Walpurgis

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von  beneelim

Wo sich die Bäume dicht aneinander drängen, die Anhöhe hinauf, wo dann der Leib des Waldes sich öffnet und der Lichtung Platz macht, hat er, seinen Karren voran, die letzten Schritte für die Nacht gesetzt.
Er schnauft, schwitzt, lugt nach dem Mond hinter dem zerfetzten Ornat von Wolken und Dunkelheit, wirft seinen Hut auf die dampfende Erde, breitet eine Decke aus. Von dem gelöschten Feuerplatz nahe seinen Schuhspitzen zieht ein Zwirn von Rauch in die sternlose Einöde rundum. Wo sind die Rastenden, die er anscheinend vertrieben hat? Ein Stück Brot, er nimmt drei Bissen, dann wirft er es in die fast tote Glut, die faucht wie eine kranke, alte Katze.

 

Er greift in die Hosentasche, links, er kramt, dann rechts, er nickt, zieht ein dreckiges Stofftaschentuch hervor und bläst einen Klumpen Rotz hinein, dass in den Ästen hinter ihm ein Uhu aufschrickt und in einer weiten Schleife tiefer in die Wälder stößt. Der Alte grinst verschlagen, greift nach seinem Hut, spuckt, kratzt sich am Sack und in einem weiten Bogen reißt er die Plane von seinem Karren, der schief in der Erde hockt und unter dem rauen Griff seines Herrn erzittert. Ein altes Kinderlied.

 

„Die Fröschelein, die Fröschelein

Das ist ein lustig Chor

Sie haben ja, sie haben ja

Kein Schwänzchen und kein Ohr“.

 

Aus dem Dunkel wachsen wie Pilze fahle Figuren zum Alten hin, Schatten zuerst, schwärzer als die Eingeweide des Waldes, und dichter, bösartiger, dann Stiefel zwischen Kies und Moos, zuerst ein Paar, dann ein zweites, drittes, zehn am Schluss, ein Haufen räudiger Herumtreiber. Sie sind in Lumpengewänder gehüllt, rastlos ihre biergelben Augen, tief in den Gesichtern liegend, die Wetter und Jahre zerschlissen haben. Ihre Blicke wandern wie Geier in der Nacht umher, sie sehen den Alten und halten inne, kichern, klatschen, summen mit ihm das alberne Kinderlied.

 

„Kalte Hände, Froschnatur

Von der Liebe keine Spur“

 

Der Alte dreht sich um und grunzt verächtlich und liebevoll, wie Brüdern gegenüber, die das Leben am Herz festnagelt und die doch zu viele sind, wenn die karge Brotzeit kommt.
Und wie er an seinem Karren herumreißt, fangen die Schellen, die dort an der Deichsel festgebunden sind, zu klingen an, der Mond blitzt in ihnen, als ersuche er sie um köstliche Gefangenschaft, und der Alte hebt das erste Kind, blass und starr, vom Bock. Es hat die Augen nach innen gewendet, die Lippen gespalten, von einem Ohr zum anderen grinst blaurot der Rachen, aus dem sich vor Stunden sein Leben verströmt hat.

 

„Esst bloß keine Äpfel“ krächzt der Alte und wirft den Leichnam weit von sich; der Boden dröhnt dumpf, als ihm die schuldlose Last aufgetragen wird. Die anderen kreischen und machen zwei Schritte nach vor. „Mehr, mehr“, rufen sie, drängen dichter zusammen zu einer Sichelform, in deren Beuge das Schauspiel sich fortsetzt. Ein zweiter, ein dritter Körper, der kalt und steif neben der Feuerstelle zu liegen kommt, und der Kleinste der Halunken, ein hagerer, pockennarbiger Wicht, bringt eine Fackel und Späne herbei; schon brennt der aschene Kreis aufs Neue, schon bemalen die Flammen mit ihren Schleiern die weite Kulisse.

 

Alles, was nicht teilhat an dem seltsamen Treiben und was bereit ist für eine schnelle Flucht, hat sich tief in den Wald verschlagen, von Osten zieht ein Gewitter heran, es treibt Wind und Donner vor sich her. Bald schon werden sich Regen und Nacht miteinander verweben, die Hungernden stampfen Kobolden gleich den Lichtkreis entlang, jaulen, furzen, schmatzen. Der Alte hat die Fackel übernommen und zieht in schwingenden Bögen damit seine Zeichen in die Luft; da sind schon die Wolken über ihm und zischend eilt ihre Last hinterher: das Feuer, diese flackernde Faust, trommelt in die Höhe und versinkt.

 

„Kalte Hände, Froschnatur.“

 

„Ein Kind war ich, so zart und klein,

wollt Tag wie Nacht bei Mutter sein.“

 

„Und Mutter fuhr mit mir aufs Land

Sie griff mit Schaudern meine Hand.“

 

Der Schoß der Wälder blieb finster und klamm und alle hat er sie satt gemacht – die Wölfe, die Frösche, den schweigenden Mond.

 

 



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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (23.12.22, 10:43)
Sehr schwülstig.
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