Zweisamkeit, durch das Telefon als Brücke und Trennwand extra betont. Die Verabredung, Telefondate und ausgehandelte Vereinbarung, die umgangen und doch nicht gebrochen werden soll. Die Freundschaft, die nicht recht weiß, ob sie Fisch oder Fleisch sein will, damit verbunden Unsicherheit und Ängste. Faszinierend auch die Selbsverständlichkeit, mit der die junge Frau ihre Sexualität lebt, der Umgang mit ihrem Körper, der Leser und Leserin voyeuristisch hineinzieht und doch in Respektsabstand verharren lässt, weil nicht alles aufgelöst wird, sondern ein geheimnisvoller Zauber bleibt. Und mit diesem Zauber möchte ich meinen Kommentar auch gern beenden.

Liebe Grüße
mona



P.S:: "Im späten Wochenbett" kommt mir etwas seltsam vor, meinst du nicht eher die letzten Wochen/Tage vor der Geburt?

 minze meinte dazu am 17.10.20:
Liebe Mona,
freue mich über deine Wahrnehmung dieses Textes! Ich freue mich, dass du einen Reiz durch die verschiedenen Ebenen erleben konntest. Mir liegt die Entwicklung der Protagonistin am Herzen und dabei spielt das (freie/befreite....du beschreibst das sehr schön) Erleben von Sexualität und die Fragen, die bei dir angekommen sind eine relativ zentrale Rolle. Wenn das so ankommt wie bei dir - freut es mich ungemein. Du glaubst gar nicht, wie sehr ich Lust hätte, das alles noch auszudehnen in eine längere Erzählung :)

Ich meinte bewusst das späte Wochenbett. Die Info wird nur spärlich gestreut. Um das als Punkt noch weiter aufzugreifen oder Raum zu geben, müsste ich das Thema des Mutterseins und Zeit mit Baby/nach Geburt noch aufgreifen, vll irritiert es dich, weil die Ankommenszeit mit Baby total ausgeklammert wird, aber trotzdem eben erwähnt wird, dass das Renovieren etc im späten Wochenbett passiert. Ich selbst habe auch gegrübelt, ob ich das als zusätzliches Thema aufmachen soll. Ob es in so eine kurze Erzählung nicht passt, weil es aufploppt, aber nicht aufgenommen wird in das Bild der Protagonistin. Tendierte immer mal wieder dazu, es zu streichen - habe es wohl gelassen, weil sich in mir das Bild dieser Frau entwickelt und Fragen aufwirft, wie ich es in einer verlängerten oder tatsächlich langen Figurenentwicklung / Erzählung noch ausdehnen würde, wie und was da alles zusammenwirkt. Für diesen einen Text..könnte es vielleicht inkonsequent sein. Ich gehe damit wie gesagt noch innerlich um.
Ich freue mich, wenn du dazu noch einen Gedanken hierlassen magst.

Liebe Grüße

Antwort geändert am 17.10.2020 um 13:53 Uhr

 monalisa antwortete darauf am 18.10.20:
Es war nur, weil das Baby nirgendwo auftaucht. Die Rückenschmerzen haben mich auch etwas vom Kurs abkommen lassen. Ich selbst hatte in den letzten Wochen vor der Geburt schreckliches Kreuzweh, weil das Kind auf einen Nerv drückte, danach war es wie weggeblasen. Es würde, glaube ich, hilfreich sein, das Baby so nebenher bei der Mutter zu plazieren, gar nicht großartig auszumalen.

Liebe Grüße
mona

 minze schrieb daraufhin am 18.10.20:
Liebe Mona,
ich habe nochmal in den Text reingehorcht. Und ich bin nun (tendeziell) der Meinung, dass es mir so ganz gut taugt, also das Baby spielt gar keine Rolle in diesem Verhältnis. Die Körperlichkeit/Sinnlichkeit schon, und da ist das Wochenbett eine kleine Referenz, ein kleiner Einschub, der sich einmengt in das körperliche Empfinden - wenn man so will, bzw, wenn man so will auch einfach in dem Beschreiben der sehr intensiven Sequenz des Renovierens plus Phase Wochenbett.
Deswegen entscheide ich mich gegen eine Ausweitung des Fokus auf Baby etc.
Das Rückenweh entsteht aus der Intensität dieser Phase, der körperlichen Beanspruchung im Renovieren etc, ich denke, das kann dann für sich so sein.
Danke nochmal!
LG

Antwort geändert am 18.10.2020 um 21:09 Uhr
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