Hierarchographie des Bewusstseins

Referat zum Thema Umbruch

von  Terminator

Was treibt den Wilden zur fortwährenden Raserei? Ist es nicht seltsam, dass das magische Bewusstsein, wo es sich doch der Allmacht seiner Zauberei bewusst ist, hoffnungslos stoffgebunden ist, am Stofflichen verhaftet? Warum sind Anhänger von mythischen Religionen und Ideologien paranoid? Wer verfolgt sie? Wieso braucht ein rationaler Geist seine große Erzählung? Warum sind existentiell besorgte Pessimisten die besten rationalen Denker? Aus welchem Grund müssen Heilige immer leiden? Weshalb sind Weise stets so gütig? Zu welchem Ende äußert sich Vollkommenheit als unendliche Weisheit?

Die Antwort dazu gibt ein bewusstseinshierarchographisches Gesetz, das folgend lautet: das Alltagsbewusstsein ist auf jeder Stufe des identitätsstiftenden Bewusstseins genau eine Stufe unter dem Letzteren.

Das archaische Bewusstsein (1) hat eine Stufe unter sich das Unbewusste (nicht im psychologischen Sinne, sondern etwas, was überhaupt kein Bewusstsein mehr ist). Deshalb ist eine Ich-Identität auf dieser Bewusstseinsstufe stets getrieben, von Instinkten und Bedürfnissen gepeitscht, völlig den Launen der äußeren und inneren Natur ausgeliefert. Diese Bewusstseinsstufe kennt Zeit noch Gedächtnis.

Das magische Bewusstsein (2) steht auf dem archaischen Boden, weshalb ihm der Raum unfassbar ist, und die Zeit stets entrinnt. Es kann die Zeit weder messen noch in Vergangenheit und Zukunft einteilen. Es lebt im ständigen Jetzt, und alles geschieht für es wie durch Zauberhand.

Das mythische Bewusstsein (3) hat das Magische zu seiner Basis. Es kann die Zeit messen und einteilen, aber nicht als Gesetz des Verstandes festhalten, weshalb es ständig auf der Flucht vor Dämonen ist, die ihm mit Realitätsverlust, mit Vernichtung seiner Wirklichkeit drohen.

Das rationale Bewusstsein (4) erfasst die Realität als gesetzmäßig verfasst, kennt aber den Grund nicht, weshalb die Welt da draußen logischen Gesetzen gehorcht. Es muss die Gültigkeit logischer Gesetze und damit ebenso seines eigenen Verstandes durch eine große Erzählung versichern. Auf dieser Bewusstseinsstufe ist gegen Religion und Ideologie kein Kraut gewachsen, da diese selbst das heilsame Kraut sind.

Das existentielle Bewusstsein (5) weiß um seine Sterblichkeit nicht bloß als um eine Tatsache, sondern fasst sie, mit der Ratio als Basis, als logisch unentrinnbar auf. Der Glaube, von seiner Sterblichkeit durch einen sinnstiftenden Mythos erlöst zu werden, ist auf dieser Stufe wirkungslos. Das existentielle Bewusstsein sucht sein Heil deshalb in logischen Systemgebäuden, die es eigens errichtet.

Das heilige Bewusstsein (6), eine spekulativ angenommene Bewusstseinsstufe, die das existentielle Bewusstsein als Alltagsbasis hat, ist das permanente Bewusstsein des Leidens und der Sterblichkeit allen Lebens. Obwohl es an vorderster Front dazu durchgedrungen ist, dass alles gut ist, ist ihm unmittelbar nichts gut, vielmehr ein einziges Elend.

Das weise Bewusstsein (7) ist ein gütiger Ruhepol, der die Unmittelbarkeit des Alles-ist-gut zu seiner Basis hat. Nichts kann dieses Bewusstsein erschüttern; seine stoische Ruhe ist nicht heroisch, nicht ein Widerstand gegen das Böse, sondern die absolute Zuversicht in den letztendlichen Sieg des Guten.

Das vollkommene Bewusstsein (8) ist eine allumfassende Leere, die als Fülle des Konkreten die Ganzheit der Welt vor sich hat, und somit unendliche Weisheit ist.


Es bleibt anzumerken, dass die mit ungeraden Zahlen versehenen Bewusstseinsstufen negative, und die mit geraden Zahlen affirmative Stufen sind. Die negativen Bewusstseinsstufen bauen auf, da sie auf positiven Stufen aufbauen; die affirmativen Bewusstseinsstufen treiben rastlos die Geschichte voran, da sie auf negativem Boden stehen. Mythische Religion tritt auf der dritten Stufe auf, aber vertreibt dort nur die Anbeter der Naturgottheiten aus den Tempeln; erst auf der vierten Stufe erbaut sie sich ein Weltreich. Dies scheint dem soeben Gesagten zu widersprechen, es sei denn, man fasst bloße Herrschaftsusurpation richtigerweise als ein negatives Moment auf, wohingegen kulturelle und wissenschaftliche Leistungen bei bleibender Gesellschaftsordnung das positive Moment darstellen. So lebt das rationale Bewusstsein vor sich hin, führt von Zeit zu Zeit Kriege, beruhigt sich wieder, und hinterlässt nichts als Nachkommen. Das existentielle Bewusstsein treibt Kultur und Forschung voran, da es die Ratio nicht bloß als Ideal im Kopf hat, sondern sie als Handwerk beherrscht.


Anmerkung von Terminator:

"Du handelst anders als du denkst". Kristian Loken

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