Prägungen

Beschreibung zum Thema Abhängigkeit

von  uwesch

Dieser Text ist Teil der Serie  PHASEN DES LEBENS (Prosa)

Wie immer die historischen Fakten aussahen, Franks Vater verkörperte eine verheerende Kombination aus Macht, Autorität, rationaler Disziplin und unterdrückten Gefühlen. Im ersten Weltkrieg geboren, den zweiten an mehreren Fronten durchlitten, musste dieser nach dem Krieg ein paar Jahre karg mit Frau und zwei kleinen Kindern überleben, um eine neue Existenz gemäß dem von ihm entworfenen Drehbuch zu beginnen. Dem wurden Mutter, Bruder und Frank unterworfen, bis die Kinder sich lösten und begannen, auf eigenen Füßen zu stehen.
All das, so wurde Frank sehr viel später klar, hat sein ganzes Leben geprägt. Mit einigen positiven, aber auch einigen schädlichen Folgen. Doch letztendlich war nur er mit Eintritt in ein eigenständiges Leben verantwortlich für das, was er sah und woran er sich erinnerte. Kein Mensch mehr in der Vergangenheit, der nicht wissen konnte, welche Wirkung es womöglich auf ihn hatte.
Stark beeinflusst wurde er sicher durch Vaters unablässiges Vorleben und Beharren darauf, etwas konkret Nützliches zu tun, es zu Wege zu bringen, niemals aufzugeben, Disziplin und Hingabe in den Beruf einzubringen.
Sein Bruder war an diesem Anspruch gescheitert. Bei ihm sah es zunächst auch so aus, dass er es nicht schaffen würde. Doch mit der Mittleren Reife und der dann abgebrochenen Schule fing er sich und lernte einen handfesten Beruf, studierte, arbeitete, studierte noch einmal, arbeitete sich konzentriert voran.
Oft fühlte er sich als innerlich Getriebener und hatte in den vielen Jahren der Entwicklung keinen Begriff von Muße und Entspannung. Ein Gefühl für eine allmähliche Entwicklung dahin lernte er erst viele Jahre später kennen und schätzen.
Rückblickend beeindruckt ihn heute nicht so sehr, dass er die Misere seiner Kindheit durchstand, sondern dass es ihm gelang, die Stärke von Vaters Grundlektionen mit seinen eigenen Fähigkeiten zu verknüpfen. Ein wichtiger Schritt in dem Zusammenhang war, dass er seinem Vater nach viel Streiterei doch endlich innerlich verzeihen und seinen Frieden mit ihm finden konnte.
Manchmal entdeckte er bei sich Ansichten und Gewohnheiten, wie beispielsweise eine diffuse Furcht vor alternativen Handlungsmöglichkeiten oder eine tief sitzende Unruhe bis hin zu Schlaflosigkeit. Immer neue Ideen spukten ihm im Kopf herum. Begleitet von einem unerschöpflichen Vorrat an geistiger und körperlicher Energie, einem tiefen Interesse an einer Ästhetik von Form und Ausdruck, sei es in der Filmkunst, der Malerei oder der Schriftstellerei. Schließlich eine vielfältige Kultur der Einsamkeit als eine Form von Freiheit, aber auch temporären Leidens.
Wäre seine Mutter ein sicherer Hafen, eine Art Zuflucht im Tagesablauf gewesen, wer weiß, wie die Ergebnisse heute aussehen würden. Doch ihre Ambivalenz ihm und anderen Menschen gegenüber saß tief in ihrem Wesen. Grundlegend bestimmte Pessimismus, der ab und an von Euphorie durchbrochen wurde, ihr Sein. Wann immer sie plötzlich ein hässliches Gesicht offenbarte, gab er sich daran die Schuld. Die Zusammenhänge hatte er erst sehr viel später begriffen, nachdem sie sich selbst umgebracht hatte.



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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (28.01.23, 11:46)
Eine klarsichtige, weise Rückschau, Uwe.

LG
Ekki

 uwesch meinte dazu am 28.01.23 um 14:14:
Die Nachkriegszeit war nicht einfach für uns im Krieg Geborene. Die Väter, die an der Front waren, schleppten ihre Traumata mit sich herum. die Mütter versuchten ihre Kinder irgendwie durchzubringen, was zu essen heranzuschaffen.
Nach dem Krieg wurde viel verdrängt und unbewußt wurden Traumata auf die Kinder projiziert.
Ich habe sehr viel später als junger Mann glücklicherweise die erste Männergruppe in Hamburg gegründet. Wir trafen uns mehrere Jahre einmal in der Woche und "versuchten" über unsere Gefühle zu reden, holten uns ab und an psychologische Unterstützung.
Das war irgendwie unser "Rettungsanker", um die schwierige Kriegs- und Nachkriegskindheit aufzuarbeiten.
Frauengruppen gabs ja schon davor.
Dank dir für Deinen Kommi und die Empfehlung.
LG Uwe
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