Eine Laune der Natur, ein Fingerzeig Gottes oder einfach nur ein Rätsel?

Essay zum Thema Vergangenheitsbewältigung

von  Bluebird

Als am 1. November (Allerheiligen) 1755 erst ein Erdbeben und dann eine Flutwelle die portugiesische Hauptstadt Lissabon heimsuchten, befanden sich viele Menschen auf dem Weg in die Gottesdienste oder schon in den Kirchen, von denen wenig später schon kaum noch eine stand.
    Man schätzt, dass es etwa 30 000 - 100 000 Tote gab und 85 Prozent aller Gebäude zerstört waren. Es war eine Katastrophe biblischen Ausmaßes, die ganz Europa emotional erschütterte. Wie war so etwas möglich in der „besten aller möglichen Welten“, fragten sich die Aufgeklärten, und die Gläubigen rätselten kreidebleich: „Wie konnte unser gütiger Gott so etwas Schreckliches zulassen?“

Während die einen sich mit der Tatsache abzufinden versuchten, dass die Natur nun mal nicht beherrschbar und launisch  ist, solche Katastrophen geschehen können und es somit auch nie eine perfekte Welt geben wird, betrieben die anderen spirituelle Ursachenforschung.
    Die Rede war von einem mahnenden Finger Gottes, der die Menschen in ganz Europa zur Umkehr riefe. Was wiederum Voltaire zu der bissigen Frage veranlasste: „Hatte Lissabon mehr Sünden als das sündige London oder Paris?“
    Warum also sollte Gott ausgerechnet hier ein ein so schreckliches Exempel statuiert haben? Und wieso wurden auch die Kirchen zerstört und kamen so viele Fromme um?

Lissabon war eine der reichsten Städte der damaligen Zeit. Reich geworden durch Seehandel und ihre Kokonien. Und es war stolz auf seinen Reichtum und Prunk, zeigte ihn gerne.  Eine ruhmreiche und stolze Seefahrernation!
    Stolz und Mammon, da war doch was!? Hochmut kommt vor dem Fall, und so. Nicht das jetzt als Erklärung für das Ereignis angeboten werden soll, aber man könnte es - gläubigerseits- zumindest in Erwägung ziehen. Und den Teufel sollte bei solchen Erwägungen natürlich auch nicht ausgeklammert werden.
  Letztlich wird der Gläubige es aber nicht ergründen können und es demütig zu erdulden haben, dass er nicht auf alle Fragen eine Antwort erhalten wird.
 
Eine interessante Anekdote am Rande. Ein Ketzer, der an diesem Tag auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden sollte, überlebte, während seine Inquisatoren umkamen. Ein kleiner Fingerzeig Gottes?  Oder eben der Zufall, der auch manchmal durchaus den Anschein eines gerechten Waltens erwecken könnte?

Gedankenimpuls:
Der Mensch hat immer mehr Fragen als Antworten. Wohl dem, der dies zu akzeptieren bereit ist!1

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Frühere bzw. ältere Kommentare zu diesem Text


 idioma (04.10.20)
Das passt auch in diesen Zusammenhang :
https://www.inhaltsangabe.de/kleist/das-erdbeben-in-chili/
Kleist bezieht keine Stellung.
Aber dass er die Novelle so schrieb ist eo ipso doch
eine Stellungnahme........

 EkkehartMittelberg (04.10.20)
Ich kann die Novelle Kleists, der, wie Idioma richtig bemerkt, als Erzähler nicht wertend Stellung nimmt, nicht anders denn als massive Kritik an der Kirche mit ihren fanatisierten Gläubigen lesen. Als Religionskritik versteh ich sie freilich nicht.
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